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"Für mich ist Cusco der Himmel"

Von Lisz Hirn

Politik

Jenseits von Meerschweinchen, Machu Picchu und bunten Ponchos versucht Peru, den wirtschaftlichen Aufstieg zu schaffen, die Armut zu reduzieren und ein politisch ernst zu nehmender Partner in Südamerika zu werden.


Lima. Manuele lebt seit elf Jahren in Cusco, einer der höchstgelegenen Städte der Welt. Auf fast 3400 Metern liegt der einstige "Nabel" des Inkareichs inmitten der Anden. Und in dieser Stadt macht man mit den Inkas noch immer ein gutes Geschäft. Aus diesem Grund ist Manuele endgültig in Peru geblieben. Seine Heimat Italien sieht er selten. "Die Flugpreise von Europa nach Peru sind unglaublich hoch. Außerdem müsste ich meine ganze Familie mitnehmen, zumindest meine Ex und unseren Sohn." Manuele war bis vor einigen Jahren mit einer Cuzqueña verheiratet. Aus Liebe, wie er beteuert. "Die sind die besten Mütter überhaupt", gibt er sich überzeugt, aber etwas ist zwischen die beiden gekommen: "Ihre Familie. Ich werde hier als Ernährer ihrer gesamten Familie gesehen. Der Druck war einfach zu groß. Aber sie sorgt gut für meinen Sohn, damit bin ich zufrieden."

Manuele lebt in dem Hostel, in dem er auch Reisetouren zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Perus anbietet. Ein kleiner Schreibtisch mit einem klapprigen Stuhl im Innenhof und ein alter Computer - das ist sein Büro. "Für mich ist Cusco der Himmel. Ich kann gut von der Provision leben. Dinge wie den Titicacasee oder Machu Picchu will einfach jeder sehen." Und wer nach Machu Picchu will, der kommt an der Andenstadt Cusco mit ihren prachtvollen Sakralbauten nicht vorbei. Sie bezeugen die jahrhundertelange Anwesenheit der katholischen Kirche.

"Alles ist besser als Keiko"

"Der Katholizismus ist ein großes Übel", sagt José Maúrtua und deutet dabei auf ein riesiges Plakat, das an einer Kirchenfassade hängt. Es kündigt den Besuch des Papstes im Jänner 2018 an. "Die katholische Kirche ist noch immer sehr stark. Sie verstärkt unter anderem den bestehenden Machismo." José unterrichtet Philosophie an einer der staatlichen Universitäten. Jahrelang hat er sich aktiv gegen den Einfluss der Kirche gestellt. "Heute mag ich nicht mehr. Das sollen andere tun."

Auch von der Politik gibt sich José enttäuscht, obwohl der einstige Diktator und Präsident Alberto Fujimori seit längerem hinter Schloss und Riegel ist. Seine Tochter Keiko wurde bei der Wahl 2016 abgewählt. Zu stark wirkte das negative Andenken ihres Vaters Alberto nach. Als peruanischer Präsident von 1990 bis 2000 besiegte Alberto zwar die Terrororganisation "Leuchtender Pfad" und legte mit zahlreichen Reformen den Grundstein für das Wirtschaftswachstum, griff dabei aber selbst tief in die Landeskasse. Die Vorwürfe gegen Alberto Fujimori reichen von Bestechung bis Mord. Gegen Keiko gibt es ähnliche Vorwürfe.

Dagegen scheint der aktuelle Staatschef beinahe harmlos. Nach Josés Geschmack ist Pedro Pablo Kuczynski dennoch nicht. "Ein Neoliberaler mit einem deutsch-jüdischen Kommunisten als Vater. Den hätte er aber lieber verschwiegen." Ebendieser Vater floh einst mit seiner Frau, übrigens eine Tante von Filmemacher Jean-Luc Godard, vor den Nazis nach Peru. "Viel hat Pedro nicht von seinem Vater Max geerbt. Aber: Alles ist besser als Keiko!", bringt es José auf den Punkt. Wählen muss man in jedem Fall. In Peru herrscht Wahlpflicht. Wer nicht zu den Präsidentschaftswahlen erscheint, muss im Nachhinein ein saftiges Bußgeld zahlen.

Trotz aller politischer Widrigkeiten und ständig drohenden Naturkatastrophen hat sich Peru positiv entwickelt. Vor allem seit die Terrororganisation "Leuchtender Pfad" nicht mehr im Land wütet. Die in den 1960ern gegründete maoistische Organisation löste über zehn Jahre andauernde bürgerkriegsähnliche Konflikte aus. Fast 70.000 Menschen verloren in dieser Zeit das Leben, während die durch den Terror beschleunigte Landflucht die sozialen Probleme in den großen Städten verschärfte.

Eines dieser Probleme ist der Rassismus. "Es ist kein Zufall, dass die aktuelle Volkszählung erfordert, dass wir Peruaner uns wieder in rassische Kategorien einteilen", meint die Deutsch-Spanisch-Übersetzerin Carmen Zavala, die auch eine renommierte philosophische Praxis betreibt. "Aber es ist ja nicht nur der Rassismus ein Problem in Peru. Die öffentlichen Schulen sind schlecht. Gutes Englisch lernt man dort selten." Carmen schickt ihre Tochter deshalb jeden Samstag in den privaten Englischunterricht, um ihr für später eine bessere Ausgangsposition zu bieten. "Die Wissenschaftssprache ist schließlich Englisch und nicht Spanisch." Carmen weiß von der schlechten ökonomischen Situation vieler Peruanerinnen zu berichten. "Sie sind Alleinerzieherinnen und die Hauptverdiener, weil sie von ihren Männer verlassen wurden." Aufgrund dieser widrigen Umstände müssten sich die Frauen notwendigerweise emanzipieren, um ihre Familien finanziell überhaupt durchzubringen. Auch der Feminismus des Landes ist so facettenreich, wie die peruanische Kultur klischeehaft ist.

Apropos Meerschweinchen: Das berühmteste ist eigentlich ein Chinchilla und in der Kathedrale von Cusco zu sehen. Künstler Marcos Zapata hat es 1753 - gut gebraten - als Hauptgang des letzten Abendmahls gemalt. Statt des biblischen Weins trinken Jesus und seine Jünger Chicha morada, ein Getränk aus violettem Mais. Zapatas Gemälde ist eine pikante Gesellschaftskritik an der spanischen Kolonialmacht. Aber die Kritik am Vizekönigreich sollte in den folgenden Jahren noch deutlicher werden. José Gabriel Condorcanqui alias Tupac Amaru II., Sohn eines spanischen Großgrundbesitzers und einer indigenen Frau, nahm die Ausbeutung der indigenen Bevölkerung wahr und reagierte 1780. Nachdem er sich zum Erben des Inkareichs proklamiert hatte, führte Tupac Amaru II. den Aufstand gegen die spanische Herrschaft an. Der schlug fehl. Als Resultat ließ das Vizekönigreich Peru Tupac Amaru II., seine afroperuanische Frau Micaela sowie den gemeinsamen Sohn öffentlich foltern und hinrichten sowie gleichzeitig indigene Sprachen, Symbole und Rituale unter Androhung von Repressalien völlig verbieten. Dieses Verbot galt bis zur Unabhängigkeit Perus 1821.

Tourismus als Wirtschaftsmotor

Erst mit der zufälligen Wiederentdeckung der Ruinenstadt Machu Picchu durch den US-amerikanischen Forscher Hiram Bingham 1911 kam das lange unterdrückte indigene Erbe zu neuem Glanz und der internationale Tourismus in Schwung. Von diesem Fund profitieren die Peruaner bis heute. Auch Danielle. Sie fährt aus beruflichen Gründen oft im prall gefüllten Touristenzug, der zwischen Ollantayambo und Aguas Calientes bummelt. Diese Zugverbindung ist die einzig komfortable Möglichkeit, zum Weltkulturerbe Machu Picchu zu reisen.

Danielle überprüft Hotels für ihre Reiseagentur. "Die Konditionen und Angebote der Unterkünfte ändern sich schnell. Es ist schwer, die Qualität der einzelnen Hotels ohne Kontrollen sicherzustellen." Peru sei ein chaotisches Land, Desorganisation und Korruption gäbe es in allen Lebensbereichen. Von Lima aus ist Danielle ständig in alle Richtungen des Landes unterwegs, schläft einmal in Luxusherbergen, dann wieder in billigen Hostels. "Gestern durfte ich in dem Bett schlafen, in dem eine Nacht vorher Formel-1-Star Lewis Hamilton geschlafen hat", schwärmt Danielle. "Mir das vorzustellen, war schon sehr aufregend." Vollkommen überpreist, das sei das Luxus-Resort am Eingang zum Touristenmagneten Machu Picchu trotzdem. "Ursprünglich versprach es den exklusiven Hotelgästen sogar den Eintritt nach den Öffnungszeiten. Das ist jetzt aber nicht mehr legal!" Auch ein Lewis Hamilton muss jetzt für Machu Picchu Schlange stehen.

Zurück in Lima und im noblen Geschäftsviertel Miraflores, betreibt Yerist seit Jahren einen kleinen Stand im "Inka Plaza". Hier findet sich alles, was das Touristenherz begehrt: Alpakakuscheltiere, Edelponchos, Pisco-Sour-Totems, Lamastatuetten. Yerist arbeitet jeden Tag, aber heute wirkt das Areal wie ausgestorben. "Deshalb habe ich auch Zeit für ein Gespräch", sagt sie in gebrochenem Englisch. Während Yerist über ihre Kunden aus aller Welt erzählt, weisen ihre Hände auf die unzähligen Andenken hin. "Alles ist erstklassige Ware." Wer bei ihr kauft, bekommt auch automatisch eine Visitenkarte zugesteckt. "Wer am Anfang der Reise bei mir gekauft hat, kommt normalerweise gegen Ende noch mal vorbei", erzählt sie zwinkernd und posiert dabei stolz für ein Foto. Yerist ist eine von denen, die den wirtschaftlichen Aufstieg geschafft haben. Andere, vor allem die ländliche Bevölkerung, warten noch darauf, dass sich ihr Leben endlich zum Besseren wendet.

Lisz Hirn (33) ist Philosophin und arbeitet als Publizistin und Dozentin in der Jugend- und Erwachsenenbildung im In- und Ausland. www.liszhirn.at