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"Wir stehen am Beginn eines nuklearen Rüstungswettlaufs"

Von Stephanie Liechtenstein

Politik

Für Sicherheitspolitikexperten Ulrich Kühn funktioniert die nukleare Rüstungskontrolle längst nicht mehr.


"Wiener Zeitung": Wie steht es derzeit um die weltweite nukleare Sicherheit?

Ulrich Kühn: Allgemein ist die Lage im Bereich der nuklearen Sicherheit sehr prekär. Ich würde sogar sagen, dass wir uns derzeit auf dem Tiefststand seit dem Ende des Kalten Krieges befinden. Konkret sind derzeit vor allem drei Regionen betroffen. Erstens Europa, wo ein zunehmender Konflikt zwischen den Nato-Staaten und Russland herrscht. Zweitens der Nahe Osten, wo durch den Iran Unsicherheit besteht. Und drittens Ostasien, wo das nordkoreanische Regime über Atomwaffen verfügt. Auf der eben zu Ende gegangenen Münchner Sicherheitskonferenz wurde klar, dass hier keinerlei Lösungsansätze in Sicht sind. Daher bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es wohl erst einmal noch etwas dunkler wird, bevor wir das Morgengrauen wiedersehen.

Kann durch das System der nuklearen Rüstungskontrolle hier etwas verbessert werden? Oder funktioniert dieses System derzeit nicht? Die USA sind etwa der Meinung, dass Russland den sogenannten INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme verletzt.

Im Jahr 2014 hat das US-Außenministerium einen angeblichen Test von bodengestützten Marschflugkörpern durch Russland öffentlich gemacht. Dieser Raketentyp wird generell als Erstschlagswaffe angesehen und würde tatsächlich eine Verletzung des INF-Vertrages darstellen. Nähere Details haben die USA aber nicht bekanntgegeben, wohl auch, um die eigenen Geheimdienstquellen zu schützen. Ganz allgemein kann man aber sagen, dass die nukleare Rüstungskontrolle derzeit eigentlich nicht funktioniert. Rüstungskontrollverträge erodieren zunehmend, und es gibt kaum Anstrengungen, diese Situation zu verbessern. Zusätzlich stellen wir derzeit nicht nur eine nukleare Modernisierung, sondern auch eine nukleare Aufrüstung, sowohl in den USA als auch in Russland, fest. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir stehen am Beginn eines nuklearen Rüstungswettlaufs.

Derzeit blickt die Welt vor allem besorgt auf die Lage in Ostasien und die zunehmende Anspannung um Nordkorea. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr einer Eskalation ein?

Die Gefahr einer sogenannten unbeabsichtigten Eskalation sehe ich definitiv als gegeben an. Die öffentlichen Aussagen der US-Regierung sind teilweise sehr scharf. Der Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, H.R. McMaster, hat etwa letztes Jahr gesagt, dass die klassische Abschreckungsstrategie in Bezug auf Nordkorea nicht zu funktionieren scheint. Dies hinzunehmen, sei für die USA inakzeptabel, hat er hinzugefügt. Das heißt dann in der Schlussfolgerung letztendlich nur Krieg. Die Frage, die sich mir hier stellt, lautet, wie wohl diese Aussagen in Nordkorea interpretiert werden. Oft reicht nur eine kleine Fehleinschätzung und aufgrund der extrem angespannten Lage kann es dann binnen kürzester Zeit zu einer massiven Eskalation kommen. Als Beispiel könnte man hier auch den im Jänner erfolgten falschen Raketenalarm auf Hawaii nennen. Dieser sorgte für mehr als eine halbe Stunde für Panik. Eine verbale Abrüstung auf beiden Seiten würde daher schon etwas helfen.

Sie haben bereits zu Beginn die Lage im Iran angesprochen. Auch hier scheint es ein Eskalationspotenzial zu geben. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Ich denke, wir werden demnächst die Einlösung des Wahlversprechens von US-Präsident Donald Trump erleben, nämlich den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran. Daraus könnte sich ein sehr gefährliches Szenario entwickeln.

McMaster hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt, dass aus Sicht der USA jedes Investment in den Iran ein Investment in die Revolutionsgarden bedeutet.

Genau. Wir können daher davon ausgehen, dass die USA nach ihrem möglichen Ausstieg aus dem Atomwaffendeal sämtliche Firmen, die mit dem Iran Geschäfte machen, sanktionieren werden. Viele europäische Firmen, die mit dem Iran ihre Geschäftsbeziehungen seit dem Fall der Sanktionen intensiviert haben, unterhalten natürlich auch enge wirtschaftliche Beziehungen mit den USA. Hier stellt sich die Frage, ob sich diese großen Konzerne das Geschäft mit den USA entgehen lassen werden.

Wie könnte der Iran auf eine solche Entwicklung reagieren?

Nach meiner Kenntnis hat sich der Iran bisher an sämtliche Auflagen und Kontrollen des Atomabkommens gehalten. Wenn plötzlich die wirtschaftlichen Kontakte mit dem Iran wieder abgebrochen werden, so denke ich nicht, dass Teheran noch weiter ein Interesse hat, die Bestimmungen des Vertrages zu erfüllen. Somit könnte der Iran den USA einen Vorwand liefern, militärisch einzugreifen. Dieses Szenario wünsche ich mir nicht. Es wird hauptsächlich von Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Russland und China abhängen, ob dieser Vertrag weiter am Leben bleibt, oder völlig auseinanderbricht.

Ulrich Kühn

ist Experte am Wiener Zentrum für Abrüstung und Nichtverbreitung von Nuklearwaffen (VCDNP). Kühn hat auch für das deutsche Außenministerium gearbeitet und publiziert regelmäßig in den wichtigsten Fachjournalen.