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Haudegen gegen Strategen

Von Gerhard Lechner und Michael Schmölzer

Politik

Nach einer Reihe beispielloser Eklats trifft US-Präsident Trump auf seinen russischen Widerpart Wladimir Putin. Die ganze Welt blickt gebannt nach Helsinki.


Wien. Donald Trump setzt den Verbündeten der USA das Messer an den Hals, den Widersachern Washingtons klopft er auf die Schultern. Die Reise des Amerikaners durch Europa, die Treffen mit den Verbündeten wurden von Teilnehmenden mit einer Hochschaubahnfahrt verglichen: Auf den Vernichtungsschlag folgte Lob in höchsten Tönen. Wobei es wohl vor allem der britischen Premierministerin Theresa May den Magen ausgehoben haben dürfte: Sie musste sich zuerst von Trump in Sachen Brexit schulmeistern lasen, dann wurde ihr größter Konkurrent Boris Johnson von Trump als vielversprechender Premier gelobt und ein Handelsabkommen nach dem EU-Austritt massiv in Frage gestellt.

Während sich die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten noch von den Schockerlebnissen des Brüssel-Gipfels erholen, blickt alles gebannt und mit verständlicher Nervosität nach Helsinki. Dort wird am Montag das Treffen zwischen dem US-Präsidenten und seinem russischen Amtskollegen über die Bühne gehen und alles fragt sich, welche unangenehmen Überraschungen Trump diesmal parat hat. Ob und welche Bombe er dort platzen lassen wird. Im Vorfeld ließ Trump wissen, dass er Putin als "Konkurrenten" wahrnehme, nicht als "Freund", dafür kenne man sich noch nicht gut genug. Er, Trump, erwarte aber, dass er mit Putin ganz hervorragend zurecht kommen werde. Das Treffen in Helsinki werde das einfachste seiner gesamten Reise werden, so Trump. Hoffentlich werde Putin dort ein guter Freund.

Dass genau das eintritt, befürchten Trumps Parteikollegen, darunter niemand geringerer als US-Senator John McCain, Ex-Präsidentschaftskandidat und Doyen der US-Konservativen. Der US-Präsident müsse seine beunruhigende Tendenz ändern, den Gegnern Amerikas die Ehrerbietung und Hochachtung zuteil werden zu lassen, die eigentlich für unsere Verbündeten bereitgehalten werden sollte", so der schwerkranke McCain.

Parallele zu Nordkorea

In der Tat werden im Vorfeld des Treffens Parallelen zum Treffen Trumps mit Kim Jong-un gezogen. Der US-Präsident hat den nordkoreanischen Diktator im Juni vor großer Kulisse in Singapur getroffen - voll des Lobes und auf gleicher Augenhöhe. Eine große Inszenierung, wie immer, wenn Trump auftritt. Der selbstverliebte Tycoon wollte damit seine Fähigkeiten als Dealmaker unter Beweis stellen, geblieben ist abseits von Glanz und Glamour kaum mehr als ein schaler Nachgeschmack.

Zwar spricht auch Kim Jong-un von einem "epochalen Fortschritt" in den Beziehungen zur USA, in der Substanz hat sich aber nicht viel verändert. Von einem kompletten Abbau des nordekoreanischen Atomprogramms, wie in Singapur zugesagt, kann keine Rede sein. Es gibt kein Indiz, dass dieser Abbau in Angriff genommen würde. Das wäre aus Sicht Nordkoreas auch völlig widersinnig und so, als würde man seine Lebensversicherung mutwillig aufs Spiel setzen. Erst vor wenigen Tagen hat Nordkorea den USA vorgeworfen, "gangstermäßige" und "gierige" Forderungen hinsichtlich der atomaren Abrüstung gestellt zu haben. "Es sieht so aus, als hätten die USA unseren guten Willen und unsere Geduld missverstanden".

Während der Lack in Sachen Nordkorea abblättert, ist eine potenzielle Liebesbeziehung Trumps mit Russland schon in der Anfangsphase vor großen Hindernissen gestanden. Während des Wahlkampfes zur Präsidentschaft 2016 schien klar, dass Trump das Verhältnis zu Moskau, das sich unter seinem Amtsvorgänger Barack Obama sukzessive verschlechtert hatte, auf völlig neue Beine stellen wird. Das wurde durch den sich stets verdichtenden Verdacht, dass Russland in den US-Wahlkampf zugunsten Trumps eingegriffen hat, unmöglich.

Zugeständnisse Trumps an Russland hätte die US-Demokraten und den Ermittlern, die sich längst an Trumps Fersen geheftet haben, in ihrem Verdacht bestätigt. Trump war also zunächst zu einem harten Kurs gegenüber Moskau gezwungen, auch wenn er den nicht wollte. Es ist kein Zufall, dass Trump knapp vor dem Gipfeltreffen in Helsinki US-Sonderermittler Robert Mueller, der die Leitung der Nachforschungen in der Russland-Affäre innehat, frontal angreift: Die Untersuchung sei "vielleicht der korrupteste und verdorbenste Fall aller Zeiten", so Trump via Twitter. Trump geht es darum, die Ermittlungen, die ihm zuletzt gefährlich nahe gekommen sind, zu diskreditieren. In der Tat stand bereits eine persönliche Befragung Trumps durch Mueller im Raum.

Der US-Präsident steht unter starkem innenpolitischem Druck, eine Umarmung Putins nicht allzu intensiv ausfallen zu lassen. Der US-Politologe James Davis hat gegenüber der "Wiener Zeitung" darauf hingewiesen, dass noch ganz andere Umstände Trumps Bewegungsdrang hemmen. So habe der US-Präsident zuletzt in Brüssel ein Memorandum unterzeichnet, in dem die Vorgangsweise Russlands auf der Krim scharf verurteilt wird. Moskau wird außerdem dazu aufgerufen, seine Soldaten aus Moldawien und aus Georgien zurückzuziehen.

Das amerikanisch-russische Verhältnis ist so schlecht, dass man sich eine weitere Verschlechterung gar nicht vorstellen kann. Auch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hat daran nichts geändert. Russische Medien hatten zwar mit Freude zur Kenntnis genommen, dass der Milliardär sich überraschend gegen Hillary Clinton durchgesetzt hat - was auch kein Wunder war, denn Clinton, außenpolitisch eindeutig ein Mitglied der "Falken"-Fraktion in Washington, gilt nicht gerade als ausgewiesene Freundin Putins. In Moskau wird sie verdächtigt, bei den Protesten gegen die Wiederwahl Putins zum Präsidenten im Jahr 2012 ihre Finger im Spiel gehabt zu haben.

Entsprechend freudig waren die Reaktionen in Moskau, als Trump seine Konkurrentin schlug. Aussagen Trumps aus dem Wahlkampf, Amerika müsse auf ein gutes Verhältnis zu Russland achten, und lobende Worte Trumps über Wladimir Putin haben bei manchen in Moskau Hoffnungen auf einen Kurswechsel der US-Russlandpolitik geweckt.

Geplatzte Träume

Diese Illusionen sind mittlerweile zerstoben. Im April, als Trump als Reaktion auf einen angeblichen Giftgasangriff des Assad-Regimes in Syrien Stellungen der syrischen Armee bombardieren ließ, war man von einer offenen Konfrontation der beiden Großmächte nicht mehr allzu weit entfernt. Die Affäre um den ehemaligen Doppelspion Sergej Skripal, der in Großbritannien vergiftet worden war, hat die Atmosphäre zusätzlich vergiftet und zur beiderseitigen Ausweisung von Diplomaten geführt. Und das Treffen zwischen Trump und Putin findet erst jetzt, eineinhalb Jahre nach der Amtseinführung Trumps, statt. Überhaupt bemüht sich der US-Präsident - zumindest in der Öffentlichkeit - auffällig, jeden Eindruck, er würde gegenüber Putin einknicken, zu vermeiden. "Dennoch glaube ich nicht, dass deshalb die Enttäuschung über Trump im Kreml allzu groß ist", sagt der Politologe Heinz Gärtner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Putin sei kein Mensch, der sich Illusionen hingebe.

Und Trump? Hat der nicht eine Vorliebe für autoritäre Herrscher, wie Putin einer ist? Gärtner winkt ab. "Trump behandelt Putin wie jeden anderen", sagt der Politikwissenschaftler von der Universität Wien. "Er kommt auch gut mit demokratischen Politikern wie dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu aus oder klopft dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf die Schulter. Dass er eine Vorliebe für autoritäre Führer hat, für "strong men", ist letztlich Unsinn", sagt Gärtner. Dem US-Präsidenten gehe es darum, in bilateralen Beziehungen jeden seiner Gegner zu schwächen. Sein Erfolg, meint Gärtner, hänge dabei weitgehend vom Gegenüber ab. "Putin und der chinesische Präsident Xi werden sich nicht so leicht vorführen lassen wie die Europäer".

Als Ergebnis dessen erwartet Gärtner, dass es in Helsinki zu keinem "persönlichen Freundschaftsgetue" zwischen Trump und Putin kommen wird. "Es wird stattdessen harte Gespräche geben", zeigt sich der Politologe überzeugt. Tatsächlich ist es in Zeiten hoher Spannungen zwischen Washington und Moskau schon ein Erfolg, dass überhaupt ein Gipfel stattfindet. "Das Treffen dient aber auch dazu, Spannungen abzubauen", meint Gärtner, ähnlich wie in Zeiten des Kalten Krieges, als es darum ging, trotz aller Gegensätze friedlich zu koexistieren. "Konkrete Ergebnisse des Gipfels erwarte ich mir eher nicht, eine Absichtserklärung wird es aber wahrscheinlich geben", führt der Experte für internationale Beziehungen aus.

An Themen, die man besprechen könnte, mangelt es Trump und Putin gewiss nicht. So droht zwischen Washington und Moskau ein neues Wettrüsten. Putin und Trump setzten beide ostentativ auf eine Politik der Stärke und möchten nicht das Bild schwacher Präsidenten abgeben, die außenpolitisch einlenken müssen. Das mindert die Möglichkeit eines Kompromisses. Gleichzeitig sind die Mittel vor allem Russlands begrenzt. In Moskau erinnert man sich noch gut an das verlorene Wettrüsten aus der Sowjetzeit, das den Haushalt des Landes weit überfordert hatte. Sollte es auf dem Treffen zu Weichenstellungen in Richtung einer vermehrten Rüstungskontrolle kommen, wäre das ein Gewinn für beide Länder. So wären etwa Fortschritte im Ringen um die Verlängerung des neuen Start-Abrüstungsvertrags von 2010, der 2021 ausläuft, ein Erfolg.

Aber auch abseits des Themas Rüstung ist die Liste der Probleme - und damit aber auch die Liste möglicher "Tauschobjekte" bei einem "Deal", wie ihn Trump so liebt - lang. So würde Russland gerne eine Lockerung der US-Sanktionen sehen und eine Verminderung der Nato-Manöver an seiner Grenze. Die USA wiederum brauchen Russland, um einen Rückzug iranischer Kämpfer aus Syrien zu erzwingen - vorausgesetzt, dass das überhaupt möglich ist. Trump hatte mit der Aussage, dass die USA aus den Militärmanövern im Baltikum aussteigen könnten, die Nato-Partner verunsichert und unter Druck gesetzt. Diese Drohung Trumps nimmt Davis allerdings nicht ernst: Das Pentagon und die militärischen Stäbe der USA wüssten nichts davon. Es könnte also auch das gewesen sein, was Trumps Kritiker ihm vorhalten: Ein Ausritt eines unberechenbaren Mannes, ein Teil der Show eines Selbstverliebten, die mit Fakten und Realität wenig zu tun hat.

Zankapfel Ukraine

Und dann ist da noch das Thema Ukraine, das für Moskau besonders emotional besetzt ist. Einen Rückzug aus der Krim, wie ihn die USA fordern, kann sich Putin nicht leisten, ein Entgegenkommen in der Ostukraine - etwa im Zuge eines UNO-Blauhelmeinsatzes - wäre aber vorstellbar. "Ein ziemlich wahrscheinliches Ergebnis des Gipfels könnte sein, dass Moskau und Washington die Anzahl der Diplomaten wieder auf den ursprünglichen Stand heben", mutmaßt Gärtner. Im Zuge der Skripal-Affäre hatten Washington und Moskau dutzende Diplomaten ausgewiesen.

Aber ist das tatsächlich alles, was zwischen Washington und Moskau, den alten Konkurrenten, möglich ist? Manche Beobachter zeichnen hinter den aktuellen Geschehnissen ein größeres Bild. Sie erinnern an die US-Politik Anfang der 1970er-Jahre. Damals hatten der republikanische Präsident Richard Nixon und sein Außenminister Henry Kissinger außenpolitisch ein neues Kapitel aufgeschlagen. Sie holten das kommunistische China unter Diktator Mao Zedong aus der Isolation. Nicht ohne Hintergedanken: China und die Sowjetunion waren damals nur scheinbar verbündet. Mit einer Aufwertung des aus amerikanischer Sicht damals noch harmlosen Reichs der Mitte ließ sich Druck auf den wahren Gegner Moskau ausüben.

Heute hat sich das Verhältnis umgekehrt: Der Sowjet-Reststaat Russland ist zwar immer noch eine waffenstarrende Großmacht, aber eine auf tönernen Füßen. Die russische Wirtschaft ist schwach, die Bevölkerungszahl gering, dafür die Fläche des Landes gewaltig. In Moskau geht die Angst um, dass Sibirien früher oder später an die aufstrebende Wirtschaftsmacht China mit ihrer Milliarde Menschen fällt. Die USA fürchten heute weniger Moskau als Peking.

Was läge näher, als den Nixon-Kissinger-Coup zu wiederholen, nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen? Also Russland zu einem wohlwollenden Verbündeten gegen das aufstrebende China zu machen?

"Ich glaube nicht, dass Trump ein Taktiker wie Nixon und Kissinger ist", sagt Gärtner. "Die hatten eine Politik verfolgt, die ein Gleichgewicht der Mächte anstrebte. Trump dürfte nicht so denken. Was er will, ist ‚America first‘", vermutet Gärtner. Tatsächlich ist nur schwer vorstellbar, dass Moskau seine Allianz mit China ausgerechnet für den Erzfeind USA aufgibt.

"Trump will ein bilaterales Treffen mit Putin schon deshalb, weil Ex-Präsident Obama das nicht geschafft hat. Er will ganz einfach alles anders machen als Obama." Dazu kommt, dass Putin Trump nach mehr als 18 Jahren Erfahrung in der internationalen Politik verhandlungstaktisch deutlich überlegen sein dürfte. Putin hat nun auch die Möglichkeit, sich als vergleichsweise berechenbarer, seröser internationaler Player zu präsentieren.