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Der nächste Gruß aus Nordkorea

Von Klaus Huhold aus Seoul

Politik

Südkorea trifft die Eskalation zur Unzeit. Es würde die Aufmerksamkeit gerne auf ein anderes Thema lenken.


Seoul. "Die ganze Welt hat Angst, dass hier ein Krieg ausbricht. Nur wir nicht", sagt Kyung Mook, ein Student aus Seoul. "Wenn ich Kim Jong-un im Fernsehen sehen, denke ich nur: ,Was redet der schon wieder?‘ und schalte auf den nächsten Kanal."

Die Nachricht, dass Nordkoreas Staatschef schon wieder eine Rakete abfeuern hat lassen, hat auf den ersten Blick die Stimmung in Seoul an diesem Dienstagmorgen nicht getrübt. Vor den Hochhausschluchten und Glaspalästen scherzen Männer in Anzügen und Frauen in Kostümen auf dem Weg in ihre Büros. Doch ganz so locker, wie es scheint, geht es dann doch nicht zu, und so mancher Bewohner ist nicht ganz so unbesorgt. "Die Spannungen geben mir ein unbehagliches Gefühl", sagt Mina Lin, eine der Frauen, die gerade zur Arbeit im Zentrum Seouls antreten. "Aber ich muss meinen Alltag weiterleben. Ich bin schließlich Koreanerin und kann und will mein Heimatland nicht verlassen." Auch die meisten ihrer Freunde würden das so sehen.

Die Südkoreaner leben schon seit Jahrzehnten mit der Bedrohung aus Nordkorea. Was im Moment zur Beruhigung beitragen könnte: Das südkoreanische und das US-Militär führen ein großes Manöver durch und sind damit ohnehin in Alarmbereitschaft. Auf eine Aggression des Nachbarn könnten sie sofort reagieren. Allerdings war es offenbar gerade diese Militärübung, die Nordkorea erneut eine Rakete abfeuern ließ. Das isolierte kommunistische Land wertet derartige Manöver seit jeher als Provokation. In eine derartige Richtung äußerte sich jedenfalls der UNO-Botschafter des waffenstarren Armenhauses, Han Tae-song: Er warf Washington vor, die koreanische Halbinsel auf eine "extrem starke Explosion" zuzutreiben. Daher stehe seinem Land "das Recht auf Selbstverteidigung" zu.

Die von Nordkorea abgefeuerte Rakete ist offenbar über Japan hinweg 2700 Kilometer weit geflogen, bevor sie im Pazifischen Ozean niederging. Japan warnte zwar seine Bürger im Norden des Landes mit einer SMS-Nachricht mit dem Text "Rakete fliegt vorbei" vor dem Geschoss, verzichtete aber darauf, dieses vom Himmel zu holen. Unklar war laut westlichen Militärs zunächst noch, ob es sich um eine Mittelstrecken- oder eine Interkontinentalrakete gehandelt hat.

"Alle Optionen" auf dem Tisch

Nordkorea hat bereits fünf Atom- und allein dieses Jahr 13 Raketentests durchgeführt und damit gegen UN-Resolutionen verstoßen. Es war nicht das erste Mal, dass eine Rakete über Japan hinwegflog, aber zum ersten Mal kündigte Pjöngjang einen derartigen Abschuss nicht vorher an. Auch wenn die Rakete über Japan flog, galt die Botschaft den USA: Kim wollte offenbar klarmachen, dass er sich nicht von den Drohungen Donald Trumps einschüchtern lasse.

Der US-Präsident verkündete sofort, dass "alle Optionen" auf dem Tisch liegen. Die USA behalten sich also weiter eine militärische Antwort vor. Wahrscheinlicher ist aber, dass Washington die Wirtschaftssanktionen weiter verschärfen will. Ob China dabei mitzieht, ist aber fraglich: Peking bezeichnete Nordkoreas Test nun als Wendepunkt und meinte, dass Druck und Drohungen bisher nicht geholfen haben. China lehnt auch die Militärübungen von den USA und Südkorea ab.

Davon zeigten sich Washington und Seoul am Dienstag aber ebenso unbeeindruckt wie schon vor Beginn der Übungen vergangene Woche. Südkorea versuchte vielmehr, Stärke zu zeigen. Vier F15K-Kampfjets ließen auf einen Schießplatz in der Nähe der innerkoreanischen Grenze Bomben fallen. Bei der Übung sei die nordkoreanische Führung als simuliertes Ziel ausgegeben worden, berichtete die nationale Nachrichtenagentur Yonhap. Allerdings: Wohin sich der Konflikt entwickelt, kann Südkorea oft wenig beeinflussen; die Hauptrollen nehmen die USA und Nordkorea ein. Und Seoul trifft die derzeitige Zuspitzung des Konflikts zur Unzeit. Das Land würde die internationale Aufmerksamkeit viel lieber auf ein anderes Thema lenken: die Olympischen Winterspiele, die im Februar im südkoreanischen Pyeongchang stattfinden. Auch wenn diese für den Rest der Welt noch fernliegen, sie sind in Südkorea ganz nah: Vor dem Rathaus in Seoul zählt eine silberne Uhr die Tage, Stunden und Minuten bis zur Eröffnungszeremonie. Dutzende Arbeitsgruppen wurden gebildet, Delegationen und Journalisten aus aller Welt werden eingeladen, um das Sport-Großereignis zu bewerben.

Die Spiele sollen die modernsten aller Zeiten werden und der Welt vor Augen führen, zu welchen technischen Innovationen Südkorea fähig ist. Außerdem sollen sie den Tourismus ankurbeln. 17 Millionen Besucher empfing das Land im vergangenen Jahr, 2018 sollen es 20 Millionen sein.

Verschiedene kulturelle Veranstaltungen finden daher in den Monaten rund um die Olympiade statt. Dabei wird ausgerechnet an dem Tag, an dem Nordkorea die Rakete abfeuerte, in Seoul das Media Art Festival eröffnet. Der Nordkorea-Konflikt scheint an diesem Dienstagabend wieder ganz fern zu sein. Den Höhepunkt des Abends bilden Videoinstallationen, die auf ein Hochhaus projiziert werden. Sie alle haben den Sport zum Motiv, zeichnen etwa in bunten Farben die Bewegungen von Snowboardern und Langläufern nach. Gezeigt werden die Bilder gegenüber dem Seouler Bahnhof und sollen damit auch ausländische Besucher empfangen.

Aber wie viele werden kommen und diese Installationen tatsächlich sehen? Die meisten Touristen kommen aus Asien, wo man den Nordkorea-Konflikt gewohnt ist. Aber was ist mit Touristen aus anderen Weltregionen, die Südkorea verstärkt anziehen will? Spricht man die Verantwortlichen darauf an, erwidern sie, dass sie fest daran glauben, dass es friedlich bleibe und die Besucher doch merken würden, wie sicher und freundlich Südkorea sei. Es scheint auch, dass die südkoreanischen Tourismusvertreter lieber über etwas ganz anderes sprechen würden. Doch wieder ist der Nordkorea-Konflikt ganz nah.