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"Es geht ums Überleben"

Von Siobhán Geets

Politik

Wir müssen lernen, uns gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen, sagt Louise Baker von den VN.


"Wiener Zeitung": Forscher warnen, dass extreme Hitze in Bangladesch, Pakistan und Indien bis zum Ende des Jahrhunderts bis zu eine Milliarde Menschen vertreiben könnte. Wir blicken beim Thema Klimawandel und Migration vor allem nach Afrika, aber was ist mit dem Rest der ärmeren Welt?Louise Baker: In Asien lebt die größte Zahl an Menschen, die durch den Klimawandel betroffen sind, viele davon in Küstenstädten, die Regionen sind dicht besiedelt. Andere Gegenden sind aber auch betroffen. In der Sahel-Zone in Afrika gibt es das größte Bevölkerungswachstum, gleichzeitig verödet hier am meisten Land. Unterschiedliche religiöse Gruppen stehen in Konflikt miteinander. Dabei geht es nicht um Religion, sondern um Ressourcen, um Zugang zu Land, zu Wasser. Es geht immer ums Überleben. Wir blicken in Europa hauptsächlich auf Afrika, weil von dort viele Flüchtlinge kommen. Doch in Südamerika, Mexiko etwa, verhält es sich ähnlich. Rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind von der fortschreitenden Wüstenbildung bedroht, mehr als 700.000 Menschen verlassen jedes Jahr das Land.

Welche sind die verheerendsten Folgen des Klimawandels?

Dürre, Wüstenbildung und Erosion - wenn die fruchtbare Schicht der Erde weggeschwemmt wird -, deshalb verlieren ganze Bevölkerungen ihre Lebensgrundlage. Sie müssen sich bewegen, um zu überleben. Die 700.000 Mexikaner gehen nicht alle in die USA. Rund 80 Prozent jener, die global vertrieben werden, bleiben im Land - sie ziehen in die Städte, in die Slums. In Venezuela gab es vor ein paar Jahren eine Dürre, weshalb es weniger Energie durch Wasserkraft gab. In Caracas kam es zu Blackouts, die Produktion versiegte, die Industrie litt. Die ursprünglichen Gründe für Krisen sind oft Dürren und Überschwemmungen, also Folgen des Klimawandels - und wir befinden uns erst am Anfang.

Auch in Syrien begann der Aufstand gegen das Regime mit einer Dürre.

Es war die schlimmste, die das Land je erlebt hatte. Die Dürre wäre noch zu meistern gewesen, aber die Politik hat keine Maßnahmen zur Unterstützung der Menschen ergriffen. Eine Million zog in die Städte - das würde in jedem Land ins Desaster führen.

Wie viele Klimaflüchtlinge sind tatsächlich unter jenen, die derzeit von Afrika nach Europa kommen wollen?

Ich denke nicht, dass der Klimawandel der einzige Faktor ist. Junge Männer müssen meist zum Wohl der Familie beitragen. Viele arbeiten in der Landwirtschaft - rund 80 Prozent der Afrikaner sind auf Subsistenzwirtschaft angewiesen. Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Megadürren und Überschwemmungen werden immer häufiger. Die Verödung von Land führt dazu, dass viele in die Städte ziehen. Dort sammeln die Gemeinschaften Geld, damit ein Teil migrieren kann. Der Klimawandel führt also durchaus zu Migration - als erster Auslöser.

Haben diese Gruppen wirklich genug Geld, um zu migrieren?

Die Wenigsten können sich die Reise leisten. Und von jenen, denen es gelingt, genug Geld zu sammeln, schaffen es die Wenigsten nach Europa. Viele sitzen letztendlich den Städten Nordafrikas fest und werden zurückgeschickt. Klima und Migration hängen kausal zusammen, aber die Klimaveränderungen sind nie der einzige Grund für eine solche Entscheidung. Bliebe den Menschen eine Perspektive in ihren Heimatländern, würden die Allermeisten bleiben. Sicher ist, dass der Klimawandel ein immer größerer Faktor wird, wenn wir das Problem nicht in den Griff bekommen.

Wie viele Menschen werden sich global wegen des Klimawandels auf den Weg machen?

Das ist sehr schwer zu sagen. Schätzungen für das britische Verteidigungsministerium gehen davon aus, dass bis 2045 rund 135 Millionen Menschen durch Wüstenbildung und Dürre migrieren könnten, 65 Millionen davon in Afrika. Andere sprechen von 200 bis 250 Millionen. Die negativsten Szenarien sprechen von bis zu zwei Milliarden Menschen - eine undenkbare Anzahl.

Wie wird sich der Klimawandel auf Österreich mit seinen Alpen und Gletschern auswirken? Es gibt jetzt schon vermehrt Murenabgänge und Steinschläge.

Zahlen kann ich keine nennen, aber der Klimawandel wird sich jedenfalls auf die Wasserversorgung auswirken - in unterschiedlichen Regionen gibt es davon zu viel oder zu wenig. Wenn das Wasser kommt, kommt viel davon in geringeren Abständen. Die Landschaft sollte dann möglichst belastbar sein. In Bezug auf die Landwirtschaft bedeutet das gesunde Erde, die viel Wasser aufnehmen kann.

Das Gegenteil davon passiert gerade: In Österreich wird hektarweise Boden versiegelt, also zubetoniert.

Das ist ein europäisches Problem. Innerhalb von zehn Jahren versiegeln wir ein Gebiet von der Größe Zyperns. Klar muss man irgendwo bauen, aber man sollte schon überlegen, wo und wie viel. In Überschwemmungsgebieten ist es etwa nicht klug. Stadtplanung und Landschaftsplanung arbeiten nicht zusammen. Dabei wären wir gut beraten, langfristig zu planen. Zu den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung gehört der Bereich "Leben am Land", in dem wir vom UNCCD arbeiten. Es geht darum, das Land, das uns zur Verfügung steht, nachhaltig zu nutzen - Stichwort ökologische Landwirtschaft. Weltweit sind 500 Millionen Hektar Land verlassen, das ursprünglich landwirtschaftlich genutzt wurde. Gelingt es, diese Gebiete wieder landwirtschaftlich zu nutzen, wird bei Überschwemmungen mehr Flüssigkeit aufgesaugt. Es gibt also Mechanismen, wie wir mit diesen Phänomenen umgehen und zum Klimaschutz beitragen können.

Besonders betroffen sind Länder wie Spanien. Worauf müssen sich die heißeren Regionen Europas einstellen?

Wüstenbildung gehört zu jenen Phänomenen des Klimawandels, die man spüren und sehen kann. Die Menschen werden mit weniger Wasser auskommen und schwierige Entscheidungen in der Landwirtschaft treffen müssen. Zudem gibt es da unten viel Tourismus. Man wird den Wasserverbrauch drastisch einschränken müssen. Es muss ein Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft, Industrie und Konsum gefunden werden. Touristen kommen im Sommer, sie verbrauchen sehr viel Wasser. Das kann dazu führen, dass nicht genug für die Landwirtschaft da ist, die am meisten Wasser nötig hat.

Menschen auf der Flucht vor dem Klimawandel haben laut Genfer Konvention kein Recht auf Asyl. Wie sollen wir damit künftig umgehen?

Die Flüchtlingskonvention schützt politisch Verfolgte. Ich denke nicht, dass wir diese Definition erweitern sollten, sehr wohl aber müssen wir uns mit der Realität auseinandersetzen. Weltweit wird es mehr Regionen geben, in denen man nicht mehr leben kann. Die Migranten brauchen Möglichkeiten, vor allem innerhalb ihrer Heimatländer. Wir müssen verstehen, dass Klimawandel als Ursache für Flucht genauso bedrohlich ist wie politische Verfolgung. Die Menschen haben keine Ressourcen mehr, kein Wasser, kein Land, keine Nahrung. Was sollen sie tun? Sie werden migrieren. Migration war immer schon eine Bewältigungsstrategie. Der Unterschied zu heute ist, dass es sich früher oft um zeitlich begrenzte Migration handelte. Es ist wichtig, bei den Gemeinden anzusetzen und sie so widerstandsfähig wie möglich zu machen. Die Schlepper sind nicht die Ursache für Migration. Die Grundursache ist, keine Möglichkeiten zu haben, keine Existenzgrundlage, seine Familie nicht ernähren zu können. Da würde jeder fliehen. Hilft man Gemeinden dabei, ihre Ressourcen auch mit dem Klimawandel nutzen zu können, dann wird die Mehrheit zu Hause bleiben. Migration ist nie eine leichte Entscheidung.

Zur Person

Louise Baker

ist selbst Migrantin. Aus einer Kleinstadt in den englischen Midlands ging sie zunächst zum Studieren in die USA. Später lebte die Politikwissenschafterin in Belgien, Osteuropa, Indien, in der Schweiz und in Indonesien. Seit 2011 arbeitet sie für das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung UNCCD in Bonn.