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Privileg für Wenige

Von Michael Ortner aus Beira

Politik

Menschen mit Behinderung werden in Mosambik diskriminiert, Kinder aus Scham versteckt. Bei der Inklusion steht das Land noch ganz am Anfang.


Maria Costa Parafina ist gehbehindert und auf sich allein gestellt.
© Gregor Kuntscher

Beira. Manchmal, sagt Maria Costa Parafina, müssen wir uns im Leben Schwierigkeiten stellen. Sie stützt sich auf einem einfachen Holzstock ab. Ein Notbehelf, denn für richtige Krücken hat sie kein Geld. Seit vier Jahren kann die 25 Jahre junge Frau, die in Beira lebt, nur noch eingeschränkt gehen. Sie ist körperlich behindert. In T-Shirt und um die Hüfte ein Tuch geschlungen, humpelt sie aus ihrem Haus. Der Gang zur Toilette oder zum Brunnen ist ihr eine Qual. Parafina hat zwar ein Dach über dem Kopf, doch so gut wie kein Einkommen. "Ich habe am Markt Wasser verkauft, doch seit ich nicht mehr richtig gehen kann, bin ich auf Hilfe angewiesen", sagt sie. Frauen in ihrem Alter sind in Mosambik meist schon längst verheiratet und haben Kinder. Maria Costa Parafina ist hingegen ganz auf sich alleine gestellt – in einem Land, in denen es um die Situation der Frauen ohnehin schlecht bestellt ist. Maria hat es doppelt schwer. Als Frau mit Behinderung.

Die Datenlage zu Menschen mit Behinderung in Mosambik ist dünn. Aus einer Volksbefragung aus dem Jahr 2009 geht hervor, dass sechs Prozent der Menschen in Mosambik mit einer körperlichen Beeinträchtigung leben. Realistischer ist aber eine Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO, die von 14 bis 15 Prozent ausgeht – also rund vier Millionen Menschen. 80 Prozent von ihnen leben am Land, wo es kaum adäquate medizinische Versorgung gibt.

Beinamputationen - eine Folge des jahrelangen Bürgerkriegs, Gehörlosigkeit, Blindheit und Lähmungen gehören zu den häufigsten Beeinträchtigungen. Dabei könnten Behinderungen vermieden werden. Wird jemand am Land von einer Schlange gebissen, gibt es häufig keine Gegenmittel oder ein Gesundheitszentrum, das schnell genug zu erreichen ist.

Yolanda besucht Maria drei Mal in der Woche, um sie zu therapieren.
© Gregor Kuntscher

Kein Zugang zu Rehabilitation

Physiotherapeutin Yolanda rollt eine Strohmatte auf dem sandigen Boden vor Parafinas Haus aus. Sie legt sich auf den Rücken, Yolanda dehnt ihre Beine nach rechts und nach links. Sie streckt sie. "Das fühlt sich sehr angenehm an", sagt Parafina. Yolanda besucht Parafina drei Mal pro Woche, um mit ihr gemeinsam physiotherapeutische Übungen zu machen. Parafinas einzige Chance, je wieder ohne Stock gehen zu lernen.

Zu verdanken hat sie die Hilfe "Ademo", einer der ersten Organisationen in Mosambik, die sich für Menschen mit Behinderungen stark macht. Sie leistet wichtige Aufklärungsarbeit, etwa an Schulen und bietet Gebärdensprach- und Braillekurse. Derzeit betreut die 1990 gegründete Organisation knapp 500 Patienten im Rahmen der "Community based Rehabilition" (CBR), einer Strategie, bei der Menschen in ihren natürlichen Umgebung geholfen wird. 500 von vier Millionen, ein Tropfen auf dem heißen Stein.

So genannte "field worker" besuchen die Menschen zu Hause und helfen ihnen bei ihren täglichen Bedürfnissen. Oft haben die Helfer selbst Angehörige mit Behinderungen, sie sind also für das Thema sensibilisiert. "Es geht auch darum, die Familien und Dorfgemeinschaften gezielt aufzuklären und zu unterstützen. Dadurch bauen wir Barrieren und Vorurteile ab", sagt Sigrun Palmisano von "Licht für die Welt" Österreich. Die Hilfsorganisation fördert das Projekt mit rund 45.000 Euro pro Jahr - staatliche Förderungen bekommt Ademo hingegen nicht.

Trotz Blindheit hat Gulamo in Beira einen Job gefunden.
© Gregor Kuntscher

In Mosambik mangelt an so vielem: an geeignetem Pflegepersonal, an Hilfsmitteln wie Rollstühlen und Krücken und vor allem an Geld. "Zu wenige Menschen bei den Gesundheitsbehörden beherrschen etwa die Gebärdensprache. Wie sollen sie dann einem Gehörlosen helfen?", fragt Leovigildo Pechem, der für "Licht in die Welt" in Mosambik die CBR-Projekte leitet. Behindertengerechte Pflege bleibt oft ein Privileg für Wenige. Der Großteil der ärmeren Bevölkerungsschichten hat keinen Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen und weiß nicht, dass es sie gibt.

Gravierend ist die Situation auch bei den Kindern. Laut Kinderhilfswerk Unicef haben 14 Prozent der Kinder im Schulalter eine Behinderung. Sie leiden besonders darunter, da ihnen der Zugang zum Bildungssystem verwehrt bleibt: Von rund zwei Millionen Kindern mit Handicap besuchen nur 24.600 eine Volks- oder höhere Schule. Zwar gibt es mit "Education for all" einen staatlichen Aktionsplan, doch in der Praxis fehlt den Lehrern die Ausbildung und viele Schulen sind für Kinder mit Behinderungen nicht zugänglich.

Ein Teufelskreis. Denn wenn den Kindern die Schulbildung verwehrt bleibt, finden sie später keine Arbeit, von der sie leben können. Sie schlittern in die Armut – in einem Land, in dem ohnehin 46 Prozent der Menschen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen. Sie haben Schwierigkeiten, eine Familie zu gründen. Und nicht selten werden Kinder mit Behinderungen von ihren Familien versteckt. "Die Eltern schämen sich für ihre Kinder. Sie sehen es als Strafe für den Geist der Familie", sagt Pechem. Oft wissen die Menschen auch einfach nicht, wie sie mit Behinderungen umgehen sollen – weil sie nichts darüber wissen. Auch Aberglaube ist weit verbreitet. Behinderungen werden als Stigma gesehen. "Wenn ein Bauer eine gute Ernte einfährt und sein Nachbar nicht, glauben sie, dass die Behinderung ein Fluch Gottes ist", sagt Pechem. Gemeinsam mit "Ademo" versuchen sie, auf Dorfälteste und Gemeinschaftsführer einzuwirken, um Vorurteile abzubauen.

Barrierefreier Zugang zu Gebäuden, inklusive Verkehrsmittel, Gebärden-Dolmetscher: In Mosambik ist man davon noch weit entfernt. Die Inklusion verläuft schleppend. Erfolg kann wenn überhaupt nur an einzelnen Initiativen wie "Ademo" gemessen werden – obwohl das Land die UN-Behindertenrechtskonvention 2010 unterzeichnet hat. Dennoch kündigt sich Verbesserung an. "CBR wird gerade in ein Regierungsprogramm aufgenommen. Ein 'disability bill', ein Gesetz, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung stärker verankern soll, ist in Ausarbeitung", sagt Palmisano.

Nicht blindenfreundlich

Dass Menschen mit Behinderung in Mosambik viele Hürden zu meistern haben, erzählt auch Gulamo Benjamim Marenço. Er ist von Geburt an blind. "Es ist schwierig für Menschen mit Behinderung, einen Job zu finden", erzählt der 26-Jährige in fließendem Englisch, der gerade bei "Licht für die Welt" ein Praktikum absolviert. Er hat viele englische Bücher gelesen. Den Spezialcomputer mit Braille-Schrift hat ihm ein Freund von der Universität geliehen – ein Kauf wäre für ihn unerschwinglich.

Sich in einer Stadt wie Beira mit einer halben Million Menschen zurecht zu finden, stellt ihn vor viele Herausforderungen. Denn auf die Bedürfnisse von Blinden wird kaum geachtet. Weder gibt es ein Blindenleitsystem, noch barrierefreie Busse oder Eingänge. Zebrastreifen sind selten, zum Teil gibt es nicht mal Bürgersteige. Der Verkehr ist für ihn lebensgefährlich. Doch er hat gelernt, sich zu orientieren. Er kann mit dem Blindenstock alleine von seiner Wohnung zum Büro gehen. "Ich habe einen Kurs gemacht, wo ich gelernt habe, wie man Straßen überquert und sich Orte im Gedächtnis einspeichert", sagt er.

Sein Job besteht darin, Menschen, die ebenfalls gehandicapped sind, eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. "Ich versuche, die Unternehmen davon zu überzeugen, beeinträchtigten Menschen zumindest ein Praktikum zu geben." Denn im Gegensatz zu Österreich, wo eine Beschäftigungsquote rechtlich verankert ist, gibt es in Mosambik keine verbindliche Regelung. Gulamo Benjamim Marenço selbst hat Glück: Nach seinem Praktikum wird er fest angestellt. Doch er spart nicht mit Kritik am Staat: "Die Regierung respektiert Menschen mit Behinderung nicht genug, die Menschen werden oft ausgegrenzt." Er fordert vehement eine Verbesserung der Situation. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.

<p class="em_text">Die Reise fand im September auf Einladung von Licht für die Welt Österreich statt.