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Türkischer Vorstoß auf Afrin bleibt stecken

Von Michael Schmölzer

Politik

Milizen des Assad-Regimes könnten den Kurden zu Hilfe kommen. Ankara will eine militärische Konfrontation vermeiden.


Ankara/Damaskus/München. Die Türkei stößt in Nordsyrien auf neue Probleme. Die Kurdenmiliz YPG, die von Ankara bekämpft wird, bekommt jetzt Unterstützung von der syrischen Armee oder von regierungstreuen Milizen. Die Führung in Damaskus hat den türkischen Einmarsch auf ihr Territorium als kriegerischen Akt gewertet und scharf verurteilt. Bereits am Montag sollen erste syrische Kämpfer in Richtung Afrin marschiert sein. Schon in den vergangenen Tagen hatten dort die Kurden über einen südöstlichen Korridor Richtung Aleppo Verstärkung erhalten - mit Billigung des syrischen Regimes.

Die Frage ist, ob die syrische Armee die YPG kontrollieren will, oder ob Einheiten von Präsident Bashar al-Assad gemeinsam mit den Kurden gegen die Türkei kämpfen. Im ersten Fall könnte Ankara den türkischen Einmarsch als Erfolg verkaufen, ein autonomes Kurdistan wäre dann stark in Gefahr. Tritt Zweiteres ein, hat der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit militärischer Gewalt auch gegen Assads Armee gedroht.

Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die Türkei eine direkte Konfrontation sucht. Das schon deshalb, weil die Regimekräfte vom Kreml unterstützt werden. Somit stünden die Türken in Syrien nicht nur den USA gegenüber, sondern auch Russland. Am Montag telefonierten der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin, um die gefährliche Situation zu entschärfen.

Die syrischen Truppen und die YPG haben bis jetzt militärische Zusammenstöße vermieden. Assad will allerdings die Kontrolle über das ganze Land wiedererlangen, die Kurden fordern einen autonomen Staat im Norden, wo sie sich festgesetzt haben. Sie werden von den USA unterstützt, die hoffen, künftig eine Rolle zu spielen, und den wachsenden Einfluss des Iran für gefährlich halten.

Die vom Iran unterstützte Hisbollah kämpft Seite an Seite mit der syrischen Armee und Russland gegen die Rebellen. Besonders beunruhigt ist Israel. Premier Benjamin Netanjahu hat in München auch einen direkten Angriff auf den Iran nicht ausgeschlossen. Hier glaubt man, dass Teheran die Region mit einem Netz an Stellvertretern (wie die Hisbollah) überziehe.

Der türkische Vorstoß auf Afrin ist jedenfalls stecken geblieben, die Stadt ist in kurdischen Händen. Das Terrain ist gebirgig, die Kurden kennen hier jeden Quadratmeter. Dazu kommt, dass die YPG-Einheiten aus hochmotivierten Kämpfern bestehen. Die Türkei beklagt dutzende Gefallene, die kurdischen Verluste betragen ein Vielfaches. Durch die türkischen Luftangriffe sollen auch Zivilisten getötet worden sein. Das Ziel, die Provinz Afrin dauerhaft zu kontrollieren, dürfte Ankara trotzdem nicht erreichen.

Außenminister Cavusoglu sieht rot, wenn die Sprache auf syrische Kurden kommt: Auf der Münchner Sicherheitskonferenz betonte er, dass Ankara die Südgrenze der Nato "gegen Terroristen" verteidige, und das im Einklang mit dem Völkerrecht. Wer sich an die Seite der YPG stelle, sei als feindliche Kraft zu betrachten, so Cavusoglu in Richtung USA.

Der Feldzug wird in der Türkei selbst zum großen Propaganda-Event. Kritik am türkischen Vorgehen ist weder aus dem Ausland noch im Inland erwünscht. Wer in der Türkei gegen den Einmarsch Stellung bezieht, riskiert eine langjährige Haftstrafe. Seit dem Beginn der Militäroffensive wurden insgesamt 786 Menschen in der Türkei wegen "Terrorpropaganda" festgenommen.

Offensive gegen Rebellen

Zeitgleich bereitet die syrische Armee auf einen groß angelegten Sturm auf die Rebellenhochburg Ost-Ghouta vor den Toren von Damaskus vor. In den vergangenen Tagen hat die syrische Armee aus dem ganzen Land Verstärkung in die Region gebracht, zuletzt feuerten Regierungstruppen mehr als 240 Granaten binnen einer Stunde auf drei Orte in der Enklave. "Die Verstärkung ist da, jetzt fehlt nur noch grünes Licht für die Offensive", so Rami Abdel Rahman, der Leiter der in London ansässigen "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte".

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Alexei Puschkow, hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz jedenfalls bestritten, dass sich die Gewalt in Syrien einem neuen Höhepunkt annähert. Die Lage sei so ruhig wie nie zuvor, so Puschkow, es werde nur mehr lokal begrenzt gekämpft. Der Duma-Abgeordnete meinte zudem, dass es mittlerweile ein ganzes Netz an funktionierenden diplomatischen Kanälen gebe, was zur Deeskalation beigertragen habe. Dem Befund konnte der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Staffan de Mistura, nichts abgewinnen. Er sei besorgt, so der Diplomat, die Gewalt und die Einmischung ausländische Mächte hätten einen neuen Höhepunkt erreicht.