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Ince gesteht Niederlage ein

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Den Sieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan will der zweitplatzierte Oppositionspolitiker nicht anfechten.


Istanbul. Es war ein Auftritt, der viele Fragen offen ließ. Am Montagmittag erklärte der unterlegene Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei CHP in Ankara, dass er den Sieg von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei den Wahlen in der Türkei anerkenne und ihm gratuliere. Bei der Pressekonferenz sagte Ince, die von der CHP selbst ermittelten Ergebnisse der Präsidenten- und Parlamentswahlen unterschieden sich nicht wesentlich von denen der Wahlkommission. Der stärkste Oppositionskandidat äußerte zugleich große Sorgen über die Zukunft des Landes und warnte erneut vor Erdogans "Ein-Mann-Herrschaft". Doch auf gravierende Auffälligkeiten des Wahlergebnisses ging er nicht weiter ein.

Erdogan hatte sich am Abend bereits während der laufenden Stimmenauszählung zum Wahlsieger erklärt. Er sprach von einem "Fest der Demokratie". Am frühen Montagmorgen bestätigte dann auch die Wahlkommission, dass der 64-jährige Amtsinhaber bei der Präsidentenwahl in der ersten Runde die absolute Mehrheit gewonnen hat. Das von Erdogans AKP angeführte Parteienbündnis mit der rechtsextremen MHP errang der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge bei der gleichzeitigen Parlamentswahl außerdem die absolute Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung.

Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Die Opposition hatte die Rückkehr zum parlamentarischen System versprochen und wollte außerdem den Ausnahmezustand aufheben. Letzteres hatte Erdogan im Wahlkampf ebenfalls zugesagt. Es dürfte jetzt kein Problem mehr für ihn darstellen, da er als Staats- und Regierungschef künftig mit einer Machtfülle ausgestattet ist, wie sie nur der türkische Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk besaß. Erdogan sagte bei seiner Siegesrede am Montagmorgen in Ankara, diese Wahlen würden "das Jahrhundert unseres Landes prägen".

Dubiose Twitter-Botschaft

Ince forderte Erdogan seinerseits auf, "Präsident aller Bürger" zu sein. Dass Ince bei seinem Auftritt ausgesprochen zurückhaltend agierte und die Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zwar ansprach, das Thema dann aber im Unkonkreten beließ, machte viele Beobachter allerdings stutzig. Vielfach wurde daher über einen Zusammenhang mit einer kryptischen Twitter-Botschaft, die er gegen Mitternacht verschickt und sofort wieder gelöscht hatte, spekuliert. In der Nachricht hatte der CHP-Kandidat geschrieben, es gebe "Dinge, die er nicht sagen dürfe", es habe mit dem Militär zu tun, das hinter "dem Mann" stehe. Auf der Pressekonferenz dementierte er aber entschieden, eingeschüchtert worden zu sein: "Niemand hat mich bedroht, und niemand kann mich bedrohen."

Noch am Samstagabend hatte Ince vor einem Millionenpublikum in Istanbul erklärt, er werde 50.000 Anwälte vor der Wahlkommission in Ankara versammeln, falls es Hinweise auf Manipulationen gebe. Tatsächlich meldeten Wahlbeobachter zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung am Sonntag; der Verband der türkischen Anwaltskammern sprach etwa von mehr als 5000 Beschwerden, die ihn erreicht hätten.

"Ince wirkte gebrochen, fast depressiv", sagte Gareth Jenkins, in Istanbul lebender Türkei-Experte vom schwedischen Institut für Sicherheits- und Entwicklungspolitik, gegenüber der "Wiener Zeitung". Auch die anderen Präsidentschaftskandidaten, die sich im Wahlkampf klar und entschieden gegen Wahlmanipulationen positioniert hatten, blieben zunächst stumm.

"Das entspricht nicht der Logik"

Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, kam Erdogan nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen auf 52,58 Prozent. Ince landete demnach mit 30,64 Prozent auf Platz zwei. Auch die "Plattform für faire Wahlen" aus Wahlbeobachtern der Opposition sah Erdogan nach Auszählung von mehr als 96 Prozent der Stimmen bei 52,56 Prozent, Ince bei 31,34 Prozent. Bei der Parlamentswahl erreichte Erdogans Parteienbündnis nach Anadolu-Angaben deutlich mehr als 340 der 600 Sitze; die CHP gewann mit 23 Prozent acht Prozent weniger als ihr Präsidentschaftskandidat Ince. Die Wahlbeteiligung lag bei 87,5 Prozent. Knapp 60 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen, mehr als drei Millionen davon im Ausland.

Der Wahlsieg Erdogans habe ihn nicht überrascht, sagt Türkei-Experte Jenkins. "Er kontrolliert die Medien und ist sehr gut darin, die Menschen mit Verschwörungstheorien zu füttern." Überraschend und merkwürdig seien eher die Einzelergebnisse, wenn man sie genau analysiere.

Offensichtlich seien die Manipulationen im Südosten, der kurdisch geprägten Region, sagt Jenkins. Dort habe die prokurdische HDP, die mit 11,5 Prozent überraschend stark ins Parlament einzog, in einigen Orten schlechter als bei der letzten Wahl abgeschnitten, obwohl die AKP viele Fehler bei der Kandidatenaufstellung begangen habe und Ereignisse wie der türkische Angriff auf die syrische Kurdenenklave Afrin die HDP-Stimmen hätten in die Höhe treiben müssen. "Das ist nicht logisch", sagt Jenkins. "Generell gilt: In den Gebieten, wo viele Wahlbeobachter der Opposition waren, entsprechen die Wahltrends der Logik. Wo es wenige Beobachter gab, häufen sich Seltsamkeiten. Ich verstehe nicht, warum die Opposition das nicht thematisiert."