Zum Hauptinhalt springen

Die Gipfel-Show in Singapur

Von Thomas Seifert

Politik

Das bizarrste Gipfeltreffen der jüngeren Geschichte geht am Dienstag auf der Insel Sentosa über die Bühne.


Singapur/Wien. "Als Kim Jong-un am 27. April die steinerne Treppe der Panmun-Halle zur innerkoreanischen Grenze heruntersteigt, geht ein Raunen durch das Pressezentrum im 20 Kilometer entfernten Ilsan. 2800 akkreditierte Journalisten verfolgen auf einem überdimensionalen Bildschirm die erste Begegnung der zwei koreanischen Staatschefs: Kim schüttelt die Hand von Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in und bittet ihn, auch einmal über den Grenzstreifen nach Norden zu treten. Jene historischen Fernsehbilder des innerkoreanischen Gipfels gingen um die Welt."

So berichtete die "Wiener Zeitung" über das historische Gipfeltreffen zwischen den Staatschefs der beiden Koreas.

Und dieses historische Treffen kann nun als Generalprobe für ein epochales Ereignis, das - wenn nicht alles in letzter Sekunde platzt - am 12. Juni in Singapur über die Bühne gehen wird, gewertet werden. Am kommenden Dienstag treffen nämlich Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump auf Sentosa, der Spaß- und Freizeitinsel im Süden des Stadtstaates, aufeinander - das erste Treffen auf der Ebene von Staatschefs seit der Gründung Nordkoreas. Die beiden werden einander im Hotel Capella begegnen, die Nacht in einer Privatvilla mit Pool kostet dort rund 630 Euro. Das Gelände ist leicht abzusichern, das Luxusresort liegt weit entfernt vom urbanen Trubel Singapurs. "Sentosa" bedeutet auf Malay "Frieden" oder "Ruhe", und auf Frieden hoffen nicht nur die beiden Koreas und die USA, sondern auch China, Japan und Russland. Singapur war eine logische Wahl, die Stadt verfügt über eine hervorragende Infrastruktur, ist eine der sichersten Städte der Welt und ist so etwas wie die Schweiz Asiens: Der Stadtstaat unterhält gute Beziehungen sowohl zu den USA als auch zu China.

Begonnen hat alles ausgerechnet am 241. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeit, am 4. Juli 2017, mit dem Raketentest einer Hwasong-14-Rakete, die laut Expertenmeinung eine Reichweite von über 6500 Kilometern erreichen könnte. Mit dieser Rakete könnte Nordkoreas Armee erstmals das amerikanische Festland nuklear bedrohen. Für die USA war damit eine rote Linie überschritten.

"Feuer und Zorn"

Wenn das Treffen am Dienstag tatsächlich über die Bühne geht, dann ist das ein kleines Wunder: Denn nach diesem Test befanden sich die USA und Nordkorea am Rande eines Krieges. Trump drohte Kim, den er als "kleinen Raketenmann" verlachte, mit "Feuer und Zorn" und er "völligen Vernichtung", Kim wiederum bezeichnete Trump als "senilen, geistig umnachteten Amerikaner". Und noch vor wenigen Tagen spuckte Trumps Surrogat Rudy Giuliani, Ex-Bürgermeister von New York, große Töne, als er sagte, Kim habe "auf allen vieren" um das Treffen gebettelt.

Doch Trump setzte nicht auf "Feuer und Zorn", sondern schickte seinen Außenminister Mike Pompeo zu Sondierungsgesprächen nach Pjöngjang. Trumps nationaler Sicherheitsberater John Bolton, einer der Architekten des Irak-Krieges 2003, funkte Mitte Mai dazwischen, indem er im Zusammenhang mit den Nordkorea-Gesprächen an das "Modell Libyen" erinnerte - Kim Jong-un wird sich wohl noch daran erinnern, wie Libyens Diktator Muammar Gaddafi, der 2003 offiziell dem libyschen Atomprogramm abgeschworen hat und dessen Regime 2011 nach westlichen Luftangriffen kollabiert ist. Und Kim wird wohl auch das Ende Gaddafis auf dem Fernsehschirm verfolgt haben: Rebellen haben ihn aus einer Betonröhre gezerrt und vor laufender Handykamera abgeschlachtet. Kaum überraschend: Beim Besuch vom Kim Jong-uns Sondergesandten Kim Jong-chol im Weißen Haus war Bolton, der Mann mit dem auffälligen Walross-Schnauzbart, nicht dabei.

Klar ist: Beiden Seiten ist stark am Propaganda-Wert des Treffens gelegen: Trump - dessen Partei im November vor schwierigen Zwischenwahlen für das Repräsentantenhaus und den Senat steht - hat schon im Wahlkampf davon gesprochen, dass er kein Problem damit hätte, sich mit Kim an einen Tisch zu setzen. Und für Kim ist das Treffen überhaupt der Propaganda-Jackpot: Nie zuvor in der Geschichte ist ein nordkoreanischer Machthaber einem US-Präsidenten begegnet. Dass der schillernde frühere US-Basketballstar Dennis Rodman nach Singapur gereist ist und angekündigt hat, er stünde im Falle des Falles bereit, um die Gespräche zu begleiten, zeigt, dass diese Verhandlungen jenseits aller diplomatischen Konventionen liegen. Rodman hat Nordkorea in der Vergangenheit besucht und war Gast in einer Donald-Trump-Fernsehshow, als Trump noch Showman und Milliardär und nicht Präsident, Showman und Milliardär war.

Grund zum Misstrauen

Gleichzeitig haben beide Seiten genügend Grund zu Misstrauen: Pjöngjang hat aus dem Beispiel Gaddafi und Saddam Hussein gelernt, dass nur Nuklearwaffen Schutz vor "Regime Change" bieten, der Umgang mit dem Iran-Deal zeigt Kim Jong-un, dass die USA völkerrechtlich bindende Verträge nicht achten, sondern nach Gutdünken interpretieren. Nordkorea wiederum ist ebenfalls nicht gerade als vertrauenswürdige Vertragspartei bekannt.

Dennoch hat Donald Trump zuletzt die Erwartungen noch weiter hochgeschraubt und sogar eine Einladung an den nordkoreanischen Machthaber ins Weiße Haus nicht ausgeschlossen. "Wir haben das Potenzial, etwas Unglaubliches für die Welt zu schaffen. Und es ist mir eine Ehre, daran beteiligt zu sein", sagte Trump am Donnerstag bei einer Pressekonferenz mit Japans Regierungschef Shinzo Abe.

Trump sagte, dass das Ziel der nuklearen Abrüstung Nordkoreas möglicherweise nicht bei einem einzigen Gipfeltreffen zu erreichen sei. Er halte es aber für möglich, dass es zu einem Friedensabkommen mit dem Land kommen könnte. Nach dem 1953 militärisch beendeten Koreakrieg hat es nie einen Friedensvertrag gegeben.

Doch nun steckt der Teufel im Detail: Denn Nordkorea wird einer vollständigen Denuklearisierung - auf der die USA beharren - ohne Sicherheitsgarantien niemals zustimmen. Uneinigkeit herrscht auch über den Umfang der nuklearen Abrüstung. Sollen außer atomaren Sprengköpfen auch Atomanlagen beseitigt werden? Müssen die USA ihre Streitkräfte aus Südkorea abziehen?

Was erfahrene Diplomaten besonders beunruhigt: Normalerweise werden derart bedeutende Gipfeltreffen monatelang vorbereitet, sodass die Staatschefs nur mehr die strittigsten Hindernisse aus dem Weg räumen müssen, um den Weg zu einer Einigung freizumachen. Das Gipfeltreffen ist normalerweise der krönende Abschluss von Gesprächen, nicht der Eröffnungs-Schachzug. Trump geht aber weitgehend unvorbereitet in dieses Gipfeltreffen, hält sich aber trotzdem für startklar: "Ich glaube nicht, dass ich mich sehr vorbereiten muss. Es geht um die Grundhaltung. Es geht um die Bereitschaft, Dinge erledigen zu wollen."

Kim Jong-un hat jedenfalls bereits gewonnen: Ohne dass er Zugeständnisse gemacht hätte, hat er sich mithilfe von Trump aus der Rolle des Paria-Machthabers herausmanövriert.