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Die Russen kommen

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik

Militärisch, diplomatisch, wirtschaftlich - Russland baut die Beziehungen zu Afrika aus.


Kampala. So viel Afrika-Politik hat es in Russland seit der Sowjetunion nicht gegeben: Außenminister Sergej Lawrow war in Kigali, der Hauptstadt Ruandas. Danach reiste er weiter nach Südafrika. Bereits im März war Russlands Chefdiplomat in Simbabwe, Mosambik, Angola und Äthiopien gewesen. Lawrows Vize, Michail Bogdanow, wurde in Kinshasa empfangen, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Ugandas Außenminister Henry Oryem war in Moskau zu Besuch. Und auch Faustin Touadera, Präsident der Zentralafrikanischen Republik, reiste nach St. Petersburg. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum traf er Präsident Wladimir Putin.

Das ist kein Zufall. Seitdem Russland vom Westen mit Sanktionen belegt wurde, richtet sich Putins Machtpolitik neu aus. Seit Juni hat Russland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat inne, eine Chance, die Weichen dafür neu zu stellen. Und da spielen, wie schon zu Zeiten des Kalten Krieges, die afrikanischen Staaten eine wichtige Rolle. Von einer "neuen Weltordnung" sprach Lawrow in Ruanda, in welcher Afrika einen "wichtiger Eckstein" darstelle.

Ruandas Präsident Paul Kagame hat den Vorsitz der Afrikanischen Union (AU) inne. Der Reformer will die mehr AU-eigene Friedenseinsätze, weniger Abhängigkeit vom Westen - auch da kommt Russlands Offensive gerade recht. Lawrow versprach den Afrikanern mehr Mitspracherecht im UN-Sicherheitsrat. Sein Vize versicherte kurz darauf den Kongolesen weniger Einmischung in innere Angelegenheiten. Für Kongos Präsident Joseph Kabila, der über seine legitime Amtszeit hinaus regiert und keine Anstalten macht, abzutreten, klingt das wie ein Heilsversprechen.

"Russland will aufholen"

Russland "versucht in Afrika jetzt aufzuholen", erklärt Ronak Gopaldas, Direktor der Beratungsfirma Signal Risk. Seitdem Europa sich mit Migrationsfragen beschäftige und US-Präsident Donald Trump seine "America First"-Politik ausgerufen hat, bemühten sich neben den Chinesen vermehrt die Inder, die Türken und Japaner um lukrative Deals in Afrika, so Gopaldas: "Russland will bei diesem Wettlauf nicht außen vor bleiben." Der russische Ansatz sei: "harte Machtpolitik, kombiniert mit Energie-Diplomatie". Von 2005 bis 2015 haben die Russen ihre Investitionen in Afrika um 185 Prozent erhöht.

Das ist erst der Anfang. Von der Atomenergie über Gesundheitsprojekte, Telekommunikation, Verschlüsselung von Regierungsdaten, Flughafen- und Grenzsicherung bis hin zu Öl und Gas - Russland hat viel zu bieten, was die Afrikaner dringend brauchen. Auch was die Finanzierung betrifft: Russische Banken liefern das Finanzierungspaket für Großprojekte, die sich die Afrikaner nicht leisten können.

Das ist neu. Bislang war Russland hauptsächlich militärisch präsent: Von der Kalaschnikow AK-47 über Panzer bis hin zum Kampfjet - 13 Prozent aller Rüstungsexporte gehen nach Afrika. Vor allem für die UN-Friedensmissionen im Kongo (Monusco), im Südsudan (Unamiss) oder der sudanesischen Region Darfur (Unamid) stellen Russen die Transportflugzeuge. Russland hat durch seine Piloten mehr Personal in Friedensmissionen als Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten zusammen.

Diesen Einfluss will Russland ausbauen. Jahrelang suchten die Russen nach einem geeigneten Marinestützpunkt in Afrika. In Dschibuti, dem kleinen Zipfel am Horn, wo die Amerikaner, Franzosen und Chinesen ihre Basen haben, wurde ihnen der Zugang verwehrt. Da sah sich Putin anderweitig um. Unter den Präsidenten Afrikas bot ihm ausgerechnet der international geächtete und mit Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchte sudanesische Präsident Omar al Bashir einen Platz am Roten Meer an. Als Bashir im vergangenen November im russischen Sotschi Putin die Hand schüttelte, bot er sich als "Türöffner" in Afrika an. Putin schlug sofort ein. Im Gegenzug versprach er dem Diktator, dessen marode Armee fit zu machen. Kurz darauf eröffnete einen Marinestützpunkt. Bashir ließ seine Kontakte spielen - vor allem ins Nachbarland Zentralafrikanische Republik (ZAF).

Dann kam Putin ins Spiel

Der dortige, 2016 frisch gewählte Präsident Touadera hat in der Schule Russisch gelernt. Touadera befand sich in einer misslichen Lage: Sein Land ist quasi zweigeteilt, der Norden wird von Rebellen kontrolliert. Die UNO hatten nach dem Putsch durch die muslimischen Rebellen der Seleka (Allianz) 2013 ein Waffenembargo verhängt. Um eine neue Armee aufzubauen, fehlte es an Rüstzeug. Seine eignen Leibwächter haben nicht einmal Pistolen, er wird von ruandischen Blauhelmen beschützt.

Dann kam Putin ins Spiel. "Touadera hat persönlich um Hilfe gebeten", so Artem Kozhin, Sprecher des Außenministeriums in Moskau. Er erwirkte im UN-Sicherheitsrat eine Ausnahme. Es seien nicht nur Handfeuerwaffen, Maschinengewehre und Raketenwerfer geliefert worden, sondern: "Mit dem Wissen des UN-Sicherheitsrats sind auch fünf Militärausbilder und 170 Zivilisten entsandt worden." Kozhin betont: "für umsonst".

Als Touadera Ende März zum ersten Mal eine Parade seiner frisch ausgebildeten 200 Soldaten abnahm, standen weiße Soldaten neben ihm, in Uniform, aber ohne Abzeichen. Zu sehen waren auch neue russische Ural-Panzer. Diese waren per Schiff über Tunesien und Kamerun angeliefert worden - ohne Genehmigung der UN. Die Parade fand im heruntergekommenen Palast von Jean-Bédel Bokassa statt, 70 Kilometer von Bangui. Der ehemalige Diktator hatte sich 1977 zum Kaiser krönen lassen. "In diesem Palast liegen meine Vorfahren begraben - jetzt darf ich nicht einmal mehr das Grab besuchen", entrüstet sich dessen Sohn, Jean Bokassa. Bis vor kurzem war er Innen- und Sicherheitsminister, dann überwarf er sich mit Präsident Touadera. Der Grund: "Er hat meinen Besitz heimlich an die Russen vergeben."

Er klagt: Eigentlich müsse die Nationalversammlung über internationale Abkommen mit abstimmen. "Doch über die Beziehungen zu den Russen hat der Präsident heimlich alleine entschieden." Jetzt sei der Palast zu einer "russischen Exklave" verkommen, "jenseits der Kontrolle unserer Regierung". Die Piste sei lang genug für russische Flugzeuge. "Wer dort einreist und was diese Leute mit sich führen - darüber hat unsere Regierung keine Kontrolle, ich durfte nicht einmal deren Pässe kontrollieren."

Er sagt über die Russen: "Das sind Gestalten mit zweifelhafter Visage." "Wagner" heißt die Sicherheitsfirma, unter deren Deckmantel der russische Militärauslandsgeheimdienst (GRU) weltweit agiert, auch in der Ukraine, der Krim, in Syrien oder Libyen. Firmengründer Dimitri Utkin war bis 2013 Oberstleutnant des GRU. 2014 kämpfte er mit seiner Söldnereinheit in Syrien. Der Finanzmogul hinter Wagner ist Jevgenij Prigozhin, auch bekannt als "Putins Koch", weil seine Cateringfirma die ausladenden Partys des Präsidenten ausrichtet. Sie liefert auch die Rationen für Russlands Armee. Zu Beginn des Jahres erhielt eine weitere Firma Prigozhins, M-Invest Ltd, Konzessionen für Gold-Minen im Sudan und in ZAF. Ähnliche Deals gab es in Syrien: M-Invest erhielt dort Ölfelder, die von Wagner-Söldnern befreit worden waren.

Uran im Fokus

Der Sprecher des russischen Außenministeriums bestätigt: "2018 wurde mit der Erkundung von Mineralien und Rohstoffreserven begonnen", um die Wirtschaft der Zentralafrikanischen Republik zu "stabilisieren". Im Norden gibt es neben Gold auch Öl und Uran - unerschlossen.

Das Problem: Dort regiert Rebellengeneral Nouredine Adam. Jüngst wurden auch in Adams Territorium russische Flugzeuge gesichtet. Der General hat sich mit den Russen im Sudan getroffen. Neben Gold und Öl ist das Uran im Fokus. Derzeit machen die Uran-produzierenden Staaten Niger, Namibia und Südafrika rund 18 Prozent der weltweiten Uran-Versorgung aus.

Nun wurden auch in ZAF, Ruanda und Uganda Vorkommen entdeckt. Dafür interessiert sich der russische Nuklear-Konzern Rosatom. Er reichert 36 Prozent des weltweiten Urans an, vor allem für die zivile Nutzung. Die soll auch in Afrika, wo der Bedarf an Strom enorm ist, den Energie-Hunger stillen. In Kigali nannte Lawrow die "friedliche Nutzung der Kernenergie" als ein wichtiger Punkt. In der Erklärung mit Uganda steht Atomenergie an erster Stelle.