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Putins schwierigste Amtszeit

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Wirtschaftskrise und vergiftetes Verhältnis zum Westen. Putins vierte Amtszeit dürfte keine leichte werden.


Moskau. Als alle russischen Fahnen gehisst, alle Ehrengäste versammelt sind und die in rotes Leder gebundene Verfassung für den Schwur aufgelegt ist, klingelt im Büro von Wladimir Putin das Telefon. Das "Signal aus dem Kreml", erklärt die Kommentatorin aus dem Off, dass nun alles für die Angelobung angerichtet sei. Wladimir Putin steht auf, streift sich sein Sakko über und schreitet minutenlang alleine, nur von den Fernsehkameras begleitet, durch die langen, prunkvollen Gänge. Eine Limousine fährt ihn vor den großen Kreml-Palast, wo er nach dem Glockenschlag die goldenen Flügeltüren aufschwingt und von den versammelten Ehrengästen, wie auch dem deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder, unter Jubel empfangen wird.

Die Inauguration Putins war einmal mehr eine perfekt inszenierte Show für das russische Staatsfernsehen. So wurde nichts dem Zufall überlassen. Anders als noch 2012, als Putin durch gespenstisch leere Straßen der Moskauer Innenstadt kutschiert wurde, bewegte sich Putin am Montag nur noch innerhalb der Kreml-Mauern. Der Kreml-Herr in seiner Festung, der seine Arbeit nur für die kurze Zeit der Zeremonie niederlegt und der als Einziger die Geschicke des Landes lenkt.

Wirtschaft als Schlüsselfrage

Doch Putins vierte - und vorerst wohl auch letzte - Amtszeit wird keine leichte sein: Die fetten Jahres des Ölbooms sind vorbei, Russland steckt in einer Wirtschaftskrise und die Zahl jener Russen, die an der Armutsgrenze leben, steigt. Nach der Annexion der Krim, dem Krieg im Donbass, der Diskussion um die Einmischung in den US-Wahlkampf und zuletzt der Affäre um den vergifteten Ex-Spion Sergej Skripal haben die Spannungen zwischen Moskau und dem Westen wieder zugenommen. Nachdem gegenseitig Diplomaten ausgewiesen wurden, haben die USA erst vor wenigen Wochen wieder neue Sanktionen gegen Russland beschlossen. Zudem drängt die Frage, wie es nach der vierten Amtszeit Putins, die 2024 endet, weitergeht.

Es gehört zu den russischen Besonderheiten, dass Putin als jemand wahrgenommen wird, der über dem Tagesgeschäft der russischen Politik schwebt. "Der Präsident steht symbolisch für die Wiedergeburt des Landes als Weltmacht, während es die Bürgermeister, die Gouverneure und die Minister sind, die für Brände und Müllhalden zuständig sind", schreibt der Politologe Andrej Kolesnikow in einer Analyse. Wie zuletzt im Moskauer Umland, als Tausende gegen Mülldeponien demonstrierten oder im sibirischen Kemerowo, wo nach einem Brand mehr als 60 Menschen ums Leben gekommen waren.

Dass die Wirtschaft schlecht läuft, wird jedoch auch zunehmend dem Präsidenten angelastet, wie eine Umfrage des Lewada-Instituts zeigt: So gaben dort 45 Prozent der Befragen an, dass es Putin zuletzt nicht gelungen sei, den Wohlstand im Land gerecht zu verteilen. Bei einer Umfrage im Jahr 2015 war dieser Anteil erst bei 39 Prozent gelegen. Zum größten Verdienst zählten hingegen 48 Prozent, dass sich die Russen unter Putin wieder als internationale Großmacht sehen.

Wirtschaftliche Schwäche nach innen, aber Muskelspiel nach außen: Es wird wohl genau dieses Spannungsfeld sein, in dem sich auch Putins vierte Amtszeit bewegen wird. Einem Bloomberg-Bericht zufolge ist immerhin ein Zehn-Trillionen-Rubel-Paket (umgerechnet 133 Milliarden Euro) geplant, um Gesundheit, Bildung und Infrastruktur im Land auszubauen und die Wirtschaft anzukurbeln. Wie das Paket gegenfinanziert werden soll, ist indes unklar. Im Gegenzug könnte bei Militärausgaben gespart, das Pensionsalter angehoben und die Steuern erhöht werden, wie russische Medien spekulieren.

Kein Kurswechsel erwartet

Dass Putin außenpolitisch leisertreten wird, ist indes nicht zu erwarten. Es ist vor allem die Außenpolitik, die Putin in seiner dritten Amtszeit als ein für ihn lohnendes Betätigungsfeld entdeckt hat. Immer wieder hat Putin bei Konflikten den taktischen Vorteil ausspielen können, schnell und ohne Rücksicht auf demokratische Kontrolle zuschlagen zu können - sei es auf der Krim, in der Ostukraine oder in Syrien. "Es gibt eigentlich nur zwei Dinge, die dem System gefährlich werden können", sagt die Politologin Jekaterina Schulmann. "Die Isolation von außen und Massenproteste von innen." Darum werde das System alles daransetzen, diese beiden Szenarien zu vermeiden. Russland werde daher international an so vielen Prozessen, wie nur möglich, teilnehmen, egal wie hoch der Preis dafür auch sein möge, sagt Schulmann, die als Expertin für den russischen Machtapparat gilt. "Lieber ein internationaler Spielverderber, Gauner, Dissident oder gar ein Schurkenstaat sein, als international isoliert oder nur ein Zaungast."

Doch Proteste hatte es zuletzt wiederholt gegeben. Zwei Tage vor der Amtseinführung Putins hatte der Oppositionelle Alexej Nawalny unter dem Motto "Nicht unser Zar" in 90 russischen Städten zu Protesten aufgerufen. Die Proteste wurden brutal von der Polizei aufgelöst, allein in Moskau wurden 700 Menschen- inklusive Nawalny selbst - verhaftet. "Das Vorgehen der Polizei war härter, als zuletzt vor einem Jahr", berichtet der 18-jährige Student Alexander, der selbst vor Ort war. Auch zwei seiner Freunde sind vor seinen Augen von der Polizei abgeführt worden. So wie er berichten auch viele weitere Augenzeugen von aggressiven Männern in Camouflage, sogenannte "Kosaken", die die Demonstranten unbehelligt von der Polizei mit Peitschen attackiert hätten, bevor die Protestaktion geräumt wurde. "Putin will sich seine Angelobung durch nichts kaputtmachen lassen", glaubt Alexander. "Bis 2024 wird alles nur noch viel schlimmer werden."

Ob Putin tatsächlich 2024 abtreten wird, ist indes offen. Während es aus dem Kreml-Umfeld heißt, dass sich Putin unbedingt an die in der Verfassung vorgeschriebene Beschränkung der Amtszeit halten werde, hat zuletzt zumindest die Chefredakteurin der Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja Margarita Simonjan ganz andere Töne angeschlagen. "Früher war er einfach unser Präsident und konnte abgelöst werden", twitterte sie nach der Wiederwahl Putins. "Jetzt ist er unser Führer. Und wir lassen nicht zu, dass er abgelöst wird."