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Ein Jahr der Risse und Brüche

Politik

Die Vereidigung eines umstrittenen US-Präsidenten, Konflikte im Nahen Osten, der geplante EU-Austritt Großbritanniens und eine Reihe von Urnengängen in europäischen Ländern prägten 2017.


"America First". Mit Donald Trump wird am 20. Jänner der wohl umstrittenste US-Präsident der jüngeren Geschichte vereidigt. Schon in seiner Antrittsrede lässt der Immobilienmilliardär keinen Zweifel daran, dass er sein "America First"-Versprechen um jeden Preis umsetzen will. Innenpolitisch ist das erste Amtsjahr aber von den möglichen Russland-Verstrickungen seines engsten Umfelds überschattet. Unter Trump entfremden sich die USA zudem vom Rest der Welt. Das transatlantische Verhältnis erreicht einen neuen Tiefpunkt. Zudem kündigt der US-Präsident im Juni das Pariser Klimaabkommen auf.

Angst vor Rechts. Im Frühjahr ist die Flüchtlingskrise in der EU abgeflaut; die Wirtschaft verzeichnet einen zarten Aufschwung. Doch anstehende Urnengänge in mehreren Ländern nähren die Sorgen vor wachsendem Rechtspopulismus in Europa. Aber bei der Parlamentswahl in den Niederlanden am 15. März wird der Vormarsch der extremen Rechten gebremst. Am 7. Mai gewinnt dann in Frankreich Emmanuel Macron mit einem betont europafreundlichen Programm die Präsidentenwahl. Das Tandem Paris-Berlin soll der EU wieder Schwung bringen. Gebremst wird dies allerdings noch durch den Wahlkampf in Deutschland: Dort ist erst im September die Bundestagswahl angesetzt.

Raus aus der EU. Dass die Briten die Europäische Union verlassen wollen, ist seit dem Brexit-Referendum im Vorjahr klar. Am 29. März beantragen sie offiziell ihren Austritt aus der Gemeinschaft. Die bisher einmalige Trennungsprozedur stellt beide Seiten vor Herausforderungen: Unklar ist, wie viel Großbritannien der EU zahlen muss und wie die Rechte der EU-Bürger auf der Insel zu garantieren sind. Im Juni muss die britische Premierministerin Theresa May bei der Parlamentswahl eine Niederlage hinnehmen. Nach monatelangem Stillstand in den Brexit-Verhandlungen gibt es gegen Jahresende einen ersten Kompromiss.

Türkische Machtfülle. Am 16. April stimmen die Türken mit einer äußerst knappen Mehrheit für eine Verfassungsreform, die Präsident Recep Tayyip Erdogan eine bis dahin ungekannte Machtfülle verleiht. Im Vorfeld des Votums waren nicht nur in der tief gespaltenen Türkei die Wogen hochgegangen. Erdogan und seine Gefolgsleute hatten den Wahlkampf auch in viele europäische Länder getragen und damit für eine weitere Abkühlung des ohnehin schon frostigen Verhältnisses mit der EU gesorgt.

Nordkoreanische Muskelspiele. Ausgerechnet am 4. Juli, am Unabhängigkeitstag der USA, zündet Nordkorea eine neue Rakete. Das Regime von Diktator Kim Jong-un hat 2017 atomar noch einmal gewaltig nachgerüstet und prahlt damit, dass es mit seinen Raketen bereits die Westküste der USA erreichen kann. Experten bezweifeln, dass Nordkoreas Raketen schon genug Präzision für zielgenaue Angriffe besitzen. Doch bald könnte es so weit sein. US-Präsident Trump, der Kim immer wieder wüst droht, will das unbedingt verhindern. Das wird den Konflikt auch 2018 brandgefährlich machen.

Geplatzter Jamaika-Traum. Bei der Bundestagswahl am 24. September geht Kanzlerin Angela Merkel zwar wieder als Erste über die Ziellinie, doch die Unionsparteien erleiden herbe Stimmenverluste. Da sich die SPD unter ihrem schwer geschlagenen Parteichef Martin Schulz auf die Oppositionsrolle festlegt, wagt sich Deutschland an ein politisches Experiment heran. Doch die mit vielen Hoffnungen verbundenen Jamaika-Sondierungsgespräche zwischen Union, Grünen und FDP scheitern schließlich mit einem großen Knall. Unter lautem Zähneknirschen erklärt sich die SPD im Dezember doch zu Verhandlungen über eine Regierungsbildung bereit.

Russische Ansprüche. Am 11. Dezember ordnet Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Überraschungsbesuch in Syrien den Rückzug des Großteils der russischen Truppen an. Er sieht wohl seine Mission erfüllt: Dank der Hilfe von Russland, aber auch des Iran, ist ein Sturz von Herrscher Bashar al-Assad in weite Ferne gerückt - doch ist dieser auch nicht stark genug, um das gesamte Land zurückzuerobern. Zudem hat Russland seine Position im Nahen Osten gestärkt und seinen Anspruch unterstrichen, die Weltordnung mitbestimmen zu wollen.

Klüfte in Europa. Die EU-Kommission leitet am 20. Dezember ein Grundrechtsverfahren gegen Polen ein. Dem Land drohen - unwahrscheinliche - Sanktionen bis zum Entzug von EU-Stimmrechten. Doch der Zwist um Rechtsstaatlichkeit, autoritäre Tendenzen und das Nicht-Einhalten von EU-Beschlüssen schwelt schon lange. Und er betrifft nicht nur Polen, sondern auch Ungarn sowie Tschechien. Alte Risse zwischen Ost und West drohen wieder aufzubrechen.(czar/klh/rs)