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Die Funkstille macht Pause

Von WZ-Korrespondent Fabian Kretschmer

Politik

Erstmals nach mehr als zwei Jahren treffen Delegationen der beiden Koreas aufeinander. Die Gespräche werden die angespannte Lage kurzfristig entschärfen, doch ein Durchbruch im Nordkorea-Konflikt ist nicht zu erwarten.


Seoul. Nach über zwei Jahren de facto vollständiger Funkstille treffen heute, Dienstag, erstmals zwei hochrangige Delegationen der zwei Koreas aufeinander. Im symbolischen Friedensdorf Panmunjom entlang der innerkoreanischen Grenze werden sie über Möglichkeiten zur Verbesserung der angespannten Beziehungen verhandeln. Die Erwartungen an die ersten gemeinsamen Gespräche seit August 2015 sind hoch, doch Experten mahnen zur Vorsicht.

Die Delegation aus Seoul leitet Vereinigungsminister Cho Young-
gyon, der bereits auf reichhaltige Verhandlungserfahrung mit Pjöngjang zurückblicken kann. So war der linksgerichtete Politiker unter anderem beim zweiten und bislang letzten innerkoreanischen Spitzentreffen im Jahr 2007 anwesend, bei dem die Staatsoberhäupter beider Staaten direkt aufeinandertrafen. Auch sein nordkoreanisches Pendant Ri Song-kwon, Vorsitzender des Komitees für die friedliche Wiedervereinigung des Vaterlandes, gilt als hochrangiger Militär und enger Vertrauter Kim Jong-uns.

Zumindest sportdiplomatisch werden sich die fünfköpfigen Delegationen vermutlich rasch einig: Die von beiden Seiten gewünschte Teilnahme nordkoreanischer Athleten scheint nur mehr reine Formsache. Südkoreas Regierung betrachtet diese als symbolische Absicherung, dass es während der Winterspiele zu keinen militärischen Eskalationen kommt.

Chang Un, Nordkoreas einziges Mitglied des Olympischen Komitees, teilte Reportern bereits am Flughafen Peking mit, dass Nordkorea "wahrscheinlich" bei den Olympischen Spielen teilnehmen werde. Chang befindet sich auf dem Weg nach Lausanne, wo er auf IOC-Präsident Thomas Bach treffen wird und aller Voraussicht nach auch über finanzielle Unterstützung der nordkoreanischen Wintersportathleten diskutieren wird. In Südkorea würden laut einer repräsentativen Umfrage knapp über die Hälfte der Bevölkerung eine solche gutheißen.

Seoul will breite Themenliste

"Wenn Nordkorea in Pyeongchang teilnimmt, würde dies das Profil der Olympiade als Friedensspiele stärken", bekräftigte auch die Seouler Außenministerin Kang Kyung-hwa am Montag. Ganz unumstritten ist Seouls Einladungspolitik jedoch nicht. Als Südkorea beispielsweise im Jahr 1988 die Sommerolympiade ausgerichtet hat, wurde das südafrikanische Apartheidsregime aufgrund von Menschenrechtsverletzungen ausgeschlossen. Nordkorea mit seinem katastrophalsten Menschenrechtsregister wird ausnahmslos willkommen geheißen.

Ministerin Kang machte deutlich, dass sich Südkorea auch über Sportfragen hinausgehende Diskussionen von dem Treffen erwartet. Aus dem Vereinigungsministerium in Seoul heißt es, man werde um Zusammenführungen durch den Koreakrieg getrennter Familien ersuchen. Dies könne die militärischen Spannungen abbauen, sagte Minister Cho. Ob bei dem morgigen Treffen auch kontroverse Themen angesprochen werden, etwa Nordkoreas Atomwaffen, ließ er bewusst offen.

Seouls Handlungsspielraum in Bezug auf Pjöngjang bleibt ohnehin beschränkt: "Sämtliche Zugeständnisse, die die Seouler Regierung macht oder erhält, muss sie schlussendlich vor Washington rechtfertigen - was momentan extrem schwierig ist", sagt Andray Abrahamian. Der Gaststipendiat des Pacific Forum CSIS in Honolulu hat jahrelang mit der NGO Chosen Exchange Bildungsinitiativen in Nordkorea geleitet, unter anderem marktwirtschaftliche Kurse für Jungunternehmer in Pjöngjang. Der Brite bezweifelt, ob die Hauptantagonisten in diesem Konflikt - Washington und Pjöngjang - überhaupt zu Kompromissen in den zentralen Streitfragen bereit sind. Nordkorea wird kaum über sein Atomprogramm verhandeln, Südkorea hingegen ebenso wenig auf die Forderung eingehen, die gemeinsamen Militärmanöver mit den USA komplett einzustellen. "Insofern könnte sich das günstige Zeitfenster für Verhandlungen schon bald wieder schließen", sagt Andray.

Vor allem unter konservativen Kreisen wird Nordkoreas Annäherung als Versuch gewertet, einen Keil zwischen die USA-Südkorea- Allianz zu treiben. Südkoreas größte, rechtsliberale Tageszeitung "Chosun Ilbo" schreibt in ihrem Leitartikel, dass Nordkorea seinem südlichen Nachbarn lediglich einen Köder unter die Nase halten würde: "Kim besitzt nicht die Absicht, sein Atomprogramm aufzugeben. Alles, was er will, ist Zeit gewinnen."

Zwei Schritte vor, einer zurück

Bereits in der Vergangenheit sind innerkoreanische Annäherungen des Öfteren ergebnislos verlaufen: Im Jahr 2015 machte Kim Jong-un ebenfalls in seiner Neujahrsansprache Avancen gegenüber Südkorea. Die damalige Präsidentin Park Geun-hye bot daraufhin Gesprächsangebote ohne Vorbedingungen an - diese verliefen jedoch im Sande.

Tatsächlich kommt Nordkoreas rasanter Annäherungsversuch seit der Neujahrsansprache von Staatsoberhaupt Kim Jong-un nicht überraschend: In der Vergangenheit ist das Regime immer wieder einen provokanten Kurs gefahren, nur um scheinbar plötzlich seine diplomatische Hand auszustrecken.

Experten betrachten dessen Taktik als verbalen Bluff, mit der sich das Pjöngjang eine möglichst mächtige Position beim Verhandeln von Hilfs- und Geldlieferungen sichern möchte. US-Präsident Donald Trump wertet Nordkoreas jüngsten Vorstoß als klaren Beleg dafür, dass die Isolations- und Sanktionspolitik erste Wirkung zeige: Kim fühlt sich unter Zugzwang. Bereits am Donnerstag vermeldete Trump auf Twitter, dass er mit seiner "totalen Macht" gegenüber Nordkorea den Dialog der beiden Koreas überhaupt erst möglich gemacht habe. Die nun zustande gekommene Kommunikation begrüße er jedoch.