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Staatspräsident Xi Jinping erhält noch mehr Macht

Von Thomas Seifert

Politik

Am 19. Parteitag der chinesischen kommunistischen Partei werden die Weichen für die kommenden fünf Jahre gestellt.


Peking/Wien. Wenn die Parteigranden der chinesischen kommunistischen Partei beim nur alle fünf Jahre stattfindenden Parteitag auf ihre Ränge am Podium schreiten, dann sehen die Auguren, welche Kader auf- und welche abgestiegen sind. Denn die Reihenfolge des Auftretens erfolgt bei diesem politischen Schönheitswettbewerb protokollgemäß streng nach der Rangordnung.

Beim Parteitag spielen Machtfragen eine zentrale Rolle: Denn hier wird das neue Zentralkomitee - es besteht derzeit aus 205 Mitgliedern und 150 Stellvertretern - abgesegnet. Rund 70 Prozent des Personals könnten altersbedingt ersetzt werden - der umfangreichste Personalwechsel in der Geschichte der Volksrepublik. Sobald das neue Zentralkomitee gebildet ist, wird das neue Politbüro, ein bisher aus 25 Personen bestehendes Gremium, gebildet. Der zentrale Führungszirkel der Partei und damit Chinas ist aber der sogenannte ständige Ausschuss des Politbüros, der sich aus gegenwärtig sieben Mitgliedern zusammensetzt. Bis auf Premier Li Keqiang und Staatspräsident Xi Jinping werden alle anderen Mitglieder aus Altersgründen aus diesem Führungsgremium ausscheiden. Das gibt wiederum Xi Jinping die Möglichkeit, dieses Gremium mit engen Vertrauten und Loyalisten zu besetzen und damit seine Macht in der Partei weiter zu konsolidieren. "Ein gutes Beispiel für seine Dominanz ist, dass er in nur fünf Jahren Amtszeit in der Lage war, seine Fraktion zur vielleicht stärksten Gruppe innerhalb der Kommunistischen Partei zu machen", sagte der China-Kenner Willy Lam, Professor an der Chinesischen Universität von Hongkong gegenüber der Deutschen Presseagentur.

Xi hat bereits in die Parteichefs und Gouverneure in 30 von 31 Provinzen Chinas ersetzt, genauso wie die Top-Generäle der Armee und rund die Hälfte der Minister. Auguren wachen nun mit aufmerksamen Augen darüber, ob Xi tatsächlich - wie einige Beobachter mutmaßen - den Leiter der Zentralen Disziplinarkommission und Korruptionsbekämpfer Wang Qishan zum Premierminister macht. Jüngste prominente Veranstaltungen, auf denen seine Arbeit gewürdigt wurde, schienen aber darauf hinzudeuten, dass sich der einflussreiche Unterstützer des Parteichefs doch aus der vordersten Reihe zurückzieht.

Denn mit der Berufung des 69-jährigen Wang würde Xi gleich zwei ungeschriebene Gesetze brechen: dass nämlich - Regel Nummer eins - Premierminister für zwei Perioden dienen und - Regel Nummer zwei - die Pensionsregel, wonach Führungskader nach Vollendung des 68. Geburtstages aus den höchsten Ämtern ausscheiden.

Einen weiteren Hinweis gäbe die Berufung des 57-jährigen Chen Min’er in den ständigen Ausschuss des Politbüros - das höchste Gremium der chinesischen kommunistischen Partei. Wenn Chen als einziger Vertreter der sogenannten sechsten, in den 1960er Jahren geborenen Generation in den ständigen Ausschuss berufen wird, so liefert dies den Hinweis, dass Chen als Nachfolger von Xi Jinping aufgebaut werden soll. Sollten aber zwei Vertreter der sechsten Generation in den ständigen Ausschuss berufen werden, so wird dies dahingehend interpretiert, dass Xi sich noch nicht auf einen Nachfolger festlegen lassen will.

Dass die rund 2300 Delegierten Xi Jinping für weitere fünf Jahre im Amt bestätigen, gilt als ausgemachte Sache. Schon seit einiger Zeit machen Spekulationen die Runde, dass Xi auch über die zehn Jahre seiner Amtszeit, die den Usancen zufolge im Jahre 2022 enden würde, im Amt bleiben könnte. Auguren verfolgen daher aufmerksam, ob die chinesische kommunistische Partei für den Generalsekretär wieder den Titel "Vorsitzender" einführen wird, der bisher dem Staatsgründer Mao Zedong vorbehalten war.

Xi Jinping beschwörtden chinesischen Traum

"Ein Vorsitzender hat keine Amtszeit, sondern kann den Posten für immer haben", wird der kritische Politikprofessor Wu Qiang, der früher an der renommierten Tsinghua Universität gelehrt hat, in einem Agenturbericht der dpa zitiert. Dass einigen in der Partei bei einem solchen Schritt nicht wohl ist, davon kann man ausgehen.

Ausgemachte Sache scheint aber bereits zu sein, dass die Parteitags-Delegierten die ideologischen Eckpfeiler von Xi Jinping in die Parteistatuten aufnehmen werden. Parteitagssprecher Tuo Zhen sagte am Dienstag, das Statut werde verändert, um die "neue Vision und das Denken" des Zentralkomitees unter Führung Xis darin aufzunehmen. Sollte Xi Jinpings Name in diesen zentralen Parteidokumenten verewigt werden, so würde dies Xi auf die gleiche historische Stufe wie Mao Zedong oder den Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping heben.

Xi hat sich jedenfalls in den Jahren seit seiner Regierungszeit als Macht-Mechaniker erwiesen: Unliebsame Konkurrenten fielen Anti-Korruptions-Kampagnen zum Opfer und Xi und sein Umfeld arbeiteten daran, dass rivalisierende Zentren der Macht innerhalb der 89 Millionen Mitglieder umfassenden Partei neutralisiert werden. Prominentestes Opfer dieser Kampagne ist die kommunistische Jugendliga, die bislang eine der mächtigsten Organisationen innerhalb der Partei war. Neben Machtfragen werden auf dem Parteitag auch Fragen der zukünftigen Entwicklung für China verhandelt.

Aber welche Vision für China wird Xi Jinping den Delegierten in seiner Grundsatzrede präsentieren? Er wird den chinesischen Traum, den Xi schon zu Beginn seiner Amtszeit formuliert hat, beschwören. Auf dem Parteitag im Jahre 2013 hat Xi damals seine Landsleute dazu aufgerufen, den "chinesischen Traum" einer starken und wohlhabenden Nation zu verwirklichen. Um diesen Traum der "großen Renaissance der chinesischen Nation" zu verwirklichen sei es notwendig, "Patriotismus, Reform und Innovation" in den Mittelpunkt zu stellen.

Spürbar ist jedenfalls das deutlich gestiegene Selbstvertrauen im Reich der Mitte. Ein Sprecher sagte bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des Parteikongresses, dass das Land seinen eigenen Weg gehen und politische Modelle anderer Länder "nicht kopieren" werde.

"Demokratie?Spaltend und konfrontativ"

In einem Kommentar der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua wurde das Modell der westlichen Parteiendemokratie im Vorfeld des Parteikongresses gegeißelt: Es sei "spaltend und konfrontativ", in dem Text wurde gleichzeitig das chinesische Modell als "harmonisch und kooperativ" dargestellt. Die liberale Demokratie des Westens sei von Krisen und Chaos gekennzeichnet - da habe China es besser: "Anders als die kompetitive, konfrontative Politik des Westens kooperieren die chinesische kommunistische Partei und nicht-kommunistische Parteien miteinander und arbeiten gemeinsam an der Weiterentwicklung des Sozialismus und streben danach, einen besseren Lebensstandard für die Menschen zu erreichen." Dies würde politische Stabilität und soziale Harmonie garantieren und effizientes Gestalten der Politik ermöglichen. "Die liberale Demokratie ist von endlosem Lästern und Gezänk sowie politischen Wendemanövern gekennzeichnet. Dies hat den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt behindert, die Interessen der Mehrzahl der Menschen wurden ignoriert", heißt es in dem Xinhua-Meinungsstück.

Die USA oder Großbritannien werden in dem Text zwar nicht explizit genannt, in der Vergangenheit wurde aber wiederholt Großbritanniens Brexit-Entscheidung und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten als Beispiele für die Fehler des westlichen Demokratie-Modells genannt.

Tatsächlich sind diese Positionen im heutigen China weit verbreitet, die chinesische kommunistische Partei bemüht sich, das eigene politische System als dem Westen überlegenes Modell darzustellen. Und angesichts des real existierenden Chaos im Weißen Haus und der Verzagtheit in Europa fällt das den Genossen in Peking leichter als noch vor einigen Jahren. Während nämlich Donald Trump den Kumpeln in den Kohlebergbaugebieten eine Renaissance der Kohleförderung verspricht, investiert Peking Rekordsummen in erneuerbare Energieformen und Elektromobilität. Während in den USA die Infrastruktur zerbröselt, zeigt Peking den Journalisten den neuen, gigantischen Flughafen von Peking, der sich gerade in Bau befindet. Und während in Europa Wahlen mit dem Schüren von Angst gewonnen werden, skizziert Xi Jinping den "chinesischen Traum" und die "große Wiederauferstehung der chinesischen Nation".

Als Xi Jinping vor fünf Jahren an die Macht kam, war noch alles anders. Damals gab es in Peking Hoffnung auf politische Reformen. Schließlich war Xis Vater, Xi Zhongxun, in seiner Rolle als Vizepremier ein wichtiger Reformer und das Auftreten des neuen Präsidenten war viel weniger hölzern, als man das bisher gewöhnt war: Die Ehefrau von Xi Jinping, Peng Liyuan, ist bei der breiten Bevölkerung überaus beliebt, erstmals seit Mao verfügt China über so etwas wie eine First Lady. Doch die Hoffnungen auf weitere Öffnung, Liberalisierung und Reformen zerstob rasch. Xi holte Macht von den Provinzen zurück nach Peking, das zarte Pflänzchen einer Zivilgesellschaft, die unter der Führung von Hu Jintao und Wen Jiabao die ersten Wurzeln geschlagen hat, ist wieder einigermaßen verwelkt. In den letzten Jahren der Ära Hu war viel vom Konstitutionalismus die Rede, vom Verfassungsstaat und der Bedeutung des Rechts. Heute sitzen dutzende Menschenrechtsanwälte in Haft, Aktivisten, die sich für die verschiedensten sozialen oder Umweltagenden einsetzen, werden vielfach als Gefahr für die nationale Sicherheit oder die soziale Stabilität abgestempelt. Zudem wurde die Kontrolle des Internets in den vergangenen Jahren verstärkt. Die Partei zieht in der Ära Xi die Zügel wieder fest an.