Zum Hauptinhalt springen

Marx-Statue aus dem Reich des Marxismus

Von Finn Mayer-Kuckuk aus Peking

Politik

Trier, die Geburtsstadt von Karl Marx, kommt zu dessen 200. Geburtstag in Fernost zu neuer Berühmtheit.


Peking. In keinem Land spielt Karl Marx heute noch so eine große Rolle wie in China: Die Schriften des deutschen Denkers sind dort Grundlage der offiziellen Ideologie. Für Wu Weishan war es daher eine große Sache, eine Marx-Statue anzufertigen. Nicht irgendeine Statue: Der Auftrag kam direkt von der Regierung - und war als Geschenk für die Stadt Trier im fernen Deutschland bestimmt. "Der Einfluss von Marx auf die chinesische Gesellschaft ist immens", sagt Wu dieser Zeitung. "Dieses Projekt war also etwas ganz Besonderes."

Am Samstag ist es so weit: Triers Bürgermeister Wolfram Leibe und der chinesische Botschafter Shi Mingde werden die Statue enthüllen. Die 2,3 Tonnen Bronze sind weit gereist: Wu hat die Skulptur in den vergangenen zwei Jahren in seinem Studio in Peking angefertigt. "Als ich Anfang März in eisiger Kälte um fünf Uhr morgens am Flughafen stand und sie in Richtung Deutschland abfliegen sah, empfand ich große Befriedigung", sagt Wu. Er hoffe, dass die Statue in Deutschland etwas davon vermittle, wie wichtig China die Gedanken des berühmtesten Sohnes der Stadt Trier immer noch nimmt.

Künstler Wu ist engagiertes Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas. Der 56-Jährige gilt als Vertreter der "jungen Generation" chinesischer Künstler, die ihr Wirken nach den Wirren der Zeit von Mao Zedong begonnen hat. Wu ist die erste Wahl, wenn der Staat Aufträge für politisch wichtige Standbilder zu vergeben hat. Wu hat bereits 2014 den Reformer Deng Xiaoping und 2013 den Staatsgründer Mao Zedong verewigt. Auch eine Doppelstatue von Marx und Engels gehört bereits zu seinen Werken.

Kunstwerke mit so viel ideologischer Aufladung darf in China nur anfertigen, wer politisch absolut zuverlässig ist. Schließlich soll das Werk die erwünschte Botschaft übermitteln - ohne versteckte Zwischentöne. Und Wu ist für die Partei genau der richtige Mann für den Job. "Als ich ein Kind war, hing bei zuhause ein Porträt von Karl Marx", erzählt Wu. Im Staatsbürgerkundeunterricht der Mittelschule führten die Lehrer ihn dann systematisch an den Marxismus heran. An der Uni war die Lehre des deutschen Denkers Prüfungsstoff: "Ein chinesischer Künstler muss sich eben mit Marx auskennen." Wu kann die deutsche Diskussion um die Angemessenheit des Geschenks aus China daher nicht nachvollziehen. Schließlich sei Marx einer der einflussreichsten Deutschen und der bekannteste Sohn der Stadt Trier. "Ich hoffe, dass die Statue dabei hilft, dass in Zukunft mehr Menschen seine Philosophie nachvollziehen können."

Kritik an seinen Werken, oder auch nur leise Missstimmungen, sind Wu Weishan weitgehend unbekannt. Er ist in China durchaus prominent. Wu gab im März als Mitglied der politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes - der zweiten Kammer des Parlaments - Interviews zu Themen wie dem "Aufbau einer Solidar- und Schicksalsgemeinschaft der Menschheit". Kunstwerke könnten als Mörtel der menschlichen Gemeinschaft dienen, sagte Wu. Mit diesen Äußerungen bewegt sich Wu genau auf Parteilinie. Präsident Xi Jinping hat kürzlich erst klar gemacht, dass er sich unverändert in der Tradition von Karl Marx, Wladimir Iljitsch Lenin und Mao Zedong sieht. Im April hat er angeordnet, dass alle Parteimitglieder 16 ausgewählte Werke von Marx, darunter das Kommunistische Manifest, wieder mit größerem Eifer studieren sollen. Er sieht es als Leistung in seiner Zeit als Generalsekretär der Partei, "der Wichtigkeit des Marxismus als Leitideologie wieder mehr Bedeutung zu verleihen".

Marx wurde von Mao angepasst

Diese Sprüche sind allerdings nicht ganz wörtlich zu verstehen. Wie Künstler Wu es bereits beschreibt: Die jeweils regierenden Politiker passen Chinas Marxismus laufend an die aktuellen Befindlichkeiten an. Marx würde seine Ideen in der modernen Praxis des Landes vermutlich nicht wiedererkennen. Xi nennt das so: "Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken für ein neues Zeitalter."

Was Mao als junger Kommunist in den Schriften des deutschen Philosophen fand, passte nicht zur Lage im China der 1930er Jahre - deshalb machte er es kurzerhand passend. Es begann schon mit den Grundannahmen: Marx zufolge sollte die Revolution von den Arbeitern in den Städten ausgehen, doch China war zu dieser Zeit noch gar nicht industrialisiert und eine fast reine Agrargesellschaft. Mao legte also fest, dass die Bauern die Umwälzung herbeiführen sollten. Erst dann sollte die kommunistische Regierung die Industrialisierung organisieren. Mao war im weiteren Verlauf ein besonderer Freund der bei Marx entlehnten Annahme, dass die Gesellschaft unvereinbare Gegensätze ausfechten muss. Unter diesen Vorzeichen hetzte er gegen Ende seiner Herrschaft in der sogenannten Kulturrevolution die Jugend gegen Lehrer, Eltern und Fachleute auf.

Hat das Kommunistische Manifest, 1848 von Marx und Friedrich Engels veröffentlicht, für das China von heute noch Relevanz? C Was bedeutet die Frage des Eigentums oder der Entfremdung des Arbeiters von der Arbeit im Land zwischen Peking, Schanghai, Guangzhou und Kaschgar? In China von heute werden die Reichen immer reicher; den einfachen Arbeitern sind Streiks verboten. Und Marx versprach seinerzeit: "Die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände." Bei Auflehnung gegen die Machtverhältnisse droht in China jedoch Gefängnis.

Dass bei den vielen Verdrehungen der Worte sozialistischer Vordenker die totale Beliebigkeit ausbricht, stört aber in China nur wenige. Spätestens seit der Zeit des Reformers Deng Xiaoping gilt eine flexible Denkweise als Tugend. Dieser hatte den Kapitalismus und die Marktwirtschaft zu wertvollen Instrumenten für den Aufbau des Sozialismus erklärt. Und während die 90 Millionen Parteimitglieder tatsächlich die Werke Maos, Dengs und Xis studieren (müssen), hören die meisten Leute längst weg, wenn die Führung mal wieder irgendwelche Denker zitiert.

Künstler Wu deutet derweil an, dass es Marx’ Heimatstadt gut zu Gesicht stehen würde, sich der Bedeutung ihres größten Sohnes für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft bewusst zu sein. Wu hat sich viele Gedanken darüber gemacht, wie er das ausdrückt. "Die Statue zeigt einen Marx, der vorangeht, der die Dinge vorantreibt." Ihre Höhe von 5,50 Metern symbolisiert den Geburtstag am 5. Mai. Der Stil lehnt sich laut Wu an den "westlichen Realismus" an, der zu Marx’ Zeiten vorgeherrscht habe, und kombiniere ihn mit einem chinesischen Impressionismus.

Ob das jetzt jedem Betrachter ins Auge springt oder nicht - dem Tourismus dürfte das Projekt allemal nützen. Eine Marx-Statue für den Geburtsort des sozialistischen Vordenkers: Dieses Thema stößt in China auf großes Interesse. Trier taucht in diesen Wochen auf Reisewebseiten ganz oben bei den Tipps für Europatouren auf. Die Propagandamedien sind verpflichtet, das Thema breit zu behandeln. Die traditionsreiche Stadt kommt so in Fernost zu neuer Berühmtheit.

Mehr zu Karl Marx:

"Auferstehung eines deutschen Propheten": Themenschwerpunkt im Fernsehen.

"Die Arbeiterbewegung": Der 200. Geburtstag von Karl Marx beflügelt die Buchproduktion.