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Demokratie weltweit unter Druck

Von Thomas Seifert

Politik

Experten sehen die Demokratie massiv gefährdet. Österreich liegt aber unter den Top-15 der "vollen Demokratien".


London/Washington/Wien. "Es ist seltsam mit der Demokratie: Jeder scheint sich danach zu sehnen, aber keiner glaubt mehr daran", schreibt der belgische Autor und Historiker David Van Reybrouck in seinem Buch "Gegen Wahlen - Warum Abstimmen nicht demokratisch ist". Er bezieht sich darauf, dass in den groß angelegten Studien, wie etwa dem World Values Survey, bei dem in den vergangenen Jahren mehr als 73.000 Menschen aus 57 Ländern befragt wurden, nicht weniger als 91,6 Prozent die Frage, ob Demokratie eine gute Art und Weise sei, das Land zu regieren, bejahen. Van Reybrouck hält diese Demokratiebegeisterung für "schlichtweg spektakulär, zumal wenn man bedenkt, dass die Demokratie vor noch nicht einmal siebzig Jahren besonders schlecht dastand. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gab es auf der Welt infolge von Faschismus, Kommunismus und Kolonialismus lediglich zwölf vollwertige Demokratien. Die Zahl stieg langsam an. 1972 existierten 44 freie Staaten, 1993 waren es 72. Heute sind von insgesamt 195 Ländern 117 Wahldemokratien."

Noch nie zuvor gab es so viele Demokratien - und dennoch ist die Demokratie weltweit in der Krise. Aus den Daten des World Values Survey geht nämlich auch hervor, dass in den vergangenen zehn Jahren der Ruf nach starken Führern, "die keine Rücksicht auf Wahlen oder das Parlament zu nehmen brauchen", weltweit lauter geworden ist und dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Parlamente, Regierungen und politische Parteien auf einem historischen Tiefstand ist. Van Reybrouck schreibt in seinem Buch "Gegen Wahlen": "Es scheint, dass man der Idee Demokratie zwar gewogen ist, aber nicht deren Praxis oder zumindest nicht der heutigen Praxis."

Der Tod der Demokratie?

Besonders ernüchternd ist, dass in Ländern, in denen die Demokratie zum Teil blutig erkämpft worden ist - wie etwa in Ungarn oder Polen -, diese nun auf dem Prüfstand steht. Der Arabische Frühling, der die Hoffnung auf einen Demokratieschub im Nahen Osten nährte, ist zum arabischen Winter erstarrt. Und die etablierten Demokratien Westeuropas und der USA werden von einer stillen Revolte erschüttert: Nicht wenige Wählerinnen und Wähler stimmen für Politiker, die versprechen, das System der liberalen Demokratie zu zerstören. Der britische Journalist Edward Luce, Chefkommentator der "Financial Times" für die USA, warnt in seinem viel diskutierten Buch "The Retreat of Western Liberalism" davor, davon auszugehen, dass in der Post-Trump-Ära schon wieder alles gut werde: Es könne genausogut sein, dass US-Präsident Donald Trump "die Schuld auf die Eliten, Ausländer, den Islam, Minderheiten, Richter und andere Saboteure schiebt. Denn so arbeiten Populisten". Luce zeichnet ein pessimistisches Bild. Denn einerseits würden die Populisten das Vertrauen in die Demokratie massiv schwächen, andererseits würde auch eine an Oikophobie (Hass auf das Eigene, Antonym zu Xenophobie, Hass auf das Fremde, Anm.) leidende Elite der Demokratie immer mehr misstrauen.

Die beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt warnen in ihrem vor wenigen Wochen erschienen Buch "How Democracies Die" davor, dass "die Demokratie nicht von Generälen, sondern von Präsidenten oder Premierministern umgebracht werden könnte, die genau jenen Prozess, der diese an die Macht gebracht hat, unterminieren". Levitsky und Ziblatt verweisen auf Beispiele wie Hugo Chávez in Venezuela und Viktor Orbán in Ungarn, sie nennen die Philippinen, Polen oder die Türkei. "Die Erosion der Demokratie geschieht für die meisten Bürger so gut wie unmerklich", schreiben Levitsky und Ziblatt.

Der vor kurzem von der Economist Intelligence Unit vorgestellte "Democracy Index 2017" drückt den Rückzug der Demokratie in Zahlen aus: Die Economist-Analysten haben festgestellt, dass der Demokratie-Index-Wert (den die Forscher seit zehn Jahren erheben) im globalen Mittel im Jahr 2017 von 5,42 auf den Indexwert 5,48 gefallen ist.

"Volle Demokratie" in Österreich

In keiner einzigen Region hat sich der Zustand der Demokratie im Jahr 2017 im Vergleich zum Jahr 2016 verbessert. Zwar lebt rund die Hälfte der Weltbevölkerung in einer Demokratie (49,3 Prozent), aber nur 4,5 Prozent leben in einer "Vollen Demokratie". 2015 lag dieser Wert noch bei 8,9 Prozent, 2016 wurden aber die USA von einer vollen Demokratie zu einer "Mangelhaften Demokratie" heruntergestuft. Ein Drittel er Weltbevölkerung lebt unter einer "autoritären Führung", wovon die chinesische Bevölkerung den größten Teil dieses Segments ausmacht.

Österreich gehört übrigens zur Gruppe der "Vollen Demokratien" und liegt auf Platz 15 - hinter Großbritannien, Deutschland, Luxenburg, den Niederlanden und der Schweiz. Auf Platz eins finden sich Norwegen, dahinter Island, Schweden, Neuseeland, Dänemark, Irland, Kanada und Australien. Die Autorinnen und Autoren der Studie weisen darauf hin, dass die Redefreiheit in vielen Ländern unter Druck steht. Nur 30 von 167 untersuchten Ländern (die 11 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) werden als "völlig frei" klassifiziert. Weitere 40 Länder, die 34,2 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, werden als "teilweise frei" eingestuft und weitere 97 Länder werden in puncto Presse- und Meinungsfreiheit als "unfrei oder großteils unfrei" bewertet.

Die beiden Politikwissenschafter Christopher Achen von der Princeton-Universität und Larry M. Bartels von der Vanderbilt Universität appellieren in ihrem Buch "Democracy for Realists", dass es unbedingt erforderlich sei, etwas gegen die ökonomische und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft zu unternehmen, um der Demokratie wieder mehr Leben einzuhauchen.