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Syrische Minenfelder

Von Michael Schmölzer

Politik

Die Terrormiliz IS ist besiegt, Russland, die USA und die Türkei kämpfen um Einfluss in der Region.


Moskau/Washington. Der IS hat in Syrien alle seine Hochburgen verloren, der "Kampf gegen den Terrorismus", dem sich die USA, Russland, der Iran und die Türkei in dem Bürgerkriegsland verschrieben haben, könnte langsam zurückgefahren werden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die türkische Armee ist im Norden Syriens einmarschiert, um die kurdische YPG zu bekämpfen. Die USA haben 2000 Soldaten und Kampfjets im Land und versuchen, einen militärischen Sieg der Koalition aus syrischer Armee, Russland und dem Iran zu verhindern.

Angesichts dieser Ausgangslage ist es unausweichlich, dass die ausländischen Mächte in Syrien direkt aneinandergeraten und Situationen entstehen, die mehr als brenzlig sind. Schon in der Vergangenheit konnten Kollisionen russischer und US-amerikanischer Kampfjets im syrischen Luftraum erst in letzter Sekunde verhindert werden. US-Kampfjets sollen einen Konvoi der syrischen Armee bombardiert und dabei einen hochrangigen russischen Offizier getötet haben. Die USA und Russland tauschen sich über ihre jeweiligen Vorhaben zwar aus, oft funktioniert der "direkte Draht" aber nicht.

"Akt der Aggression"

In der Nacht auf Donnerstag ist es im Osten Syriens zu einem Angriff der USA auf syrische Einheiten gekommen, die die US-russischen Spannungen weiter erhöhen. US-Kampfjets flogen einen Luftangriff auf Truppen, die auf Seiten des Regimes in Damaskus kämpfen. Aus syrischen Militärkreisen heißt es, dass dabei mehr als 150 Soldaten getötet wurden, die USA sprechen von 100 Toten. Unter ihnen könnten auch Russen und afghanische Söldner gewesen sein, was von Moskau aber nicht bestätigt wird. Dort spricht man von einem "Akt der Aggression", das Ziel der USA sei es nicht, den IS zu bekämpfen, sondern die Kontrolle über wirtschaftlich bedeutsame Standorte zu erlangen, so die Vorwürfe des russischen Verteidigungsministeriums.

In der Tat sind die strategischen Ziele der Vereinigten Staaten in Syrien weiter gesteckt als bloße Terrorbekämpfung. Washington will verhindern, dass der Iran, den US-Präsident Donald Trump als neuen Hauptfeind ausgemacht hat, seine Macht weiter ausdehnen kann. Washington versucht über eine geplante kurdisch-arabische Truppe, die 30.000 Mann stark sein soll, seinen Einfluss im Norden Syriens zu wahren. Und zu verhindern, dass Syriens Präsident Assad im Verein mit Russland und dem Iran das ganze Land kontrolliert.

Die Version der USA klingt anders. Demnach seien die Luftschläge in der Nacht auf Donnerstag als Reaktion auf eine Offensive von Pro-Assad-Einheiten erfolgt. 500 Soldaten, unterstützt durch schwere Artillerie, Panzer und Boden-Boden-Raketen hätten am Ostufer des Euphrat, rund acht Kilometer von der Stadt Kusham entfernt, angegriffen. Das Gebiet wird von syrischen Oppositionellen (SDF) gehalten, die es zuvor vom IS erobert hatten. Dort sind auch zahlreiche US-Soldaten stationiert, die die syrischen Rebellen unterstützen.

Ein US-Vertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte, meinte, dass die prosyrischen Truppen versucht hätten, das Gebiet rund um das Ölfeld Chuscham zu erobern. Ob die Angreifer auch von russischen Soldaten, afghanischen oder tschetschenischen Söldnern unterstützt wurden, bleibt offen.

Russland musste zuletzt den Abschuss eines seiner Kampfjets über Rebellengebiet verkraften. Am Donnerstag wurde der getötete Pilot in der Nähe von Moskau feierlich zu Grabe getragen. Die Frage, woher die Rebellen die tragbaren Fliegerabwehrraketen haben, bleibt im Raum. Auch die USA kommen in Frage.

Der UN-Sicherheitsrat wollte sich noch am Donnerstag mit der explosiven Lage in Syrien befassen und über eine einmonatige humanitäre Waffenruhe beraten. Denn die syrische Armee intensiviert ihre Angriffe auf ein Gebiet östlich von Damaskus, das von Rebellen gehalten wird.

Tillersons Mission

Im Norden Syriens droht unterdessen das Aufeinandertreffen zweier Nato-Staaten. Entscheidend wird, ob der direkte Draht zwischen der Türkei und USA intakt bleibt. Für Präsident Recep Tayyip Erdogan ist der türkische Einmarsch in die Provinz Afrin eine reine "Aufwärmübung", dann werde es "weitere Schritte" geben. Er droht, die Offensive auf die Stadt Manbij auszudehnen. Dort stehen allerdings US-Soldaten, um eine lautstarke Kollision zu vermeiden, werden kommende Woche US-Außenminister Rex Tillerson und Sicherheitsberater H.R. McMaster zu Gesprächen nach Ankara reisen.