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Bagdads Kummer mit den Kurden

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik
Stolz halten Kurden ihre Fahne zur Feier des Ausgangs des Referendums in den Wind. Delil Souleiman/afp

Folgt auf den kurdischen Jubel die Katerstimmung? Die Anerkennung des Referendums erscheint ungewiss.


Kirkuk. Ein Traumresultat: 92,73 Prozent haben mit Ja gestimmt für einen eigenen kurdischen Staat. Kurdenführer Masud Barzani hat eine überwältigende Zustimmung bekommen, Irak-Kurdistan in die Unabhängigkeit zu führen. Doch der frenetische Jubel und die Feiern auf den Straßen Erbils, Dohuks und Suleimanijas könnten schnell in Katerstimmung umschwenken. Denn die Anerkennung des Referendums ist äußerst fragwürdig. Die irakische Regierung in Bagdad lehnt es schlichtweg ab, und auch für viele andere ist es schwierig, das Resultat ernst zu nehmen. Von Wahlfälschungen und Manipulationen ist die Rede. Beobachter haben festgestellt, dass eigentlich jeder wählen konnte, der sich in irgendeiner Form auswies. Manchmal wurden gleich mehrere Wahlzettel an eine Person ausgehändigt mit der Begründung, Vater und Mutter könnten nicht ins Wahllokal kommen. Im Vorfeld des Referendums gab es massive Beeinflussungen zugunsten einer Ja-Stimme. Kritische Webseiten im Internet wurden gesperrt, ein Fernsehsender, der sich gegen das Referendum positionierte geblockt. Facebook-Kampagnen forderten alle Gegner, die in Kurdistan leben dazu auf, die Region zu verlassen. So dominierte schon am Abend der Bekanntgabe der Resultate zumindest in Kirkuk eher Ironie statt Überzeugung.

Man fühlte sich in die alten Tage der Saddam-Zeiten zurückversetzt, als der Diktator das Volk abstimmen ließ und Zustimmungen stets über 90 Prozent erzielte. Ein Witz aus jener Zeit macht derzeit die Runde. Auf die Frage, warum das Wahlresultat nur 99,99 Prozent Ja-Stimmen beinhaltet, lautete die Antwort: "Saddam konnte doch nicht sich selbst wählen."

Die Türkei droht den Kurden

Dessen ungeachtet stellte sich Barzani freudestrahlend vor die Presse, pries das Referendum und forderte Bagdad zum Dialog über einen unabhängigen kurdischen Staat auf. Man gewann den Eindruck, der Kurde wisse nicht, was hier gespielt wird. Denn dass Premierminister Haidar al-Abadi dies brüsk zurückwies, hätte sich Barzani denken können. In seiner Ablehnung gegen die Unabhängigkeit Kurdistans und die Loslösung vom Restirak weiß Abadi nahezu die gesamte Staatengemeinschaft hinter sich. USA, Europa, Russland und vor allem die Nachbarstaaten Türkei und Iran sind vehement dagegen. Sogar Uno-Generalsekretär Antonio Guterres hält den Zeitpunkt jetzt für falsch. Denn die internationale Staatengemeinschaft fürchtet eine weitere Destabilisierung der ohnehin höchst fragilen Region.

Iraks Premier Abadi ist jedenfalls nicht zu beneiden. Der Kampf gegen den IS, der zwar im Großen und Ganzen besiegt, aber noch nicht gänzlich vertrieben ist, die Wirtschaftskrise aufgrund des gesunkenen Ölpreises, die grassierende Korruption, der er gerade den Kampf angesagt hat: und nun die Sezessionsbestrebungen der Kurden im Nordirak. Dabei ist Abadi ein Mann des Ausgleichs, der es eigentlich allen recht machen will - aber letztendlich nicht kann.

Barzanis Selbstbewusstsein

Lange hat er zugesehen, wie sich Kurdenpräsident Barzani immer mehr im Lichte der internationalen Regierungschefs sonnte, eine Hand nach der anderen schüttelte und immer selbstbewusster die Unabhängigkeitsbestrebungen seiner Landsleute kommunizierte. Abadi hielt still, als Barzani unmittelbar nach der Befreiung Sinjars, der Jesidenstadt an der Grenze zu Syrien, den Sieg ausrief, obwohl seine Peschmerga nur mittelbar an der Befreiung beteiligt waren und die Stadt vor dem Blitzkrieg des IS zur Verwaltung Bagdads gehörte. Abadi hielt auch still, als der kurdische Gouverneur vor sechs Monaten die kurdische Fahne auf der historischen Zitadelle in Kirkuk hissen ließ, obwohl die Stadt eigentlich unter der Kontrolle Bagdads steht und nach wie vor regelmäßig Geld für die Gehälter der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, für Wasser- und Stromversorgung von dort erhält. Doch mit der beabsichtigten "Eingemeindung" Kirkuks und der anderen vor dem IS von Bagdad kontrollierten Gebiete, hat Barzani jetzt den Bogen überspannt. Für Bagdad ist nach dem IS gleich vor dem IS, Barzani indes beansprucht alle Gebiete für sich, in denen die Peschmerga gegen die Terrormiliz erfolgreich gekämpft hat.

Zersplittert der Irak?

Abadi muss jetzt handeln. Denn wenn Barzanis Haltung Schule macht, fordern demnächst die Schiitenmilizen ihren Tribut, die sunnitischen Stammesmilizen ebenfalls und wer weiß noch alles. Das Ende des Irak wäre damit gegeben.

Deshalb - und nur deshalb weiß er so viele Staaten auf seiner Seite, auch weil sich langsam die Überzeugung durchsetzt, dass es vielleicht keine gute Idee war, explizit die Peschmerga zu unterstützen, wie es Deutschland und auch andere getan haben. Dass deren Waffengeschenke und die überzogene Aufmerksamkeit sich ins Gegenteil verkehren könnten, haben Kritiker von Anfang an befürchtet. Die Quittung folgt jetzt. Im Schulterschluss mit der Türkei - die sich auch der Rückendeckung Russlands versichert hat - ist Abadi entschlossen, die angedrohten Sanktionen gegen Barzani wirksam werden zu lassen. Den Kurden soll gezeigt werden, dass Kurdistan alleine nicht existieren kann. Im Moment deuten alle Signale in Richtung einer weiteren Eskalation.