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Der Prediger und die Kommunisten

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Ein ungewöhnliches Bündnis gewinnt die Richtungswahl im Irak.


Bagdad. Ein schiitischer Prediger im Bündnis mit den Kommunisten hat die Parlamentswahl gewonnen. Was anderswo undenkbar wäre, ist im Irak möglich.

Auch nach Auszählung von 97 Prozent der Stimmen, bleibt das Bündnis Sa’irun vorne. Neue Köpfe haben gewonnen, alte sind abgewählt. Die Iraker haben ein Zeichen gesetzt für eine Zukunft nach der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS). Nicht Premierminister Haider al-Abadi ist der Sieger, obwohl er seine Allianz "Sieg" nannte und seine Stimmenzahl weiter verbessern konnte, in Mossul ist Abadi etwa die Nummer eins. Er liegt aber immer noch hinter den säkular orientierten, liberalen und nationalen Kräften der Bürgerbewegung. Auch wenn die Ergebnisse von zwei von 18 Provinzen noch nicht vorliegen, so steht der Ausgang doch eindeutig fest: Der Irak ist im Umbruch.

Raid Fahmi strahlt über das ganze Gesicht. Der Generalsekretär der kommunistischen Partei Iraks hat das geschafft, was niemand für möglich gehalten hatte. Seit den Wahlen zur Übergangsregierung im Januar 2005, hat kein Kommunist mehr Platz im Parlament genommen. Jetzt haben er und zwei weitere Genossen drei der 329 Sitze sicher. "Unsere Bürgerbewegung hat gewonnen", sagt er, "die Freitagsdemonstrationen tragen Früchte". Sa’irun sei doch nicht aus der Luft gegriffen, auch wenn das bei manchen, vor allem im westlichen Ausland, so rüberkommt. Das Bündnis, das auf Deutsch Vormarsch bedeutet, sei innerhalb von fast drei Jahren gewachsen.

Im Sommer 2015 fingen sie an, gegen die Missstände in der Gesellschaft zu protestieren. Zunächst über die unzulängliche Stromversorgung, schlechtes Wasser und über unzureichende staatliche Dienstleistungen, schließlich über die grassierende Korruption. Immer freitags versammelten sich Vertreter der Zivilgesellschaft und Mitglieder der kommunistischen Partei am Tahrir-Platz in Bagdad. Das Kalifat des IS existierte seit einem Jahr und der neue Ministerpräsident Haider al-Abadi hatte neben dem Kampf gegen die Dschihadisten den gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben. Doch passiert ist nichts.

Anfang 2016 sprang Muktada al-Sadr, der schiitische Prediger, auf den Demonstrationszug auf. Kritiker sagen, er habe die Graswurzelbewegung zu seinen Gunsten ausgenutzt. Fahmi sieht das nicht so. Er sei auf sie zugekommen und habe gefragt, ob er mitmachen könne, weil auch er nicht einverstanden sei mit dem, was im Irak passiere. "Als alle anderen islamischen Parteien gegen uns waren und uns sogar bedrohten, hat Sadr uns akzeptiert", sagt Fahmi anerkennend.

"Wir kommen wieder!"

Die Bewegung gewann an Größe. Alsbald wurde von der irakischen Arabellion gesprochen. "Wir kommen wieder!", drohten die Demonstranten, als sie Anfang Mai 2016 das Parlamentsgebäude in der Grünen Zone stürmten, sich auf die Stühle der Parlamentarier setzten und ihre Forderungen vortrugen.

Drei Tage lang hatten Tausende das schwer bewachte Regierungsviertel am westlichen Tigrisufer gestürmt: "Alle Macht dem Volke!", war die Parole. Um auf die Sitze der Abgeordneten zu gelangen, rissen Demonstranten Betonstelen ein, überwanden Stacheldraht und Sicherheitsschleusen, überrannten Wachen und Personenschützer. Die ansonsten als Hochsicherheitstrakt geltende Grüne Zone, die neben dem Parlament, den Regierungssitz des Premierministers, das Verteidigungsministerium, einige ausländische Botschaften und westliche Organisationen beherbergt, war plötzlich löchrig wie ein Schweizer Käse. Muktada al-Sadr verhandelte mit Premier Abadi. Die Protestierer zogen ab. Jetzt sind sie wiedergekommen, legal und friedlich mit dieser Wahl. Auch die anderen Allianzen, die aus der Protestbewegung entstanden, können Stimmengewinne verzeichnen, wenn auch nicht in dem Maße wie Sa’irun.

"Muktada hat seine frühere politische Partei Ahrar aufgelöst, die drei als korrupt geltenden Minister zum Rücktritt gezwungen und ein Kabinett von Technokraten gefordert", erzählt Fahmi über die Konsequenzen ihrer Kooperation. Doch Premier Abadi entsprach dieser Forderung nur zaghaft. Sein Versuch, die Stellvertreterposten von Staatspräsident, Parlamentspräsident und Regierungschef aufzuheben, ging ins Leere.

Vor allem sein Vorgänger Nuri al-Maliki, der mit seiner sektiererischen Politik den Einzug des IS im Irak begünstigte, wurde Abadi nicht los. Gegen seine Absetzung als Vize-Präsident ging Maliki vor Gericht und gewann. Abadi gab nach und akzeptierte seinen Widersacher zähneknirschend. Jetzt haben die Wähler Maliki abgestraft. Seine Rechtsstaat-Allianz liegt abgeschlagen an vierter Stelle und ist mit unter 30 Sitzen im Parlament marginalisiert.

Vorbild für die Region

Sa’irun dagegen sei richtungweisend, nicht nur für den Irak, sondern für die ganze Region, sagt Fahmi überschwänglich. "Irak, wie wir ihn kennen, ist Vergangenheit", sagt der frischgebackene Parlamentarier. Ohne Daesh, wie der IS im arabischen Raum genannt wird, gäbe es dieses Bündnis nicht, ist der Kommunist überzeugt. Stets dominierte seit dem Einmarsch der US-Amerikaner 2003 und dem Sturz Saddam Husseins eine religiös geprägte Schiitenallianz die Geschicke des Landes, die maßgeblich vom Iran unterstützt und gesteuert wurde. "Jetzt hat Teheran Angst vor uns", sagt Fahmi.

Gleichwohl liegt die Liste "Fatah" mit Vertretern der Hashd al-Shabi, der schiitischen Volksmobilisierungsfront, die gemeinsam mit den iranischen Kuds-Brigaden gegen den IS kämpften, hinter Sa’irun an zweiter Stelle. Auch die Fatah gäbe es ohne Daesh nicht. Und auch hier konnte sich Premier Abadi nicht durchsetzen, der die fast 100.000 Milizionäre zwar als offiziellen Bestandteil der irakischen Sicherheitsstruktur unter sein Kommando stellte, ihnen aber den Gang in die Politik untersagte. Trotzdem führt der Chef der Badr-Organisation, Hadi al-Amiri, der größte und wichtigste Verband im Hashd al-Shabi, eine vom Staat geförderte Dachorganisation aus überwiegend schiitischen Milizen, die Fatah-Liste an und hatte sich insgeheim schon als Nachfolger Abadis im Amt des Regierungschefs gesehen.

Doch daraus wird wohl nichts, denn für al-Sadr und die Kommunisten sind Milizionäre keine Koalitionspartner. Schon gar nicht, wenn sie vom Iran unterstützt werden. Doch auch auf die USA sind die Sa’irun-Mitglieder nicht gut zu sprechen. "Die Amerikaner mögen keine Kommunisten" wirft Raid Fahmi ein, und al-Sadr kämpfte vor zwölf Jahren mit seiner damaligen Mahdi-Armee erbittert gegen die US-Besatzer.

Während Raid Fami sich freut, ins Parlament einziehen zu können, ist Muntazer al-Zaidi enttäuscht. Für den Schuhwerfer von Bagdad hat es doch nicht gereicht, auch weil Sa’irun trotz Wahlsieg nur 54 Sitze im Parlament bekommen wird und mit einigen anderen koalieren muss, um eine Regierung bilden zu können. Wie diese dann aussehen wird, zeichnet sich erst nach dem einmonatigen Fastenmonat Ramadan ab. Hier sind die Trennlinien noch vorhanden.