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"Trumps Zölle ernst nehmen"

Von Thomas Seifert

Politik
Michael Lind im Amerika-Haus.
© Thomas Seifert

Die Welt driftet in einen neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China sowie Russland.


"Wiener Zeitung": US-Präsident Donald Trump macht mit den Strafzöllen Ernst. Wohin könnten diese Maßnahmen führen, gar zu einem Handelskrieg?

Michael Lind: Natürlich muss man Donald Trumps Zölle ernst nehmen - und zwar sowohl vom Symbolgehalt her als auch von der Substanz. Trump verdankt seinen Sessel im Oval Office des Weißen Hauses den Wählern der Industriezonen des Mittleren Westens, die von Import-Konkurrenz und Offshoring schwer getroffen worden sind. Er hat während seiner Wahlkampagne versprochen, dass er alles daransetzen würde, dass es in diesen Regionen zu einer industriellen Renaissance kommt. Dazu kommt, dass Trump eine Weltsicht eines, nennen wir es "feindseligen Realisten" hat, in der die Weltmächte in einem Nullsummenspiel gegeneinander konkurrieren. Genauso wie die Mauer an der mexikanischen Grenze ein Symbol seines Nationalismus ist, gehen Zölle in genau dieselbe Richtung. Das Faktum, dass das liberale, internationalistische Establishment in beiden Parteien entschieden gegen diese Zölle auftritt, ist übrigens ein Segen für einen Anti-Establishment-orientierten, nationalistischen Populisten wie Trump.

Trump betont immer wieder, dass die USA von Ländern wie China, aber auch von Verbündeten wie Deutschland, Südkorea oder Japan über den Tisch gezogen worden seien. Wie kommt er auf diese Idee?

Trumps Background ist nicht in der Politik, sondern er war zeit seines Lebens Geschäftsmann, und es war stets Teil seiner Verhandlungsstrategie, dass theatralische öffentliche Statements einer Einigung in Verhandlungen vorangingen. Für einen Diplomaten oder einen traditionellen Politiker ist so eine Vorgangsweise ziemlich ungewöhnlich, aber es verschafft Trump den Vorteil, dass er damit seiner Wählerschaft zeigen kann, dass er auf ihrer Seite ist. Zurückrudern kann man dann immer noch.

Ist für die Zukunft eine noch größere Fragmentierung der Weltwirtschaft zu erwarten?

Wenn man davon ausgeht, dass China in Zukunft ein immer wichtigerer militärischer Faktor sein wird, warum sollte man dann die Produktion nach China oder auch in Länder in der unmittelbaren Nachbarschaft zu China, wie etwa Südkorea, Taiwan oder Japan, auslagern, die allesamt Chinas Groll zu fürchten haben, wenn sie sich einmal gegen Peking stellen? Wir bewegen uns in Richtung einer multipolaren Weltordnung. Ursprünglich hatte man geglaubt, dass nach dem Kalten Krieg, der Periode der Pax Americana, eine Win-win-Situation entstehen würde mit einem integrierten globalen Markt. Nun wird die Welt erneut von zwei Supermächten dominiert, von den USA und China. Das Bruttosozialprodukt Chinas entspricht heute ungefähr jenem der USA oder der Europäischen Union. Und auch militärisch ist China die Nummer zwei. Die Frage ist nun: Kann man eine liberale Weltwirtschaftsordnung aufrechterhalten, wenn es keine Hegemonialmacht gibt, die bereit ist, im Interesse der Aufrechterhaltung dieses Systems einen Teil der Kosten zu tragen? Wenn wir in Richtung eines zweiten Kalten Krieges gehen, dann sind auch gegenseitige Handelsembargos, Sanktionen, Spionage und Handelskriege zu erwarten. Das ist leider ein Szenario, dass derzeit als sehr realistisch zu werten ist.

Wie sieht die Aufstellung in so einem neuen Kalten Krieg aus?

Auf der einen Seite stehen China und Russland, auf der anderen Seite die USA. Aber wo steht Europa? China ist für die Europäer ja keine militärische Bedrohung, wie es die Sowjetunion war. Zugleich ist festzustellen: Amerika wird europäischer, Europa wird amerikanischer, und sowohl Europa als auch die Amerika werden mehr wie Lateinamerika.

Was meinen Sie damit?

Amerika war immer viel religiöser als Europa. Das ändert sich: Ein Viertel der jungen Generation in den USA fühlt sich nicht einer bestimmten Religion zugehörig. Amerika wird rasch säkular - so, wie Europa es schon heute ist. Europa wiederum wird durch Migration amerikanischer. Es wird multiethnischer und multireligiöser.

Und was meinen Sie damit, dass sowohl Europa als auch die USA lateinamerikanischer werden?

Die politische Kluft zwischen Links und Rechts wird durch eine neue Spaltung zwischen Insidern und Outsider ersetzt. Einer gut ausgebildete Minderheit geht es in der modernen Wirtschaft ganz gut, während eine viel größere Gruppe von nicht so gut ausgebildeten Männern und Frauen, die auch nicht besonders in die Weltwirtschaft integriert ist, nicht das Gefühl hat, dass sie vom Welthandel oder Migration profitieren können. Letztere Gruppe hat dazu ein anderes Informationsverhalten. Für sie spielt Fernsehen und vor allem Fernsehunterhaltung eine viel größere Rolle als für Universitätsabsolventen. Und das ist auch der Grund, warum Leute wie Silvio Berlusconi oder Beppe Grillo in Italien oder Donald Trump in den USA oder der 2016 verstorbene Bürgermeister von Toronto, Rob Ford, bei diesen Gruppen erfolgreich sind. Diese Politiker-Typen sind empörend, extravagant und extrem. Sie wenden sich an die "normalen Leute" und treten gegen das sogenannte Establishment auf. Diese Form des Populismus kannte man früher eher in Lateinamerika als in Europa oder den USA. Dazu kommt die soziale Schere, die in Europa, noch viel stärker in den USA immer weiter auseinanderklafft - ein Phänomen, das man in Lateinamerika schon lange kennt.

Inwieweit geht diese Polarisierung auf das Versagen von Eliten zurück?

In den 1990ern begann eine Restrukturierung der internationalen Ordnung durch die Eliten. Macht wurde von demokratisch legitimierten nationalen Regierungen, hin zu nicht demokratisch legitimierten, transnationalen Institutionen verlagert. Denken Sie etwa an den Maastricht-Vertrag, denken Sie an die Gründung der Welthandelsorganisation WTO. Konzernen fiel es leichter, Produktionsstätten in Niedriglohnländer zu verlagern. Die Früchte der Globalisierung nutzten vor allem den kosmopolitischen, urbanen Eliten. Die Lasten wurden vornehmlich auf den Schultern von geringer qualifizierten Arbeitern abgeladen.

... die nun rebellieren?

Es ist die Revolte der "Bedauernswerten", wie die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton diese Leute - vornehmlich Unterstützer von Donald Trump - in einer Rede im Jahr 2016 genannt hat. Diese Revolte richtet sich wiederum gegen die Revolution, die die Eliten in den neunziger und Nuller Jahren entfacht haben.

Michael Lind (geb. am 23. April 1962) ist einer der Mitbegründer der US-Denkfabrik New America Foundation in Washington, DC und ist einer der Co-Autoren des Manifests dieses Thinktanks, das im Jahr 2001 unter dem Titel "The Radical Center" erschien.

Lind schreibt Kolumnen für Salon und Beiträge für "Politico", "The Nation Interest" und andere Pulikationen und war für den "New Yorker", "Harper’s Magazine" und "The New Republic" tätig. Er hat eine Zahl von Büchern zur US-Geschichte, politischer Ökonomie und Außenpolitik geschrieben. Er war auf Einladung des Amerika-Hauses in Wien.