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Späte Reue

Von Petra Hessenberger und Michael Schmölzer

Politik

"Dschihad-Bräute" wollten an der Seite eines IS-Kämpfers glücklich werden. Doch viele sitzen als Witwen fest.


Wien. Was tun, wenn der Traum vom Kalifat zerplatzt: Das fragen sich zahllose junge Frauen, die als "Dschihadisten-Bräute" vom IS angeworben wurden. Und die jetzt in Syrien und im Irak mit kleinen Kindern festsitzen. Die Ehemänner sind zu großen Teilen nicht mehr am Leben oder haben sich in den Untergrund zurückgezogen, um aus dem Hinterhalt zu kämpfen. Geschätzte knapp tausend Frauen, die sich dem IS angeschlossen haben, stammen aus dem Westen, dort sind sie jetzt nicht mehr willkommen.

Mossul ist den Händen der Terroristen entrissen, das syrische Rakka, inoffizielle Hauptstadt des IS, ist eingekesselt. Viele "Dschihad-Bräute" sind umgekommen, viele konnten sich in Flüchtlingslager retten, wo sie, separiert von den anderen, in eigenen Gebäuden eingepfercht und streng bewacht werden. Ihre Zukunft ist düster, sie und ihre Kinder befinden sich im luftleeren Raum. In Syrien und im Irak sind sie geächtet und auch bei einer Rückkehr nach Europa wartet der Kadi.

Der IS war seit seiner Machtübernahme 2014 in Syrien und im Irak auf weibliche "Importe" angewiesen, weil sich keine lokal ansässige Frau mit den Terroristen einlassen wollte. Die Frauen wurden in erster Linie gebraucht, um die sexuellen Bedürfnisse der Kämpfer abzudecken.

Jungmädchen-Romantikim Internet

Erstaunlich ist, dass sie in der Endphase der Schlacht um Mossul auch als Kämpferinnen eingesetzt wurden. Die irakischen Anti-Terror-Einheit CTS jedenfalls berichteten Anfang Juni davon, vermehrt durch Selbstmordattentäterinnen angegriffen worden zu sein. Dabei sollen sich auch eine Zwölf- und eine 14-Jährige in die Luft gesprengt haben. Auch fünf deutsche Anhängerinnen des IS sollen, versteckt in einem Tunnelsystem des IS und ausgerüstet mit Waffen und Sprengstoffgürteln, aufgegriffen worden sein. Darunter, so die irakische Armee, befinde sich eine 16-Jährige aus Sachsen. Das wurde später wieder dementiert. Die Anwerbemethoden der Dschihadisten waren perfide und direkt auf ein junges, weibliches Publikum zugeschnitten. Der deutsche Experte Oliver Piecha kennt die Kniffe: Da gab es Websites, wo eine Dschihadistin ihren Alltag an der Seite eines IS-Kämpfers in den buntesten Farben malte. "Tauben, blauer Himmel, garniert mit Kalaschnikows und roten Rosen", so Piecha gegenüber der "Wiener Zeitung". "Jungmädchen-Romantik also in Reinkultur". "30 Prozent derer, die nach Syrien oder in den Irak gegangen sind, sind Frauen", weiß auch der Islam-Experte Ahmad Mansour. IS-Kämpfer seien im Internet als "echte Männer" verkauft worden, "sexy und attraktiv".

Das war im Dezember 2014, als der IS am Höhepunkt seiner Macht war. Mittlerweile ist der Lack ab, hat sich die Situation dramatisch verändert. Der IS liefert Rückzugsgefechte, teilweise ist er schon geschlagen. Die Frauen, die nach Syrien oder in den Irak gegangen sind, um "den wahren Islam" zu leben oder sich von ihren als patriarchal empfundenen Vater abzugrenzen, sind jetzt voll der Reue. Sie wollen wieder zurück nach Europa, arbeiten, Make-up auftragen und ihre Eltern sehen, sagen sie einem CNN-Reporter in Syrien. Ihre Vorstellungen vom Kalifat hätten sich nicht erfüllt, berichten sie, vielmehr hätten sie wechselnden IS-Kämpfern als Sex-Objekt zur Verfügung stehen müssen. Das Kennenlern-Gespräch habe 15 bis 20 Minuten gedauert, dann sei geheiratet worden. Nicht romantisch. Viele der Frauen, die in Syrien oder im Irak den "wahren Islam" erleben wollten, wurden ebenfalls enttäuscht. Statt erstrebenswerter Frömmigkeit habe es Streit unter den Frauen, die zunächst in eigene Schlafräume gepfercht wurden, gegeben. Und Männer, denen es ausschließlich um Befriedigung ihrer Triebe gegangen sei. Ob und wie viele Frauen als "Dschihad-Bräute" aus Österreich in den Irak oder nach Syrien ausgereist sind, ist schwer zu eruieren. "Zwischen dem, was wir laut Aufzeichnungen unserer Behörden über Ausreisen wissen, und der Realität klafft eine Lücke", sagt Nahost-Expertin Petra Ramsauer, Buch- und "Wiener Zeitung"-Autorin. Sie vermutet, dass manche Frauen bereits vor einigen Jahren und somit vor den Aufzeichnungen der Behörden ins türkisch-syrische Grenzgebiet ausgereist sind und über eine NGO zum radikalen Islamismus gekommen sind. Viele sind wahrscheinlich schon ums Leben gekommen oder haben sich relativ rasch in der Türkei in Sicherheit gebracht. Trotzdem befindet sich wahrscheinlich eine Handvoll von Frauen mit österreichischem Pass noch vor Ort.

"Frauen ideologisch viel extremer als Männer"

"Es wäre dringend notwendig, dass sich die österreichischen Behörden mit den irakischen in Kontakt setzen und vor Ort recherchieren", appelliert sie. Auffallend ist, dass ein Großteil der Frauen, die ausgereist sind, ideologisch viel extremer sind als die Männer. Ramsauer sieht in der Entzauberung des IS eine wesentliche Deradikalisierungsmaßnahme. "Wenn Frauen bereit sind, ihre Freiheit und den Minirock aufzugeben, um sich den Niqab anzuziehen, beweist das, wie attraktiv das Modell vom Islamischen Staat ist." Daher sei es wichtig, die Wahrheit über die Rolle der Frauen herauszufinden und sie keinesfalls zu heroischen Amazonen zu stilisieren und damit die Propaganda des IS zu unterstützen.

Auch der Politikwissenschafter und Dschihadismus-Experte Thomas Schmidinger schätzt die Zahl österreichischer Frauen in den Reihen des IS auf fünf oder sechs. Fest stehe, dass deutlich weniger Frauen als Männer in den Irak und nach Syrien ausgereist seien. Derzeit wisse man sehr wenig über ihre Situation, da sich die Kommunikation für diese Frauen seit den militärischen Verlusten des IS erschwert habe, so Schmidinger.

Sicher sei hingegen, dass es weder bei der irakischen Armee noch bei den Syrian Democratic Forces eine lebend aufgegriffene österreichische Person gebe. Wenn die irakische Armee eine österreichische IS-Kämpferin aufgreifen würde, hinge ihr Schicksal davon ab, ob sie sich rechtzeitig als Österreicherin zu erkennen gebe, weiß Schmidinger. Da beide Kriegsparteien keine Gefangenen nehmen, werden die meisten aufgegriffenen Personen sofort getötet. "Eine Überlebenschance haben nur Leute, von denen sie sich noch Informationen erhoffen, oder jene, die glaubhaft machen können, dass sie westliche Staatsbürger sind", berichtet der Experte. Was dann passiere, hänge letztendlich davon ab, ob Österreich ein Auslieferungsbegehren stelle. Die irakische Regierung entscheidet, ob sie diesem Begehren nachgibt oder ob sich die aufgegriffene Person einem Gerichtsverfahren im Irak stellen muss.

Nach Österreich seien bisher nicht mehr als 20 Frauen zurückgekehrt - der überwiegende Teil davon im Familienverband, sagt der Sprecher des Innenministeriums Karl-Heinz Grundböck. Sogenannte IS-Bräute liegen hierzulande im "niedrigen zweistelligen Bereich", so Grundböck. Rückkehrerinnen werden sicherheitspolizeilich überwacht und werden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung strafrechtlich verfolgt. Maßnahmen zur Deradikalisierung erfolgen individuell. Ein Standardprogramm zur Resozialisierung für Rückkehrerinnen gibt es nicht.