Zum Hauptinhalt springen

Chronik eines angekündigten Wahlsiegs

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Wenig überraschender Erdrutschsieg von Abdel Fattah al-Sisi gegen Moussa Mustafa Moussa. 90 Prozent stimmten für Sisi.


Kairo. Der Ataba-Platz im Herzen von Kairo ist der wohl derzeit pulsierendste Platz der ägyptischen Hauptstadt. Von hier ging 1952 der Aufstand der Bewegung Freier Offiziere unter der Führung Gamal Abdel Nassers aus. Was die Ägypter danach Revolution nannten, war eigentlich ein Militärputsch, so wie auch die Revolte am Tahrir-Platz 2011. Am Ataba-Platz stand damals der britische Offiziersclub, den die aufständischen Offiziere stürmten und niederbrannten. Das bedeutete das Ende des britischen Mandats am Nil. Kurze Zeit später musste der König abdanken und ging ins Exil. So gesehen hat die Revolte am Ataba-Platz zumindest eine Veränderung in der politischen Landschaft Ägyptens bewirkt, was man von der am Tahrir-Platz nicht behaupten kann. Im Gegenteil. Viele sagen, dass es jetzt wieder so sei wie zu Zeiten Gamal Abdel Nassers.

Heute ist am Ataba-Platz ein riesiger Markt, wo es alles zu kaufen gibt. Von Kühlschränken über Fernseher, Handys, Kleidung, Lampen, Werkzeuge: Einfach alles findet man hier. Die meisten Waren kommen aus China. Sie sind billig und für die immer ärmer werdenden Ägypter erschwinglich. Während in den besseren Vierteln Kairos wie Mohandessin, Dokki und Zamalek die Läden oft leer sind, haben die Händler auf dem Ataba-Platz alle Hände voll zu tun. Fast 30 Prozent der ägyptischen Bevölkerung leben unter dem Existenzminimum von zwei Dollar am Tag. Denen bleibt nur Ataba.

Der Putin vom Nil

Im Geschäft für Badezimmeraccessoires nimmt der Verkäufer das Geld für eine Armatur entgegen und schaut die Kundin entsetzt an. "Den kann ich nicht annehmen", raunt er und schiebt einen Hundert-Pfund-Schein zurück. "Wissen Sie, was da draufsteht?", fragt er sichtlich nervös. Als die Kundin den Kopf schüttelt, springt ein nebenstehender Kunde ein und flüstert: "Da steht drauf: Tod für Sisi!" Der Händler habe Angst vor der Staatssicherheit, erklärt der Kunde noch schnell. Wenn die den Schein hier finden, machen sie den Laden dicht. Dabei hat Abdel Fattah al-Sisi doch gerade die Präsidentschaftswahlen für weitere vier Jahre gewonnen. Ein Erdrutschsieg, wie ihn die ägyptischen Medien bejubeln. Im Laden neben dem Badezimmergeschäft laufen die Fernseher. Auf den Bildschirmen flimmern die vorläufigen Ergebnisse. Nach fast allen ausgezählten Stimmzetteln, außer denen aus dem Ausland, kommt der Amtsinhaber auf über 90 Prozent Zustimmung: 25 Millionen Stimmen sollen abgegeben worden sein, 23 Millionen für Sisi. Das ist zwar etwas weniger als beim letzten Mal, als 97 Prozent für Sisi gestimmt haben, aber immer noch mehr als kürzlich für Russlands Putin - Sisis Idol. Die Wahlbeteiligung lag bei den rund 60 Millionen Wahlberechtigten allerdings bei nur rund 41 Prozent - das ist weniger als im Jahr 2014. Sisis Konkurrent Moussa Mustafa Moussa war freilich ein seltsamer Gegenkandidat - er hat selbst noch im Wahlkampf seine Unterstützung für Sisis beteuert.

Ganz wie Putin in Moskau kultiviert auch Sisi in Kairo den Mythos eines allmächtigen, einsamen Entscheiders. Das zündet nicht nur in Russland, sondern auch am Nil. "Ägypten ist im Kommen", lautete denn auch die unumstößliche Botschaft für die Wahlen. Und das sei allein Abdel Fattah al-Sisi zu verdanken, suggerierte die Propaganda. Sisi ist überall und über allen: Überlebensgroß ziert er ganze Häuserfassaden. Er schüttelt Hände bei der Einweihung des zweiten Suezkanals 2015, einem seiner großen Prestigeprojekte. "Ein Geschenk für die Welt" nannte Sisi die erweiterte Wasserstraße, die Ägypten wieder neuen Glanz bescheren soll. Dass die Anzahl der Durchfahrten weit hinter den Erwartungen zurückbleibt und die für 2017 rückzahlbaren Kredite erst einmal gestundet wurden, erwähnt niemand. Auf dem nächsten Poster legt er den Grundstein für die neue Hauptstadt, die nächstes Jahr bezugsfertig sein und sechs Millionen Menschen beherbergen soll. Sisi hängt buchstäblich in jeder Ecke der ägyptischen Hauptstadt.

Allgegenwärtiger neuer Pharao

Aber auch wenn man aus Kairo herausfährt, verfolgt einem der neue Pharao überall hin. Sogar in der Wüste hängen Plakate, die zur Wahl Sisis aufforderten. Damit es nicht ganz so langweilig wird, wurde noch in buchstäblich letzter Minute ein Gegenkandidat benannt, der aber keine Chance hatte, nicht mal zwei Millionen Stimmen bekam und in der Öffentlichkeit kaum präsent war. Moussa Mustafa Moussa ist ohnehin Sisi wohlgesinnt und war von vornherein kein ernst zu nehmender Rivale. Die hat der 63-Jährige schon im Vorfeld aus dem Weg räumen lassen. Zwei seiner Armeekollegen, die gegen ihn antreten wollten, wurden kurzerhand verhaftet, vier weitere zivile Kandidaten zogen daraufhin ihre Kandidatur zurück - unter dem Druck, wie einer von ihnen bekannte, nachdem er Ägypten verlassen hatte. Die Vorgehensweise des Machtinhabers wird immer autokratischer. Auch hier scheint Sisi von Putin gelernt zu haben.

Die meisten blieben daheim

Doch trotz der Omnipräsenz des ehemaligen Generalfeldmarschalls der ägyptischen Armee, der vor vier Jahren seine Uniform auszog, um Nachfolger des von ihm gestürzten Islamisten Mohammed Mursi zu werden, blieben die meisten Ägypter zu Hause. Dabei wurde alles getan, um die 59 Millionen registrierte Wahlberechtigte an die Urnen zu treiben. Sie wurden mit Bussen von zu Hause abgeholt, man bot ihnen 28 Dollar an, wenn sie wählen gehen, und verteilte Lebensmittel wie Reis, Öl, Zucker und Brot in den Armenvierteln. Schließlich wurde die Schließung der Wahllokale am letzten Tag um eine Stunde verlängert, damit auch ja alle kommen könnten. Nichts half. Nur 39 Prozent gaben ihre Stimme ab, so wenig wie nie zuvor. Bei der letzten Wahl 2014, als es mit Hamdin Sabahi noch einen ernst zu nehmenden Wettbewerber gab, der vor allem von der Jugendbewegung vom Tahrir-Platz und den liberal-demokratischen Parteien unterstützt wurde, gingen immerhin noch fast 48 Prozent wählen. Zwei Jahre vorher, als Ägypten die bislang ersten und einzigen demokratischen Wahlen mit sechs Bewerbern verzeichnete, votierten 51 Prozent. Muslimbrüder und Lieberale hatten zum Boykott der Wahlen aufgerufen.