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"Die Schnellen fressen die Langsamen"

Von Michael Schmölzer aus München

Politik
In München wurde bei dichtem Schneetreiben gegen das Treffen der "Reichen und Mächtigen" protestiert.
© Michael Schmölzer

Kurz plädiert in München für "geeinte Vielfalt". Gabriel stemmt sich gegen US-Forderungen. Auf der Straße wird demonstriert.


München. Einige Steinwürfe vom Austragungsort der Münchner Sicherheitskonferenz entfernt versammelte sich am Samstag eine beachtliche Menge an Demonstranten. Sie protestierten bei dichtem Schneetreiben gegen das Treffen der "Reichen und Mächtigen", einträchtig marschierten Mitglieder der deutschen Linken, kirchliche Vereine und Mitglieder der Friedensbewegung. Sicherheit bedeute auf der Konferenz vor allem "Sicherheit der Profite", die Teilnehmer würden die Welt ruinieren und dabei Champagner trinken, meinte lautstark eine Aktivistin. Andere skandierten "hoch die internationale Solidarität" und "alle Besatzer raus aus Kurdistan". Die Ausbeutung der Natur habe nichts mit Sicherheit zu tun sondern sei Barbarei, so eine andere Aktivistin. Angerückte Alarmabteilungen der Polizei beobachteten das Treiben.

Die Demonstranten hätten nicht schlecht gestaunt, hätten sie gewusst, dass der französische Ministerpräsident Edouard Philippe zeitgleich vor 20 Regierungschefs und 80 Ministern ein Trotzki –Zitat zum Besten gab: "Wenn Europa sich nicht für den Krieg interessiert wird sich der Krieg für Europa interessieren", so Philippe mahnend. Der Franzose wollte das freilich als Appell für ein militärisch handlungsfähiges Europa im Angesicht russischer Bedrohung verstanden wissen.

Politiker im Nadelstreif dominieren das Bild

Auf der Sicherheitskonferenz, die am Sonntag zu Ende geht, sind Pazifisten und Linke eindeutig in der Minderheit. Das Bild prägen Diplomaten, Politiker im Nadelstreif, Bundeswehr-Generäle, Ex-Staatsmänner und Marineoffiziere. Wie schon am Freitag fand sich auch diesmal Österreichs Altkanzler Wolfgang Schüssel ein, auch der tschechische Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg war anwesend.

Der politisch angeschlagene deutsche Außenminister Sigmar Gabriel warnte in seiner Rede eindringlich vor China, das weltweit ein "alternatives System" etablieren wolle, das mit Freiheit und Demokratie nichts zu tun habe. Nötig sei ein starkes, vereintes Europa, das sich dem entgegenstelle.

Gabriel kritisierte den Isolationskurs der USA mit einem interessanten Rückgriff in die Geschichte: In den 30er-Jahren des 15. Jahrhunderts habe sich Europa aufgemacht, per Schiff die Welt zu entdecken, während China wegen interner Probleme seine Flotte eingemottet habe. Heute stehe man wieder an so einer Wegscheide – "wie werden uns Historiker in 600 Jahren beurteilen?", so Gabriel. Und der SPD-Politiker zeigte sich skeptisch, was die US-Forderung betrifft, dass jedes Nato-Land zwei Prozent seines BIP in Verteidigung investieren soll. Angesichts der wirtschaftlichen Größe Deutschlands würde das bedeuten, dass Deutschland unausweichlich zu Europas Militärmacht Nummer eins aufsteigen würde. Er sei sich nicht sicher, ob alle europäischen Partner das begrüßen würden, so Gabriel.

Junckers Premiere in München

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker - er war das erste Mal Gast auf der Sicherheitskonferenz - wies darauf hin, dass die EU grundsätzlich nicht für "Weltpolitikfähigkeit" gebaut sei. Die EU-Länder gesamt würden 50 Prozent der US-Verteidigungsausgaben leisten, die Effizienz betrage aber nur 15 Prozent. Es gäbe zu viele verschiedenen Waffentypen, innerhalb der europäischen Verteidigungszusammenarbeit, das Beschaffungswesen müsse gestrafft werden. "Wir müssen uns emanzipieren, aber nicht gegen die Nato und die USA, sondern ergänzend", so Juncker.

Geht es nach dem EU-Kommissionspräsidenten, soll das Einstimmigkeitsprinzip der EU in außenpolitischen Fragen bald der Vergangenheit angehören. Es sei mittlerweile unmöglich, irgendwo eine einheitliche Position zu beziehen. Zudem forderte er eine neue Entschlossenheit in Fragen der Verteidigung. Auf den Vorschlag der britischen Premierministerin Teresa May, dass es nach dem Brexit eine umfassende "Sicherheitsallianz" Großbritanniens mit der EU geben sollte, begrüßte Juncker. Das Abkommen soll es nach Ansicht Mays schon 2019 geben und alle Sicherheitsbereiche umfassen – auch Datenaustausch und bilaterale Abkommen mit einzelnen EU-Ländern. Wichtig sei, dass die Souveränität Großbritanniens und der EU respektiert werde.

Das klinge alles sehr kompliziert, meinte Wolfgang Ischinger, der Organisator der Konferenz zu May. Warum eigentlich sei Großbritannien nicht in der EU geblieben, so der Ex-Botschafter zur Premierministerin, deren Tage im Amt möglicherweise gezählt sind.

Sebastian Kurz wünscht sich mehr Sicherheit

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz wies in seiner Rede darauf hin, dass er als Österreicher in einer Atmosphäre "gottgegebener Sicherheit" aufgewachsen sei, doch wäre Sicherheit heute nicht mehr so selbstverständlich. Er verwies auf den kriegerischen Konflikt in der Ukraine, auf den Arabischen Frühling, der sich zum "Arabischen Winter" gewandelt habe und den Migrationsdruck aus Afrika. Die USA zögen sich zurück, China fülle die Lücke. "Die Schnellen fressen die Langsamen auf in dieser Welt", zog Kurz Bilanz.

Die EU müsse reagieren, man müsse in "Vielfalt geeint, statt in Gleichheit getrennt" sein. Der Kanzler verwies einmal mehr auf die Bedeutung geschützter EU-Außengrenzen und der christlich-jüdisch-aufklärerischen Tradition Europas. Ein Statement, dem der französische Premier Philippe nichts abgewinnen konnte. Frankreich sei ein laizistischer Staat, man greife hier nicht auf religiöse Werte zurück. Man kenne die gemeinsame Geschichte, Religion sei früher wichtig gewesen, so Philippe.

Binali Yildrim verteidigt "türkische Ohrfeige"

Der türkische Premier Binali Yildrim verteidigte in München die Androhung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, den US-Soldaten in Syrien eine "türkische Ohrfeige" zu verpassen. Durch die Unterstützung der kurdischen YPG in Nordsyrien hätten sich die USA "kriegerisch gegen uns gewandt". Wenn die Nato mit einer Terrororganisation zusammenarbeite, dann sei das "schwer für uns zu verstehen". Immerhin verteidige man mit dem militärischen Engagement in Syrien die Südgrenze der Nato. Der russische Außenminister Sergej Lawrow beklagte im Anschluss, dass es in Europa Versuche gäbe, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren und das "Andenken derer zu zerstören, die den Faschismus bekämpft" hätten.

Auf die Frage, was er damit meine, sagte Lawrow, dass "in Nordeuropa" Neonazi-Symbole verwendet würden, die dann auch in der Ukraine auftauchten und "Märsche mit hoher Symbolik" abgehalten würden. Die Rechte von russischen Minderheiten würden nicht geachtet, es gäbe Angriffe auf die russisch-orthodoxe Kirche, die nationalistisch, auch nationalsozialistisch gefärbt seien. Generell sei der Westen an der Verschlechterung der Beziehungen schuld. Schon nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe der Westen Russland "wie einen Schüler" behandelt.

Warnung vor "Schurkenstaaten"

Schließlich bezeichnete der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, H.R. McMaster, analog zu US-Präsident Donald Trump Nordkorea, Syrien und den Iran als "Schurkenstaaten". Teheran etabliere überall Stellvertreter-Milizen, wie die Hisbollah in Syrien und unterminiere damit die Stabilität in der Region. Diese Netzwerke würden "immer fähiger", weil sie vom Iran zunehmend mit Waffen versorgt würden. Eine russische Einmischung in die Präsidentenwahl 2016 hält McMaster mittlerweile für eine "unumstößliche" Tatsache. US-Sonderermittler Robert Mueller hat zuletzt Anklage gegen 13 Russen erhoben, die sich aber nicht in den USA befinden. Trump hat die Vorwürfe einer russischen Einmischung bisher hartnäckig als "Erfindung" abgetan. Die Frage ist, ob sich Trump demnächst selbst einem "Gespräch" mit Mueller wird stellen müssen.