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Dicke Luft

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Zwischen den einst engen Nato-Verbündeten Türkei und USA herrscht zunehmend ein rauer Ton.


Ankara. Wir sind nicht von euch abhängig!", rief der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in Richtung Washington, hinein in die historisch schwerste Krise zwischen der Türkei und den USA nach der gegenseitigen Sperre von Reisevisa vier Tage zuvor. Regierungsnahe türkische Zeitungen titelten, dass die USA "nicht mehr Verbündeter, sondern Feind" seien. Während moderate Kräfte in Washington zur Entspannung rieten und eine Delegation aus Washington nächste Woche zu Deeskalationsgesprächen in Ankara erwartet wird, verschärfen die Mächtigen in Ankara den Konflikt mit ihrem wichtigsten westlichen Verbündeten und Nato-Partner täglich weiter. Politische Beobachter rätseln, was hinter dem türkischen Eskalationskurs steckt: eine Strategie, politisches Chaos oder schlicht außenpolitische Dummheit?

Die Visa-Krise entzündete sich an der Festnahme von Metin Topuz, eines türkischen Mitarbeiters des amerikanischen Generalkonsulats in Istanbul vorige Woche. Topuz wird beschuldigt, der Sekte des Islampredigers Fethullah Gülen anzugehören, die Erdogan für den gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Laut türkischen Medien werden ihm Spionage und Verschwörung vorgeworfen, Erdogan nannte ihn einen "amerikanischen Spion". Doch die US-Botschaft nannte die Vorwürfe "absolut gegenstandslos".

Topuz war offenbar der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seit mehr als einem Jahr sitzt der evangelikale Pastor Andrew Brunson ebenfalls wegen Gülen-Kontakten und angeblicher Spionage in Untersuchungshaft. Bereits im März war ein türkischer Mitarbeiter des US-Konsulats in Adana unter Terrorvorwürfen verhaftet worden. Dazu soll es noch weitere Fälle inhaftierter US-Bürger geben, die bisher nicht publik wurden.

Obwohl sie von der massiven Reaktion der US-Regierung überrascht wurde, lenkte die islamisch-konservative AKP-Regierung nicht ein, sondern goss weiter Öl ins Feuer. Zunächst stoppte sie ihrerseits die Ausstellung von Türkei-Visa für US-Bürger. Am Dienstag erließ dann ein Gericht in Istanbul Haftbefehl gegen einen weiteren US-Konsulatsmitarbeiter wegen Gülen-Verdachts. Danach verurteilte ein Gericht die Türkei-Reporterin des "Wall Street Journals", Ayla Albayrak, wegen einer (journalistisch korrekten) Reportage über den Kurdenkonflikt zu zwei Jahren Haft wegen "Terrorunterstützung" verurteilt. Er sei wegen der "falschen Vorwürfe" "zutiefst beunruhigt", schrieb der US-Senator John McCain auf Twitter.

Die verbliebenen türkischen Oppositionszeitungen sind sich einig, dass es der Staatsführung in Ankara mit den Verhaftungen und Gerichtsurteilen darum geht, Druck auf Washington auszuüben. Im Fall des US-Pastors Brunson hat Erdogan tatsächlich einen Tauschhandel gegen Fethullah Gülen, der von den USA bisher wegen unzureichender Beweise nicht ausgeliefert wird, angeboten. Außerdem verübelt die Türkei den USA deren Unterstützung und Bewaffnung der kurdischen YPG-Miliz in Syrien, die Ankara als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachtet. Hinzu kommt eine aus westlicher Sicht bedenkliche Annäherung der Türkei an Russland. Ankara hat kürzlich das russische Raketenabwehrsystem S-400 bestellt. In Washington wächst die Besorgnis, dass die Russen über die türkische Hintertür Einblick in Nato-Geheimnisse erhalten.

Zwar erklärte US-Präsident Donald Trump im September nach einem Treffen mit Erdogan, die Beziehungen beider Länder seien "so eng wie noch nie". Doch selbst die Erdogan-treue türkische Tageszeitung "Sabah" kommentierte, dass die Spannungen schwer und "strukturell" seien. Andere regierungsnahe Medien sprechen bereits offen davon, dass die Beziehungen sich dem Bruchpunkt nähern. Dabei sind die wirtschaftlichen Folgen der Visakrise bereits jetzt verheerend. Der Leitindex der Istanbuler Börse sackte teilweise um 4,7 Prozent ab, die türkische Lira verlor zwischenzeitlich 6,6 Prozent ihres Werts gegenüber dem Dollar.

Präsident Erdogan mäßigte sich zwar bisher nicht in seinem antiamerikanischen Ton, versuchte aber, die Schuld an der Krise dem US-Botschafter in Ankara, John Bass, zuzuschieben. "Wir betrachten ihn nicht als Botschafter der Vereinigten Staaten", sagte er jüngst. Der US-Regierung warf Erdogan vor, die strategische Partnerschaft mit Ankara für einen "frechen Botschafter" zu opfern. Doch die Sprecherin des State Department, Heather Nauert, stellte umgehend klar, dass der Botschafter die volle Rückendeckung der US-Regierung besitze.

Brisante Enthüllungenüber Erdogan?

Handelt Erdogan aus Unwissenheit, oder ist er schlecht beraten? Die nationalistische türkische Zeitung "Aydinlik" glaubt, dass er getrieben ist von der Angst, dass im demnächst startenden New Yorker Prozess gegen den türkisch-iranischen Goldhändler und Embargo-Verletzer Reza Zarrab brisante Enthüllungen zu einem internationalen Haftbefehl gegen ihn und seine Familie führen könnten. Es könnte sein, dass er deshalb nun versucht, durch Geiselnahmen von US-Bürgern dessen Freilassung zu erwirken.

In der Zeitung "Hürriyet" warnte US-Korrespondentin Cansu Camlibel, dass im politischen Establishment Washingtons praktisch niemand mehr zu finden sei, der sich gegen Sanktionen gegenüber Ankara ausspreche. Zwar sind sich die meisten Beobachter einig, dass beide Seiten in den nächsten Tagen versuchen werden, die Krise einzudämmen. Aber es werden Verletzungen bleiben. Die Türkei sollte sich auf harte Zeiten einrichten.