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"Der Frieden ist kompliziert"

Von WZ-Korrespondent Philipp Lichterbeck

Politik

Kolumbiens Präsident erklärt den Konflikt mit der Farc-Guerilla offiziell für beendet.


500 Ex-Kämpfer leben in Mesetas. Camp-Sprecher Suárez (gelbes Shirt) gehörte einst zum Führungsstab einer Farc-Einheit.
© Lichterbeck (4)

Mesetas. "Das", sagt Julián Suárez, "ist ein Friedenskind." Er zeigt in Richtung einer jungen Frau, die in der Waschbaracke ein Baby einseift und abspült. Die Baracke wurde aus Holz und Kunststoffplanen zusammengezimmert und ist nach allen Seiten hin offen. Ein halbes Dutzend Männer und Frauen, einige in Unterwäsche, sind hier, schöpfen Wasser aus Bottichen und gießen es sich über. Andere schrubben Kleidung. Sie alle sind ehemalige Guerilla-Kämpfer der Farc (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). "Das Baby dieser Compañera", sagt Suárez, "wurde hier im Camp geboren. Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags mit der Regierung. Wir nennen solche Kinder Niños de la Paz."

Noch vor wenigen Monaten wäre diese Szene unmöglich gewesen. Den Farc-Frauen - ihr Anteil an den Kämpfern betrug 30 bis 40 Prozent - war es während des Kriegs gegen die Armee verboten, Kinder zu bekommen. Wurden sie dennoch schwanger, zwang man sie, abzutreiben oder ihre Kinder wegzugeben. Krieg und Kinder, das vertrug sich nicht.

Diese Zeiten sind vorbei. Die Farc haben ihre 8000 Kämpfer in Übergangscamps zusammengezogen. Hier sollen sie den Einstieg ins zivile Leben beginnen - und dürfen folglich auch Nachwuchs zeugen. Julián Suárez führt durch das Camp in der Gemarkung Mesetas, acht Stunden Autofahrt südlich von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Es ist mit 500 Ex-Kämpfern das größte der insgesamt 26 Farc-Lager.

Bereits bis Juni haben die Farc ihre Waffen abgegeben. Am Dienstag schloss Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos symbolisch den letzten Container mit den von den UN eingesammelten Gewehren ab: "Heute haben wir Adios gesagt zu den Waffen der Farc." Kolumbien werde nun "ein Land des Friedens". Nach jahrelangen Verhandlungen einigte sich die Guerilla 2016 mit der Regierung auf einen Friedensvertrag - 50 Jahre nach Beginn des bewaffneten Konflikts mit 260.000 Toten und knapp sieben Millionen Vertriebenen. Doch die Bevölkerung lehnte den Pakt in einem Referendum ab. Vor allem die Sonderjustiz stieß auf Widerstand, wonach auch für schwere Verbrechen nur maximal acht Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden sollen; in der Regel zu verbüßen im Arrest auf ländlichen Farmen. Es folgten Nachverhandlungen. Das Volk wurde nicht mehr gefragt, der Kongress sagte Ja zum Abkommen.

"Der Frieden ist kompliziert", sagt Julián Suárez. Er trägt eine Tarnhose und das knallgelbe Trikot von Kolumbiens Fußballnationalteam. Bis vergangenen September gehörte er zum Führungsstab einer Farc-Einheit. Heute ist er Camp-Sprecher in Mesetas. Der eloquente 35-Jährige ist der Neffe des Ex-Farc-Kommandanten Víctor Julio Suárez, alias Mono Jojoy. Dieser war für seine Massaker an der Zivilbevölkerung berüchtigt und wurde 2010 bei einem Bombenangriff nicht weit von hier getötet. Julián Suárez stand 40 Meter von ihm entfernt und überlebte. Doch das Thema verschweigt Julián Suárez. Vielleicht möchte er nicht über diese Vergangenheit reden, die die Farc doch hinter sich lassen wollen. Denn das Vorhaben scheint schwieriger als gedacht.

Tristesse im Vorzeigeprojekt

Das Lager von Mesetas liegt an den Südausläufern der Anden. Hier beginnt eine schwüle Ebene mit ausgedehnten Rinderweiden und Palmölplantagen. Für ihr Camp haben die Guerilleros eine sanfte Hügellandschaft mit Waldstücken ausgesucht. Mehrere hundert Unterkünfte gruppieren sich um einen holprigen Fußballplatz. Einst war diese Gegend hart umkämpft, die Farc waren mit vier Fronten aktiv und kontrollierten weite Teile der Region. Deswegen griff die Armee oft aus der Luft an. Nun herrscht Frieden. Scheinbar.

Das letzte Stück zum Camp führt über eine verschlammte und zerlöcherte Piste. Organisiert hat den Besuch das katholische Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Es unterstützt die Kolumbianische Versöhnungskommission. Deswegen ist auch der Bischof von Granada mit dabei. Später wird der Kirchenmann lachend mit dem Marxisten Julián Suárez zusammensitzen. Ein Sinnbild für das neue Kolumbien?

Tatsächlich ist die Situation in Mesetas an einem kritischen Punkt angelangt. "Die kolumbianische Regierung erfüllt ihre Pflichten nicht", sagt Julian Suárez. "Wie zweifeln langsam an ihrer Ernsthaftigkeit." So stand kein einziges der versprochenen Gebäude, als die Farc-Kämpfer in Mesetas eintrafen. Also bauten die Guerilleros ihre Unterkünfte aus Bambus, Holz und Plastikplanen selbst. Doch das ist jetzt sieben Monate her, und seitdem ist nicht viel passiert.

Dabei sollte Mesetas einst ein Vorzeigeprojekt werden. Aber nun führt Suárez zu einer Küchenbaracke, in der auf einem Lehmherd gekocht wird. An anderer Stelle heben Ex-Kämpfer einen Kanal aus, damit Regenwasser abfließen kann. Andere sitzen vor ihren Hütten, lesen oder dösen. Drinnen, unter den Plastikplanen, sei es viel zu heiß, sagen sie. Zwar haben sich die Bewohner eingerichtet, züchten Schweine, haben eine Bibliothek. Aber vieles in Mesetas ist improvisiert und erinnert eher an ein Flüchtlingslager. Dabei hätten die Ex-Guerilleros laut Vertrag schon im April wissen sollen, wie ihre Zukunft aussieht.

Nun ist eine neue Phase im Friedensprozess vorgesehen: die Umwandlung der Demobilisierungscamps zu "Orten der Fortbildung und Reintegration". Aber diese Zeitvorgabe kann gar nicht eingehalten werden, weil die Regierung gar keinen Plan zur Reintegration und Fortbildung hat. Letztere würde etwa Alphabetisierungskurse beinhalten, aber auch Vorbereitung auf handwerkliche Berufe. Davon ist in Mesetas bisher nichts zu sehen. Die meisten der Guerillakämpfer stammen aus armen Bauernfamilien, haben außer Landwirtschaft und Krieg nicht viel gelernt. Nun fühlen sie sich hingehalten. Chaos herrsche in der Verwaltung von Präsident Santos, sagen informierte Journalisten.

Nun breitet sich die Furcht aus, dass der Friedenszug entgleisen könnte. Die Farc, so viel ist auch klar, halten sich an den Vertrag. "Aber die Regierung hat nur zwei Prozent erfüllt", sagt Julián Suárez. Die Versöhnungskommission gibt ihm recht. Es scheine fast so, als ob die Regierung nur daran interessiert gewesen sei, dass die Farc ihre Waffen abgeben, sagt einer ihrer Sprecher in Mesetas. Das ist geschehen, nun herrsche Stillstand. Im Präsidentenpalast in Bogotá wird der Hochkommissar für den Frieden, Sergio Jaramillo, hingegen sagen, dass das nicht stimme. Leider sei der Staat ein träges Gebilde und in ländlichen Gebieten extrem schwach. Aber es sei kein Problem des Willens, sondern eines der Geschwindigkeit.

Tatsächlich hat die Regierung nun Ingenieure nach Mesetas geschickt. Etwas abseits haben sie mit den Ex-Guerilleros begonnen, Betonfundamente zu gießen und Metallkonstruktionen zu errichten. "In den Gebäuden wollen wir eine Landwirtschaftskooperative aufbauen", erklärt Julián Suárez. Der Weg in die Zukunft werde kollektiv sein, Frieden ohne soziale Gerechtigkeit gebe es nicht. Das hört sich gut an. Wie aber eine Kooperative hier draußen ohne Vertriebswege funktionieren soll, weiß auch Suárez nicht.

Die fehlende Infrastruktur gesellt sich zum zweiten fundamentalen Problem Kolumbiens: die extrem ungerechte Landverteilung. Sie trug zur Entstehung der gewaltsamen Auseinandersetzung bei. Aber bis heute ist nichts geschehen, um das Ungleichgewicht zu beseitigen. Weil der Staat es nun auch versäumt, seine Strukturen in ehemaligen Farc-Territorien aufzubauen, werden diese immer öfter von rechen Paramilitärs, Drogenkartellen oder der verbliebenen linken Guerilla ELN beherrscht.

Zwei Entwicklungsideen

Im Grunde prallen auch zwei Ideen von Entwicklung aufeinander: Der Staat setzt auf die internationale Agrarindustrie, die Guerilla verfolgt einen kleinbäuerlichen Ansatz.

In Mesetas jedenfalls hat die Stagnation nun dazu geführt, dass 80 Farc-Leute das Camp verlassen haben, obwohl der Übergangsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Einige von ihnen haben sich einer Gruppe von 200 abtrünnigen Farc-Kämpfern angeschlossen, die weiterhin im lukrativen Kokainhandel mitmischen wollen. Sie haben bereits mehrere Bombenanschläge in der Region verübt, die sie kontrollieren wollen. Für Julián Suárez, der 18 Jahre bei den Farc kämpfte, ändert das nichts: "Wir halten am Frieden fest. Wir müssen beweisen, dass wir die Guten sind."