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"Strategische Geduld im Umgang mit Moskau"

Von Stephanie Liechtenstein und Thomas Seifert

Politik
Auch Österreich müsse mehr in die EU investieren, sagt Wolfgang Ischinger.
© Thomas Seifert

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, glaubt nicht an "Marscherleichterung" am Weg zu mehr Harmonie mit Moskau. Von Dialogverweigerung mit Putin hält Ischinger wenig.


"Wiener Zeitung": Herr Ischinger, wie würden Sie die Rolle der EU in der Welt beschreiben - angesichts der derzeitigen angespannten transatlantischen Beziehungen?

Wolfgang Ischinger: Die EU wird als Auffangnetz und als kollektive Überlebensstrategie in einer zunehmend chaotisch wirkenden Welt immer wichtiger. Ich möchte in diesem Zusammenhang den ehemaligen belgischen Außenminister Paul-Henri Spaak zitieren, der sagte: "Es gibt exakt zwei Kategorien von Mitgliedstaaten in der EU. Kleine Mitgliedstaaten und solche, die noch nicht verstanden haben, dass sie klein sind." Lassen Sie mich erklären, warum dieser Satz so wichtig ist: Die 27 EU-Mitgliedstaaten mit ihren knapp 500 Millionen Einwohnern werden in 20 Jahren weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Das heißt: Wenn wir uns nicht noch stärker zusammenschließen, wird uns keiner mehr ernst nehmen, und unsere Vorstellungen von wertebasierter Weltordnung werden ins Leere laufen. Die EU muss also endlich handlungsfähiger werden und noch stärker mit einer Stimme sprechen. Wir sollten darüber nachdenken, Mehrheitsentscheidungen einzuführen und die EU auch militärisch handlungsfähiger zu machen.

Wie soll die EU mit Angriffen von außen umgehen? Steve Bannon, der rechtskonservative Ex- Berater von US-Präsident Donald Trump, hat ja angeblich euroskeptische Parteien in Europa beraten . . .

Die Antwort darauf kann nur lauten, dass wir für unsere Sicht der Dinge und für die europäische Position in den USA viel stärker werben müssen. Wir brauchen mehr Diplomaten, Wirtschaftsfachleute und Journalisten in den USA. Europa muss in jedem einzelnen US-Bundesstaat beworben werden, bei jedem Gouverneur und bei jedem Abgeordneten. Man sollte nicht vergessen, dass alleine Deutschland in den USA eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen hat. Laut Berechnungen hat die EU eine Million Arbeitsplätze in den USA geschaffen. Ich denke, dass der durchschnittliche US-Bürger das nicht weiß. Hier ist also viel Raum, die politischen Zielsetzungen Europas jenen der derzeitigen US-Administration entgegenzuhalten.

Auch Russland greift die EU von außen an und viele Experten sagen, dass Moskau die EU schwächen will. Wie soll Österreich damit umgehen, vor allem während des heutigen Arbeitsbesuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Wien? Und wie sehen Sie die Zukunft der Beziehungen zwischen Russland und der EU?

Zunächst finde ich es sehr gut, dass es zu diesem Besuch kommt. Ich habe es immer für falsch gehalten, in Zeiten der Krise den Dialog zu verweigern. Demnach war es auch falsch, als wir vor vier Jahren den G8-Gipfel in Sotchi abgesagt haben. Denn die Folge daraus ist, dass wir jetzt gar keinen G8-Gipfel mehr haben. Ich bin der Meinung, dass man in der Krise mehr und nicht weniger miteinander sprechen sollte. Ich verbinde mit dem Besuch Putins in Wien allerdings keine sehr großen Erwartungen. Ich war vor wenigen Tagen in Moskau und habe dabei den Eindruck gewonnen, dass kurzfristig keine Marscherleichterungen stattfinden werden. So sehe ich etwa keine kurzfristige Lösung des Ukraine-Konfliktes oder des Konfliktes in Syrien. Wir sollten uns daher in strategischer
Geduld üben. Das funktioniert allerdings nur, wenn parallel dazu der Dialog weitergeführt wird. Da es jedoch im Augenblick zu keinem vernünftigen Dialog zwischen den USA und Moskau kommt, muss Europa das ausgleichen, um Spannungen zu reduzieren. Denn die Lage ist insgesamt gefährlich.

Finden Sie die Politik Österreichs in Bezug auf Russland zu weich? Es gab ja viel Kritik, nachdem Österreich nach der Skripal-Affäre keine Diplomaten ausgewiesen hat. . .

Solange wir uns als EU-Mitglieder verständigen, gemeinsam etwa an den Sanktionen festhalten, und uns nicht auseinanderdividieren lassen, ist alles in guter Ordnung.

Zuletzt möchten wir noch die Frage des EU-Budgets aufwerfen. Österreich ist Nettozahler in der EU und hat in letzter Zeit oft davon gesprochen, nach dem Brexit nicht mehr zahlen zu wollen. Ist das ein korrektes Signal für ein Land, das unmittelbar vor der Übernahme des EU-Vorsitzes steht?

Zunächst möchte ich sagen, dass wir einen sogenannten Investiv-Haushalt brauchen werden. Dieser wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagen. Er soll einen zweistelligen Milliardenbetrag beinhalten und helfen, die wirtschaftlichen Entwicklungen der einzelnen Länder anzugleichen. Zusätzlich fürchte ich, dass alle Nettozahler in der EU nicht umhinkommen werden, mehr zu bezahlen. Wenn wir wollen, dass uns die EU schützt, dann muss sie auch neue Aufgaben übernehmen. Wenn man etwa 10.000 Mann von Frontex dislozieren möchte, muss man auch bereit sein diese zu bezahlen. All das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Und ich würde sagen, das ist gut ausgegebenes Geld. Ich fürchte also, dass Österreich nicht darum herumkommen wird, mehr in die EU zu investieren.

ZUR PERSON

Wolfgang Friedrich Ischinger (geboren im Jahr 1946) ist ein deutscher Jurist und Diplomat. Er war Beamteter Staatssekretär im Auswärtigen Amt sowie Botschafter in Washington, D.C. und London. Seit 2008 leitet er die Münchner Sicherheitskonferenz. Er sprach bei der von der Kanzlei Lansky, Ganzger + Partner und dem Informationsbüro des Europäischen Parlaments und der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich organisierten "EU Strategic Talks".