Zum Hauptinhalt springen

Die Schicksalswahl

Von WZ-Korrespondent Philipp Hedemann

Politik

Am Montag wird in Simbabwe erstmals seit dem Sturz Robert Mugabes gewählt.


Harare. "Früher bin ich nicht wählen gegangen. Das war Zeitverschwendung. Der Sieger stand schon vorher fest. Aber dieses Mal gehe ich auf jeden Fall." Tambirai Marapira ist einer von rund 5,5 Millionen Männern und Frauen, die sich in Simbabwe für die ersten Wahlen seit dem Sturz des greisen Diktators Robert Mugabe registriert haben. Am kommenden Montag, 30. Juli, treten dort mehr als 120 Parteien bei der Parlamentswahl an. Bei der gleichzeitig stattfindenden Präsidentschaftswahl gilt Emmerson Mnangagwa als aussichtsreichster Kandidat. Der wegen seiner Verschlagenheit und Brutalität auch "Das Krokodil" genannte Politiker hatte Mugabe im November 2017 nach über 37 Jahren an der Macht in einem unblutigen Putsch gestürzt.

Doch Tambirai Marapiras Stimme wird Mnangagwa nicht erhalten. "Mugabes langjähriger Weggefährte als sein Nachfolger? Das ist doch wie die Wahl zwischen Pest und Cholera! Die beiden alten Männern haben Blut an den Händen", flucht der arbeitslose 48-Jährige, der als Mitglied der Oppositionspartei Movement for Democratic Change (MDC) von Mugabes Sicherheitskräften mehrfach zusammengeschlagen wurde.

Tatsächlich war Mnangagwa unter Mugabe viele Jahre Minister und sogar Stellvertreter des Gewaltherrschers. Für zahlreiche Massaker und Menschenrechtsverletzungen trägt er eine Mitverantwortung. Trotzdem sieht eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer Mnangagwa vorne. Demnach könnte der Vorsitzende der Mugabe-Partei ZANU-PF auf 42, sein größter Herausforderer Nelson Chamisa auf 30 Prozent kommen. Da für einen Sieg mehr als die Hälfte der Stimmen erforderlich ist, wird es am 8. September möglicherweise zu einer Stichwahl kommen.

Populistischer Herausforderer prahlt mit US-Kredit

Dass die meisten Beobachter Mnangagwa trotz seiner langjährigen Nähe zu Mugabe vorne sehen, liegt auch an der Schwäche der zersplitterten Opposition. Nachdem der langjährige und charismatische MDC-Vorsitzende Morgan Tsvangirai im Februar an Krebs starb, entbrannte ein erbitterter Machtkampf um seine Nachfolge. Aus ihm ging der erst 40-jährige Nelson Chamisa als Sieger hervor. Im Wahlkampf prahlte der Populist, dass er Simbabwes verheerende Wirtschaftskrise innerhalb eines Tages lösen könne und Donald Trump ihm zugesagt habe, Simbabwe unverzüglich 15 Milliarden Dollar zu überweisen, sollte Chamisa die Wahl gewinnen. Ersteres glaubten wohl selbst seine treuesten Fans nicht, letzteres dementierte das Weiße Haus umgehend.

Die Jungen entscheidendie Wahl

Und dennoch verfangen Chamisas Heilsversprechen vor allem bei jüngeren Wählern. "Mugabe hat mich und meine Generation um die Zukunft betrogen", grollt Philip Kubikwa in einem kleinen Dorf im Osten Simbabwes. "Wenn der alte Mann und seine Bonzen nicht über Jahrzehnte alles abgeschöpft hätten, könnten wir jetzt ein reiches Land sein und ich hätte Arbeit. Deshalb werde ich Chamisa meine Stimme geben", sagt der 22-Jährige. Kubikwa geht es wie den meisten seiner Altersgenossen.

Nach Schätzungen sind rund 90 Prozent der Jugendlichen in Simbabwe arbeitslos. "Die Jugend wird die Wahl entscheiden", glaubt Melanie Müller deshalb. Die Politikwissenschaftlerin ist Simbabwe-Expertin der renommierten Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. "Rund zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als 45 Jahre, viele von ihnen leben in prekären Verhältnissen. Sie werden demjenigen ihre Stimme geben, dem sie am ehesten zutrauen, ihre Lage zu verbessern", sagt die Forscherin. Darum bemüht sich auch der 75-jährige Mnangagwa intensiv um die jüngeren Wähler, ist unter anderem auf Twitter aktiv.

Dabei betont der Mugabe lange treu ergebene Politiker immer wieder, dass er es war, der den menschenverachtenden Diktator zum Rücktritt zwang. Aber macht ihn das schon zum lupenreinen Demokraten? "Mnangagwa ist vor allem Pragmatiker. Er weiß, dass seine eigene Bevölkerung, die rund drei Millionen Simbabwer im Exil und die internationale Gemeinschaft es nicht akzeptieren würden, wenn er so autokratisch wie sein Vorgänger weiterregieren würde. Darum hat er Reformen angestoßen", sagt Melanie Müller.

Ende Juni wurde bei einer Wahlkampfveranstaltung mit einer Handgranate ein Attentat auf Mnangagwa verübt. Zwei Menschen starben, fast 50 wurden verwundet, der amtierende Präsident überlebte unverletzt. Er hofft, dass es im Vorfeld der Wahlen, zu denen Simbabwe erstmals internationale Beobachter eingeladen hat, nicht zu noch mehr politisch motivierter Gewalt kommen wird. Er weiß, dass friedliche und faire Wahlen für die Weltgemeinschaft eine wichtige Voraussetzung für die so dringend benötigte wirtschaftliche Zusammenarbeit und intensivierte Entwicklungshilfe sind.

Vertriebene Großbauernwarten ab

Extreme hohe Arbeitslosigkeit, grassierende Korruption auf allen Ebenen, eine vor allem auf dem Land katastrophale Gesundheitsversorgung, hohe HIV/Aids-Raten, eine Währungskrise, die dazu geführt hat, dass es in Simbabwe kaum noch Bargeld gibt und eine am Boden liegende Landwirtschaft - auf den Wahlsieger warten viele drängende Probleme.

Dass die einstige Kornkammer des südlichen Afrikas mittlerweile auf Lebensmittelhilfslieferungen angewiesen, liegt vor allem an der chaotischen Landreform und den gewaltsamen Enteignungen von rund 4000 weißen Farmern Anfang des Jahrtausends. Aber werden die vertriebenen Bauern jetzt zurückkehren? "Ich erwarte keine Völkerwanderung nach Simbabwe", sagt Heinrich von Pezold. Der Mann mit österreichischem, deutschem und schweizerischen Pass ist einer der letzten verbliebenen weißen Farmer in Simbabwe. Er weiß, dass viele der Vertriebenen sich mittlerweile im Ausland eine neue Existenz aufgebaut. "Ihr Vertrauen in die Regierung wurde zutiefst erschüttert. Sie werden vorerst abwarten, wie sich die Lage entwickelt", sagt der Landwirt.

Die Wahl am 30. Juli ist dabei ein erster wichtiger Lackmustest. Tausende haben bei einer Demonstration in der Hauptstadt Harare deshalb knapp drei Wochen vor dem Urnengang freie und faire Abstimmungen gefordert. Sie wollen ihre historische Chance nutzen. Entsprechend lange Schlangen werden am Montag vor den Wahllokalen erwartet.