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Die Wölfin wildert in Erdogans Revier

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die nationalistische Hardlinerin Meral Aksener könnte den türkischen Präsidenten entscheidende Stimmen kosten.


Ankara/Wien. Dass sie weiß, wie man Wahlkampf macht, hat Meral Aksener schon vor dem Verfassungsreferendum im April 2017 eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Damals tourte die rechtsnationale Politikerin, die häufig mit hochgeschlossener Bluse und farbenfrohem Blazer auftritt, ohne Unterlass durch die ganze Türkei, schüttelte unzählige Hände und hielt dutzende Reden. Aksener ließ sich dabei selbst von Widrigkeiten nicht aus der Bahn werfen. Als ihr bei einem Auftritt in der Stadt Canakkale der Strom abgedreht wurde, setzte sie ihre Rede ganz einfach mit einem Megafon im fahlen Licht der Handy-Displays ihrer Anhänger fort.

Ihr unermüdlicher Einsatz brachte Aksener damals nicht nur große Sympathie ein. Mit ihrem lautstarken Werben für ein "Nein" beim Verfassungsreferendum wurde die Rechtspolitikerin auch über Nacht zur Hoffnungsträgerin all jener aus dem konservativ-nationalen Lager, die unzufrieden mit Präsident Recep Tayyip Erdogan und der AKP sind.

Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag stellt die für ihre feurige Rhetorik bekannte Aksener damit eine ernste Gefahr für den Präsidenten dar. Umfragen zufolge wird die Chefin der erst im Oktober 2017 gegründeten Iyi Parti hinter Erdogan und CHP-Spitzenkandidat Muharrem Ince zwar nur den dritten Platz belegen. Doch sie dürfte Erdogan und vor allem der mit ihm verbündeten ultranationalistischen MHP viele wichtige Stimmen abnehmen. So gehen die Demoskopen davon aus, dass ein Großteil der bisherigen MHP-Wähler und bis zu zehn Prozent der AKP-Sympathisanten sich diesmal für Aksener entscheiden. Im für Erdogan schlimmsten Fall droht dem Präsidenten damit das Verpassen der absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang und eine Stichwahl gegen Ince.

Härte als Markenzeichen

An Aksener schätzen ihre Anhänger neben ihrem Engagement vor allem auch ihr Durchsetzungsvermögen und ihre offen zu Schau getragene Härte. Dass die promovierte Historikerin nach Jahrzehnten in der von Männern dominierten türkischen Politik diesen um nichts nachsteht, zeigte sich zuletzt vor allem im erbittert geführten Machtkampf um die MHP-Spitze im Sommer 2016. Damals hatte Aksener, die zu diesem Zeitpunkt noch MHP-Mitglied war, gemeinsam mit ihren Gefolgsleuten eine Revolte gegen Partei-Chef Devlet Bahceli angezettelt, die allerdings mit dem Ausschluss der Rebellen endete.

Härte demonstriert "Asena", wie sie viele Anhänger in Anlehnung an die mythische Wölfin in der türkischen Ursprungslegende nennen, allerdings auch immer wieder in der Kurdenfrage. So spielte Aksener, die damals Innenministerin war, bereits Mitte der 1990er Jahre eine zentrale Rolle bei den von vielen Menschenrechtsverletzungen begleiteten Repressionen im kurdischen Südosten der Türkei. Und noch heute weigert sie sich, die Kurden als eigenständige Volksgruppe anzuerkennen. Als Geste an die kurdischen Wähler sprach sich Aksener zuletzt aber immerhin dafür aus, Selahattin Demirtas, den inhaftierten Kandidaten der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), frei Wahlkampf machen zu lassen.

Aksener buhlt allerdings nicht nur um Wähler im nationalen Lager. Immer wieder betont die fromme Muslimin, die zwar kein Kopftuch trägt, nach eigener Aussage aber keines der täglichen Pflichtgebete auslässt, in ihren Wahlkampfauftritten die Bedeutung der Religion. Gleichzeitig gibt es aber auch eindeutige Signale an die politische Mitte. So will die 61-Jährige die Rechtsstaatlichkeit stärken und die Meinungsfreiheit wiederherstellen. Dafür soll vor allem der Ausnahmezustand, den Erdogan nach dem Putschversuch im Sommer 2016 verhängt hatte, aufgehoben werden.

Nicht zuletzt aber sägt die Vollblutpolitikerin, die für einen klaren Westkurs der Türkei eintritt, öffentlichkeitswirksam an Erdogans ganz persönlichem Lebenstraum. So soll das Präsidialsystem, das der AKP-Chef im Falle eines Wahlsiegs zu vollenden sucht, wieder rückgängig gemacht werden. Statt eines übermächtigen und per Dekret regierenden Präsidenten hätte dann künftig wieder das Parlament das Sagen.