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Tickende Zeitbombe

Von Michael Schmölzer

Politik

Der Libanon wird schrittweise zum Austragungsort eines Hegemonialkonflikts zwischen Iran und Saudi-Arabien.


Beirut. Der Libanon wird zum Schauplatz eines gefährlich eskalierenden Konfliktes. Die beiden großen Kontrahenten sind Saudi-Arabien und der Iran, die Rivalität der beiden Länder hat bereits zu einem Stellvertreterkrieg im Jemen geführt. Jetzt sind alle Augen auf den Zedernstaat gerichtet - und die Zeichen stehen auf Sturm.

Als Libanons Premier Saad al-Hariri am vergangenen Wochenende seinen Rücktritt bekanntgab - und zwar von Saudi-Arabien aus, wohin er geflüchtet war -, spitzte sich die Lage zu. Hariri warf der im Libanon einflussreichen Schiitenmiliz Hisbollah sowie deren Schutzmacht, dem Iran vor, einen "Staat im Staat" geschaffen zu haben. Hisbollah und Iran würden Streit in der Arabischen Welt säen. Teheran konterte und warf Saudi-Arabien vor, sich massiv in die inneren Angelegenheiten des Libanon einzumischen und Hariri zum Rücktritt gezwungen zu haben. Die Regierung in Riad dreht an der Eskalationsschraube und warnt ihre Bürger vor Reisen in den Libanon. Wer sich noch im Land aufhalte, solle es schleunigst verlassen. Zuvor hatte Riad davon gesprochen, dass der Libanon Saudi-Arabien faktisch den Krieg erklärt habe.

Am Freitag schlug Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zurück: Saudi-Arabien habe dem Libanon den Krieg erklärt. Der Rücktritt Hariris stelle eine "beispiellose saudische Einmischung" in die libanesische Politik dar. Schließlich erklärte Nasrallah den Schritt Hariris für null und nichtig. Auch Libanons Präsident Michel Aoun, ein maronitischer Christ, der der Hisbollah nahesteht, akzeptiert den Rücktritt Hariris nicht. Zudem meinte Nasrallah, die Saudis würden Israel ermutigen, den Libanon anzugreifen.

In Europa schrillen die Alarmglocken. Frankreich - hier gibt es starke Verbindungen zum Libanon - ist alarmiert, das diplomatische Karussell rotiert. Frankreichs Botschafter in Saudi-Arabien traf mit Hariri zusammen, Präsident Emmanuel Macron brach am Donnerstag Hals über Kopf nach Nahost auf: Die politische Krise, so Macron, müsse rasch gelöst werden.

Für die Hisbollah ist klar, dass Hariri beim Rücktritt als "Geisel" in Riad war. Das wird von den Saudis bestritten, auch Frankreich und Deutschland dementieren.

Die politische Lage im Libanon ist nach einem blutigen Bürgerkrieg vor 30 Jahren sehr fragil. Es herrscht ein konfessionelles Proporzsystem, das auf Erschütterungen höchst sensibel reagiert. Hariri ist ein Kompromisskandidat, ein sunnitischer Muslim mit engen Kontakten zum sunnitisch geprägten Saudi-Arabien. Sein Rücktritt verschärft auf gefährliche Art die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien, zwischen dem Libanon und Saudi-Arabien und innerhalb des Libanon.

Tillerson warnt vor Krieg

Nun hat sich auch Moskau in den Konflikt eingeschalten. Russlands Botschafter in Beirut meinte, man werde die Angelegenheit vor den UN-Sicherheitsrat bringen, wenn die Sache nicht geklärt werde. Es gehe hier um einen Eingriff die Souveränität des Landes, so Alexander Zasypkin. US-Außenminister Rex Tillerson warnte davor, den Libanon zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zu machen. Hariri sei ein "starker Partner der USA". Im Libanon hätten fremde militärische Mächte nichts verloren.

Hariri selbst hatte seine Flucht nach Saudi-Arabien damit begründet, dass er um sein Leben fürchte. Persönlichkeiten wie er leben mehr als gefährlich. Hariris Vater, Rafik, war 2005 bei einem Bombenanschlag in Beirut ermordet worden. Die Hintergründe der Tat harren der Aufklärung.

Die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran hat bereits einen blutigen Stellvertreterkrieg im Jemen zur Folge. Dort haben die schiitischen Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden, einen großen Teil des Ostens unter ihre Kontrolle gebracht. Riad fühlt sich an seiner südlichen Flanke massiv bedroht und hat eine Allianz mit anderen arabischen Staaten gebildet, um dem Vormarsch der schiitschen Rebellen Einhalt zu gebieten. Diese werden nicht direkt von iranischen Truppen unterstützt, allerdings schickt Teheran seit Jahren Waffen.

Zuletzt haben die Huthi eine Rakete vom Typ "Volcano H-2" in Richtung Riad abgefeuert, das Geschoss konnte abgefangen werden. Der Angriff, so der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, komme einer Kriegserklärung des Iran gleich. Als Reaktion auf den Angriff hat die arabische Allianz, die mit Riad an der Spitze die Huthis im Jemen blutig bekämpft, alle Häfen, Flughäfen und Zufahrtswege gesperrt.

Es ist der arabischen Allianz trotz zahlloser Luftangriffe nicht gelungen, die Huthi-Milizen nachhaltig zu schwächen und zurückzudrängen. Stattdessen leidet die Zivilbevölkerung. Im Sommer ist die Cholera ausgebrochen, sie hat bereits mehr als 2000 Todesopfer gefordert. Zugleich warnt die UNO vor einer Hungerkatastrophe, die enorme Ausmaße annehmen könnte. Fast sieben Millionen Menschen seien vom Hungertod bedroht.

Die mit dem Iran verbündete Hisbollah kämpfen ihrerseits mit Russland auf der Seite des Assad- Regimes in Syrien. Die Schiitenmiliz ist dabei erfolgreich und hat zuletzt an Stärke gewonnen - was Saudi Arabien zunehmend nervös macht.

Die Angst, dass der Libanon in alte Tage zurückfällt, ist groß. In den 70er, 80er und zum Teil 90er Jahren wütete ein blutiger Bürgerkrieg, die Spuren sind noch heute überall sichtbar.

Auf Zypern bereitet man sich jedenfalls schon intensiv auf eine Flüchtlingswelle aus dem Libanon vor.