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Schweigen und am Hass verdienen

Von Alexander Dworzak

Politik

Google will keine Online-Werbung bei "gefährlichen oder abwertenden Inhalten" anbieten - bricht aber weiter Regeln.


Wien. Zeige mir ein Tabu. Und ich mache vor, wie man es publikumswirksam bricht. So simpel ist das Geschäftsmodell von Milo Yiannopoulos. Ein Instrument dabei ist demonstrativ zur Schau gestellte Frauenfeindlichkeit: Frauen seien "Schlampen", wenn sie die Pille nehmen. Als selbst ernannte "gefährliche Schwuchtel" tourte er an US-Universitäten und propagierte "Feminismus ist Krebs". Hass unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verbreiten viele. Doch nur wenige verstehen die Erregungszyklen im Internet so gut für sich zu nutzen wie der 33-Jährige.

Im Kampf gegen die "liberale Demokratie" sollen Personen wie Yiannopoulos die Deutungshoheit erobern. Bereits Mainstream ist er für Google. Der Internetriese bietet Werbeplätze auf Yiannopoulos’ Webauftritt und YouTube-Kanal an, den mehr als 780.000 Personen abonniert haben.

Google verdient nämlich nicht nur mit Werbung auf seiner Suchmaschine. Sondern bietet auch automatisiert gebuchte, in Echtzeit ausgespielte Werbeplätze auf Millionen anderer Webauftritte sowie im Videoportal YouTube, einer Google-Tochter. Dabei hoffen Werber, dass Googles Algorithmen ihre Zielgruppen punktgenau ansteuern. Wie einträglich dieses Geschäft ist, zeigt ein Blick auf das erste Quartal: Alleine von Jänner bis März lagen die Werbeerlöse bei 26,6 Milliarden Dollar (23 Milliarden Euro) - um 24 Prozent mehr als in den ersten drei Monaten 2017. Google ist der Hauptprofiteur, dass Werbegelder von Print, TV und Radio zu Online abwandern.

Die Einnahmen der Werbekunden teilt sich Google mit den Anbietern der Webauftritte. Im vergangenen Jahr schüttete Google 12,6 Milliarden Dollar (10,7 Milliarden Euro) aus. Je mehr Klicks auf die Werbebanner oder Sichtkontakte, desto höher die Einnahmen. Google verdient somit am Hass mit, den Yiannopoulos online streut.

Mediale Mauertaktik

Dabei gab sich Google zu Jahresbeginn geknickt: "Wir wissen, wir müssen mehr machen, um sicherzustellen, dass die Werbung neben Inhalten läuft, welche den Werten (der Kunden, Anm.) entspricht", sagte Googles Entwicklungs-Vize Paul Muret. Vorausgegangen waren mehrere Skandale 2017: So tauchte Werbung bei Videos des früheren Ku-Klux-Klan-Anführers, bei einem islamistischen Prediger und im Umfeld von Pädophilen auf. Hunderte Werbekunden zogen ihre Kampagnen zeitweise zurück.

Um das Vertrauen der Werber wiederzuerlangen, investierte Google in Personal wie Technologie und erarbeitete strengere Kriterien, wer auf YouTube Werbeplätze erhält. Auch die Kategorie "gefährliche oder abwertende Inhalte" für Webseiten wurde nachgeschärft: "Wir fühlen uns der Meinungsfreiheit verpflichtet. Dennoch lassen wir die Monetarisierung von gefährlichen oder abwertenden Inhalten nicht zu", lauten Googles Richtlinien. Google-Anzeigen dürften daher nicht auf Seiten platziert werden mit "Inhalten, die zu Hass gegen Einzelpersonen oder Gruppen anstiften" und "Inhalte, mit denen die Diskriminierung dieser Einzelpersonen oder Gruppen gefördert wird oder solche Personen oder Gruppen herabgesetzt werden".

Online-Versandhändler Quelle distanzierte sich von seiner Werbung auf Milo Yiannopoulos’ YouTube-Kanal.
© Screenshot

Warum sind dennoch Werbeplätze bei Milo Yiannopoulos gestattet? Darauf will Google keine Antwort geben: Auf einzelne Kanäle könne man nicht eingehen, richtet ein Sprecher der "Wiener Zeitung" aus. Diese Mauertaktik in der Kommunikation wendet der Konzern bereits seit eineinhalb Jahren an; ausgehend von der Kontroverse über demokratische Standards in der Online-Werbung, da Google Werbeplätze auch bei Yiannopoulos’ Ex-Arbeitgeber "Breitbart" anbietet.

Im Dunklen bleibt ebenso weiterhin, wie Googles Kontrollmechanismen funktionieren, wenn Nutzer eine Seite als unangemessen für Werbung melden. "Wir berücksichtigen User-Feedback", heißt es lapidar in einem Google-Blogeintrag.

Auch gibt Google keine Auskunft, wie die Kategorisierung abläuft, ob die Inhalte eines Webauftritts "gefährlich oder abwertend" sind. Verraten wird nur, der Prozess zur Einhaltung der Richtlinien bestehe "aus einem Mix aus Machine-Learning-Technologie und menschlichen Reviewern". Dabei geht Googles Werbepolitik weit über den Fall Yiannopoulos hinaus und berührt Werbekunden und Webauftritte weltweit.

Wiewohl Google seine Definition der "gefährlichen oder abwertenden Inhalte" verschärft hat, geht die Monetarisierung von Hass im Netz beinahe unvermindert weiter. Denn seit die firmeneigene Politik im April 2017 geändert wurde, ist laut Google Werbung auf 8700 Webseiten aus seinem Werbenetzwerk entfernt worden. Das ist jedoch nur ein Bruchteil aller Löschungen von zwei Millionen Webseiten pro Monat. Weitere Google-Regeln zur Auslistung betreffen etwa unerwünschte Software oder den Online-Verkauf alkoholischer Getränke.

Weil aber Google Werbeplätze auf Seiten mit "gefährlichen oder abwertenden Inhalten" vorgeblich sperrt, suggeriert es Firmen, Werbung würde nicht in politisch verminten Terrain erscheinen. Unternehmen, die sich nicht auf Googles undurchsichtige Definitionskriterien verlassen, listen zu ihrer Sicherheit zusätzlich Webseiten oder YouTube-Kanäle, auf denen die Werbung nicht erscheinen soll.

Klingende Marken betonen, wie wichtig "Brand Safety" ist, dass das Produkt nicht in unpassendem Werbeumfeld erscheint. Doch auch Branchengrößen tauchen bei Milo Yiannopoulos auf. Das ergab ein Screening seines Webauftritts und seines YouTube-Kanals im Mai. Dabei müsste großen Unternehmen und deren Mediaagenturen, die politische Kontroversen ansatzweise verfolgen, Yiannopoulos spätestens seit dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 ein Begriff sein.

Großkonzerne unter Werbern

Auch zwei der drei größten heimischen Unternehmen 2017 warben im Mai bei Yiannopoulos’: die Porsche Holding Salzburg und die Spar-Gruppe. Während der Autogroßhändler nicht auf die Anfrage der "Wiener Zeitung" reagierte, erklärte Spar, sämtliche Webauftritte von Yiannopoulos seien bereits für Werbung gesperrt. Die "fehlerhafte Ausspielung" werde nun bei Google reklamiert.

Weitere prominente Werber bei Yiannopoulos waren der Nahrungsmittelmulti Nestlé, der Mobilfunker Drei, der Bürotechnik-Anbieter Konica Minolta, die Handelskette Hartlauer und das Zugunternehmen Westbahn. Sie sperren dessen Webauftritte. Keinen Kommentar gaben der Autobauer Land Rover und der Spielkonsolehersteller Sony Playstation ab.

"Eindeutig ist, dass wir in unserem Konzern unter anderem menschenverachtende, ausländerfeindliche und rechtsradikale Positionen nicht tolerieren." So kommentiert die Unito-Gruppe Werbung ihres Versandhändlers Quelle auf Yiannopoulos’ Webseite. Diese würde daher für Werbung gesperrt, und zwar auch bei Unitos Mutterkonzern, dem deutschen Handels- und Dienstleistungsriesen Otto. Nur einen Tag später prangen Quelle-Banner auf der Webseite von "Breitbart". Dazu befragt, meldet sich Unito nicht mehr.

Milo Yiannopoulos

Bekannt geworden ist er Anfang der Dekade als Gründer der Online-Techmediums "The Kernel". Der gebürtige Brite war auch ein gefragter Berater der Start-up-Szene. Dann beschloss er, seine Ich-AG zu pflegen.

Sein Vehikel waren die Rechtsaußenbewegung der "Alternative Right" in den USA. Auch vor dem Austausch mit Neonazis schreckte Yiannopoulos nicht zurück, enthüllte "Buzzfeed". Über den Aufbau "alternativer" Medien und dank der ständigen Rückkopplung mit den sozialen Netzwerken drang die "Alt Right"-Bewegung erst in den politischen Mainstream und dann in das Weiße Haus vor. Symbol dafür war Stephen Bannon, Kopf des Online-Portals "Breitbart". Er wurde vom Wahlkampfleiter zum Chefstrategen von Donald Trump. Yiannopoulos leistete als Schreiber für "Breitbart" seinen Beitrag.

Ihre beruflichen Wege haben sich getrennt - Trump schasste Bannon, der später auch "Breitbart" verlassen musste. Yiannopoulos brach ein Tabu zu viel, bagatellisierte Sex von Männern mit 13-jährigen Buben. Er trat daraufhin bei "Breitbart" zurück.

Bannon und Yiannopoulos traten Ende Mai in Ungarn auf. Eingeladen hatte eine Vertraute von Premier Viktor Orbán, die Historikerin Mária Schmidt. Auf der Webseite zu Yiannopoulos’ Event hieß es, dieser sei bereit "in dem kulturellen Kampf, in dem er einer der Vorkämpfer ist, ein neues Schlachtfeld" zu eröffnen.