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"Ein historisches Urteil für ganz Afrika"

Von Ronald Schönhuber

Politik

Kenias Höchstgericht annulliert die Präsidentenwahl vom 8. August wegen Unregelmäßigkeiten und lässt sie wiederholen. Damit erlebt das Land aber nicht nur eine rechtsstaatliche Zeitenwende. Auch die Angst vor Unruhen wächst wieder.


Nairobi. Bis vor die höchste Instanz war Raila Odinga schon im Jahr 2013 gezogen. Doch damals musste der unterlegene Präsidentschaftskandidat eine bittere Niederlage einstecken, seine Klage gegen das Wahlergebnis wurde von den Richtern am Supreme Court in Nairobi einstimmig zurückgewiesen. Knapp vier Jahre später steht der 72-jährige Oppositionsführer nun erneut vor dem sechsköpfigen Richterkollegium, doch diesmal ballt der Vorsitzende der National Super Alliance (Nasa) seine Hand zur Faust und auf seinem Gesicht zeichnet sich ein triumphierendes Lächeln ab. Denn das oberste Gericht Kenias hat soeben seiner Beschwerde stattgegeben und den Wahlsieg von Odingas langjährigem Kontrahenten Uhuru Kenyatta annulliert. Odinga, der bereits fünf Mal erfolglos für das höchste Amt im Staat kandidiert hat, erhält damit vollkommen unerwartet doch noch die Chance, Präsident Kenias zu werden.

Fehlerhafte Stimmzettel

Aus Sicht der Richter hatte es bei dem umstrittenen Urnengang am 8. August, den Amtsinhaber Kenyatta mit fast 10 Prozent Vorsprung für sich entschieden hat, tatsächlich die von der Opposition behaupteten "Unregelmäßigkeiten und Rechtswidrigkeiten" gegeben. Aus den Gerichtsunterlagen geht unter anderem hervor, dass auf den Kontrollzetteln in den Wahllokalen zahlreiche Fehler festgestellt wurden. So fehlten beispielsweise Unterschriften, Seriennummern oder Wasserzeichen. Und anders als die Wahlkommission will das Höchstgericht dies nicht als vernachlässigbare "menschliche Fehler" werten, deren Ausmaß zu gering ist, um das Wahlergebnis zu beeinflussen. Durch die Unregelmäßigkeiten sei vielmehr die Wahl als Ganzes infrage gestellt worden. "Die Wahlkommission hat es "versäumt, unterlassen oder verweigert, die Wahl nach den Vorgaben der Verfassung abzuhalten", lautet das kaum Zweifel offen lassende Urteil des Vorsitzenden Richters David Maraga.

Das Urteil der höchsten Instanz ist aber nicht nur ziemlich eindeutig, es kommt auch völlig überraschend. Denn dass die Obersten Richter tatsächlich den Wahlsieg des amtierenden Präsidenten kassieren und eine Wiederholung des Urnengangs innerhalb der kommenden 60 Tagen anordnen, hatten wohl nur die Wenigsten im Land erwartet. Denn auch wenn der 50-Millionen-Einwohner-Staat zu den leistungsfähigsten und fortschrittlichsten Volkswirtschaften Afrikas gehört, steht auch die kenianische Justiz einem übermächtigen Regierungsapparat gegenüber, der es versteht, seine Interessen durchzusetzen. Und noch nie zuvor hatte es auf dem afrikanischen Kontinent, wo die Justiz gerne als verlängerter Arm des Präsidenten oder Premierministers gesehen wird, ein Gericht gewagt, sich so offen und direkt gegen die herrschende Elite zu stellen und einen Wahlsieg zu annullieren.

Doch mit dem von Odinga zu Recht als "historisch für ganz Afrika" bezeichneten Urteil vollzieht sich nicht nur eine rechtsstaatliche Zeitenwende. Mit der Neuauflage des Duells zwischen Odinga und Keynatta dürfte auch die Angst wieder nach Kenia zurückkehren. Denn wie aufgeheizt die Stimmung im Land ist, hat sich schon in den Tagen nach der offiziellen Ausrufung Kenyattas zum Wahlsieger am 11. August beobachten lassen. Bei Unruhen in den Oppositionshochburgen in Nairobi und im Westen des Landes waren damals mindesten 28 Menschen ums Leben gekommen, zudem wurden zahlreiche Geschäfte geplündert und in Brand gesteckt.

Und dass sich aus solchen Unruhen, die immer auch entlang ethnischer Bruchlinien verlaufen, ganz schnell ein gefährlicher Flächenbrand entwickeln kann, wissen die Kenianer seit dem Jahr 2007. Damals hatte eine ähnliche Konstellation zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen geführt, als sich nach einem von Betrugsvorwürfen überschatteten Wahlgang sowohl Odinga als auch der damalige Präsident Mwai Kibaki zum Sieger erklärt hatten. Aufgehetzte Parteianhänger zogen damals mit Macheten und Speeren durch die Straßen und töteten knapp 1200 Menschen.

"Friede, Friede, Friede"

Doch im Augenblick sieht es ganz danach aus, als würde Kenia nicht nur eine rechtsstaatliche Zäsur erleben, sondern auch den daraus resultierenden Demokratie-Test bestehen. So kündigt Präsident Kenyatta, dem von seinen Gegnern vorgeworfen wird, die Unruhen des Jahres 2007 absichtlich geschürt zu haben, am Freitag an, das Urteil des Höchstgerichts respektieren zu wollen. "Das Gericht hat eine Entscheidung getroffen. Wir stimmen dieser Entscheidung nicht zu, aber wir respektieren sie. Das ist die Natur der Demokratie", sagt der 55-Jährige in einer Fernsehansprache. Und Kenyatta, dem vom Gericht keine Schuld an den Unregelmäßigkeiten gegeben wird, ruft seine Landsleute zur Ruhe auf: "Und auch diesmal sage ich: Friede, Friede, Friede."

Eine Botschaft, die bei vielen durchaus auf fruchtbaren Boden fallen dürfte. Denn auch in den Hochburgen des Präsidenten bleibt die Lage an diesem Freitag ruhig. "Das Oberste Gericht hat die Macht, die Interessen der Bürger zu schützen, und insofern begrüße ich das Urteil", sagt Kenyatta-Anhänger David Munya. "Auch wenn ich jetzt ein zweites Mal für Kenyatta stimmen muss."