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Gott ist rot

Von Wolfgang Liu Kuhn

Politik

Papst Franziskus bemüht sich um eine Annäherung an China und ist zu Zugeständnissen bereit, um der Volksrepublik entgegenzukommen. Das Land gilt als der letzte spirituelle Marktplatz der Welt. Der pragmatische Zugang stößt auf Kritik.


Peking/Wien. "Für mich ist China immer eine Referenzmarke für Größe gewesen. Ein großes Land. Aber weit mehr als ein großes Land, ist es eine große Kultur, mit einer unerschöpflichen Weisheit" - so äußerte sich Papst Franziskus vor einigen Jahren in einem Interview mit der "Asia Times" über die Volksrepublik.

Die gelbe Erde Chinas durfte der Pontifex bisher zwar nicht küssen, aber zumindest überfliegen. 2014 gewährte China zum ersten Mal den Überflug einer päpstlichen Maschine durch seinen Luftraum, 2015 ein zweites Mal. Im traditionellen Telegramm an China während des Überflugs erbat Papst Franziskus den göttlichen Segen für Frieden und Wohlergehen Chinas und erklärte, er sei bereit, China jederzeit zu besuchen.

Wobei der Ausdruck eher als Untertreibung gelten darf, denn nach keinem anderen Land verzehrt sich die päpstliche Sehnsucht derzeit mehr - und dafür ist Franziskus auch bereit, Opfer zu bringen. Opfer, die sowohl für innerkirchliche Debatten als auch diplomatische Irritationen sorgen dürften. Auslöser der aktuellen Diskussionen ist ein Bericht des "Wall Street Journal", wonach das Oberhaupt der katholischen Kirche in einem Zugeständnis an die Führung in Peking sieben Bischöfe der Staatskirche anerkennen könnte. Besagte Würdenträger gelten als exkommuniziert, was komplizierte historische Hintergründe hat.

"Patriotische Katholiken" leben neben der Untergrundkirche

In China existiert eine katholische Parallelwelt, in der es neben der 1957 von den Kommunisten gegründeten "Patriotischen Vereinigung der Katholiken Chinas" auch eine vom Vatikan unterstützte Untergrundkirche gibt. Sie soll mehr Mitglieder haben als die offizielle Amtskirche, obwohl sie offiziell verboten ist - wenn auch mehr oder weniger geduldet. Zwischen der Volksrepublik China und dem Vatikan herrscht seit 1951 Eiszeit, unter Parteichef Mao Zedong waren die diplomatischen Beziehungen gekappt worden.

Daran hat sich bis heute nichts geändert, der Vatikan ist der letzte europäische Staat, mit dem die Volksrepublik seit der Öffnung des Landes keine offiziellen Kontakte pflegt.

Franziskus möchte dies ändern und begibt sich deshalb auf das kirchenpolitisch verminte Feld der Bischofsernennungen. Nach kirchlichem Recht kann diese allein der Papst vornehmen, damit die Einheit der Glaubensgemeinschaft gewahrt bleibt. Aus diesem Grund wurden auch die sieben chinesischen Bischöfe exkommuniziert, da sie gegen den Willen des Papstes ihre Ernennungen durch die chinesische Staatskirche angenommen haben.

Deren Anerkennung soll nun Teil einer angebotenen Abmachung sein, wonach Peking dem Papst im Gegenzug ein Vetorecht bei der Auswahl der Kandidaten für Bischofsposten der Staatskirche einräumen könnte. Seit Jahren wird an einer solchen Vereinbarung gearbeitet, im Dezember war auch eine Delegation des Vatikans zu Besuch in China. Dabei sollen zwei Bischöfe der Untergrundkirche unter Druck gesetzt worden sein, ihre Positionen zugunsten von Vertretern der Staatskirche zu räumen. Dagegen regt sich nun Widerstand.

Insbesondere der pensionierte Bischof von Hongkong, Kardinal Joseph Zen, machte seinem Unmut öffentlich Luft. Der auch als "Winterlöwe" bekannte Geistliche warf der Kirche "Ausverkauf" vor und warnte, sich angesichts der Verfolgung und Unterdrückung der Untergrundkatholiken einem "totalitären Regime" zu ergeben. Ein Sprecher des Vatikans reagierte scharf und sprach von Kirchenvertretern, die "Verwirrung und Streit fördern" würden.

Hongkongs Winterlöwe als Stimme der Verfolgten

Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin verteidigte die Bemühungen des Vatikan als "realistische seelsorgerische Lösungen" für die Katholiken in China, woraufhin der 88-jährige Zen nachlegte: Parolin sei ein "kleingläubiger Mann", bei dem er sich nicht sicher sei, ob er wisse, was "echtes Leiden" sei, in Anspielung auf verfolgte chinesische Katholiken.

Warum also riskiert Papst Franziskus diese offenen Konflikte - und einen Bruch mit Taiwan, zu dem der Vatikan als eines der wenigen Länder der Welt diplomatische Beziehungen unterhält? Dafür sprechen zunächst einmal die bloßen Zahlen, denn in China wird die Zahl der Katholiken auf zwischen 10 und 15 Millionen geschätzt. Zum Vergleich: Auf Taiwan gibt es derzeit 300.000 praktizierende Katholiken, womit man eine pragmatische Lösung vor Gott etwas leichter verantworten kann - der Vatikan hat von sich aus angeboten, seine Apostolische Nuntiatur von Taipeh nach Peking zu verlegen. Somit wiegt das diplomatische Gewicht dieser Entscheidung mindestens ebenso schwer wie das seelsorgerische - schließlich unterhält der Vatikan ein diplomatisches Corps, das insbesondere in der Ära Franziskus Wert darauf legt, als Stimme des Gewissens gehört zu werden. Und der Papst weiß, dass er auf der internationalen Bühne zunehmend ins Hintertreffen gerät, wenn er ausgerechnet zur aufstrebenden Supermacht China keinen direkten Zugang hat.

Jesuitenorden brachte Katholizismus nach China

Zudem sollte man auch die persönliche Motivation von Jorge Mario Bergoglio nicht unterschätzen - schließlich ist er der erste Papst, der dem Jesuitenorden angehört. Das ist jener Orden, der vor knapp 500 Jahren den römisch-katholischen Glauben nach China brachte. Es gibt in der katholischen Psyche eine tief gehende Chinaromantik, die sich durch legendäre Missionare wie Matteo Ricci und den heiligen Franz Xaver nährt. Und das Missionspotenzial in China ist enorm, das offiziell atheistische Land gilt mit all seinen Brüchen und Verwirrungen als der letzte spirituelle Marktplatz der Welt. Die Konkurrenz auf diesem Markt ist längst auf der Überholspur, die Zahl der Protestanten beispielsweise wird in China auf zwischen 60 und 100 Millionen geschätzt.

Das letzte Wort hat die Behörde für religiöse Angelegenheiten

So sehr sich Papst Franziskus nun also um einen Konsens bemüht: Die Entscheidung fällt im Endeffekt nicht der Pontifex, sondern Chinas staatliche Verwaltung für religiöse Angelegenheiten. Dort haben traditionell die ideologischen Hardliner das Sagen, die ausländischen Einfluss fürchten.

Staats- und Parteichef Xi Jinping hat zudem die Gründe für den Untergang des Ostblocks in Europa genau unter die Lupe genommen. Ihm wird nicht entgangen sein, welche Rolle die katholische Kirche dabei gespielt hat.