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"Rocket Man" will reden

Von Michael Schmölzer

Politik

Nordkorea erwägt, an den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang teilzunehmen. In Seoul ist man erfreut.


Seoul/Pjöngjang. Friedenshoffnung oder doch nur Finte? Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un hat in seiner Neujahrsansprache überraschend angekündigt, dass sein Land an den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang teilnehmen könnte. Man sei daran interessiert, dass das Mega-Event erfolgreich ausgetragen werde, und würde sofort ein Treffen dazu vereinbaren, so Kim.

Bringt also der Sport den Frieden? Die Welt hofft. Und nachdem der wilde Mann in Pjöngjang zuletzt einen atomaren Showdown erzwingen wollte, ist man in Südkorea über die ausgestreckte Hand erfreut. Auch wenn man den friedlichen Absichten Kims nicht wirklich traut, will man am 9. Jänner im Grenzort Panmunjom über die im Februar startenden Winterspiele reden - und an einer Verbesserung der innerkoreanischen Beziehungen arbeiten.

Sollte das Treffen stattfinden, wäre es das erste dieser Art seit zwei Jahren. Südkoreas Präsident Moon Jae-in hat Nordkorea bereits im Sommer eingeladen, an dem weltweit beachteten Sportereignis teilzunehmen. Für ihn ist jedoch klar, dass eine Verbesserung der innerkoreanischen Beziehungen nicht von der Lösung des Atomstreits getrennt werden kann.

Es gibt kritische Stimmen, die der Geste Kim Jong-uns nicht trauen. Dem Diktator gehe es nur darum, Seoul und Washington zu entzweien, warnen sie.

"Roter Knopf" griffbereit

Wie dem auch sei. Der Cheforganisator der Winterspiele, Lee Hee-boem, ist über die jüngsten Entwicklungen hoch erfreut: "Wir haben uns darauf vorbereitet, dass Nordkorea an den Spielen teilnehmen wird." Alle Athleten, einschließlich der Nordkoreaner, würden sich während des Aufenthalts in Pyeongchang "wie zu Hause fühlen", verspricht er.

Die atomaren Drohungen, die zwischen den USA und Nordkorea ausgetauscht werden, sind derzeit zweifelsohne der gefährlichste geopolitische Konflikt. Auch das war an der Neujahrsansprache Kim Jong-uns ablesbar: Die gesamten Vereinigten Staaten von Amerika seien in Reichweite nordkoreanischer Atomwaffen, so der Diktator, Washington könne "niemals einen Krieg gegen mich oder unser Land beginnen". Nordkorea werde jedenfalls mit der "Massenproduktion" von atomaren Sprengköpfen fortfahren. Und er habe den roten Knopf ständig auf seinem Schreibtisch, so Kim Jong-un.

Kim Jong-un setzt seine systematischen Provokationen gezielt ein, um internationale Aufmerksamkeit, humanitäre Hilfe und die Aufnahme von Verhandlungen zu erzwingen. Er spielt auch im neuen Jahr ein gefährliches Spiel. Schließlich muss er vermeiden, dass er den Punkt erreicht, an dem die USA keine andere Wahl mehr haben als anzugreifen.

Dem verbalen Kriegstreiber gegenüber sitzt US-Präsident Donald Trump, ein Mann, der nicht dafür bekannt ist, seine Affekte unter Kontrolle zu haben. "Rocket Man is on a suicide mission", blaffte der Republikaner vor der UN-Vollversammlung. Das macht die Lage so explosiv. Dazu kommt, dass es auch im Jahr 2018 im Weißen Haus Stimmen gibt, die einen Präventivschlag gegen Nordkorea befürworten, um einem nordkoreanischen Angriff zuvorzukommen.

Humanitäre Katastrophe

Ein Angriff auf Nordkorea wäre eine humanitäre Katastrophe auch dann, wenn er aus Sicht der USA nach Plan abliefe. Die südkoreanische Hauptstadt Seoul ist nicht weit von der Demarkationslinie entfernt, die die beiden Staaten entlang des 38. Breitengrades trennt. Pjöngjang hat dort rund 13.500 Artilleriegeschütze unterschiedlicher Reichweite in Stellung gebracht. Diese würden im Fall eines Angriffs Seoul in Schutt und Asche legen. Im Großraum der südkoreanischen Hauptstadt leben 25 Millionen Menschen - sie sind gegen Artilleriebeschuss nicht zu schützen. Militärexperten rechnen damit, dass auch Granaten mit chemischen und biologischen Kampfstoffen zum Einsatz kommen könnten. In den nordkoreanischen Arsenalen sollen sich Krankheitserreger befinden, die Pest, Pocken, Gelbfieber und Typhus auslösen. Es gäbe hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen Todesopfer.

Zudem ist davon auszugehen, dass Japan nordkoreanische Vergeltungsschläge zu spüren bekommen würde. Hier ist man nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs besonders sensibel, wenn es um atomare Bedrohungen geht. Das Inselreich kann von nordkoreanischen Mittelstreckenraketen vom Typ Hwasong-12 erreicht werden - was am 29. August 2017 dramatisch in Erinnerung gerufen wurde. Da überflog eine derartige nordkoreanische Rakete Hokkaido. Radio- und Fernsehprogramme wurden unterbrochen, die Bevölkerung per SMS informiert, die Shinkansen-Schnellzüge standen still. Menschen flohen in die Schutzräume. Japan hat seine Abwehrsysteme zuletzt massiv ausgebaut und doppelt verstärkt. Ob sie aber im Erstfall wirklich hundertprozentig funktionieren, ist unklar.

Ein militärischer Angriff auf Nordkorea würde auch dort enorme zivile Opfer fordern. Schon der Koreakrieg 1950 bis 1953 kostete rund 4,5 Millionen Menschen das Leben - das hat man auf beiden Seiten bis heute nicht vergessen. Und im Fall einer neuerlichen Invasion mit Bodentruppen könnten sich amerikanische und chinesische Truppen in Nordkorea gegenüberstehen - eine Konfrontation, die enorm gefährlich wäre.

Krieg im Alleingang ?

Trump könnte trotzdem einen Krieg im Alleingang vom Zaun brechen. Die Zustimmung des Kongresses braucht er nur theoretisch. Er kann immer mit Gefahr im Verzug argumentieren, das haben auch seine Vorgänger so gehalten. Und US-Militärexperten weisen darauf hin, dass es nur noch Monate dauern könnte, bis Nordkorea mit Atomsprengköpfen bestückte Raketen ins All und wieder zurückbringen könnte. Für Trumps obersten Sicherheitsberater H. R. McMaster ist klar, dass die Zeit davonläuft. Man sei an dem "Point of no return" angekommen, so der Ex-General.

McMaster weiß aber auch, dass die USA für einen Angriff auf Nordkorea die Kooperation von Südkorea und Japan bräuchten. Die Verbündeten würden aus jetziger Sicht einem Angriff auf den Norden wohl nicht zustimmen. Bleibt nur noch die Möglichkeit einer Kommandoaktion von US-amerikanischen Spezialkräften. Dabei wäre es das Ziel, den Führungszirkel rund um Kim Jong-un auszuschalten und die Kontrolle über die nordkoreanischen Atomwaffen zu erhalten. Allerdings benötigt man für ein derartiges Unterfangen eine große Menge an Geheimdienst-Informationen - und die haben die USA offenbar nicht, zu abgeschlossen ist die stalinistische Diktatur.

Die Korea-Krise war jedenfalls auch Thema eines Besuchs des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Ban Ki-moon in Wien. Bei einem Treffen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen meinte Ban, die gegenwärtige Situation sei zwar "sehr problematisch", die jüngste Ankündigung Nordkoreas, an den Olympischen Spielen teilzunehmen, sei aber klar als "positives Zeichen" zu werten.