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Rette sich, wer kann

Von WZ-Korrespondent Markus Schauta

Politik

Präsident Abd al-Fattah al-Sisi lässt eine Verwaltungsmetropole aus dem Boden stampfen.


Kairo. Modern, sauber und smart soll sie sein, die neue Hauptstadt Ägyptens. Geht es nach den Plänen von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi, wird die Baustelle an der Autobahn von Kairo nach Suez in wenigen Jahren das Zentrum von Politik, Verwaltung und Business sein, mit Wohnungen für fünf Millionen Menschen. Eine noch namenlose Alternative zum alten Kairo, mit seinen maroden Gebäuden, den täglichen Staus und der verpesteten Luft.

Es ist nicht das erste Megaprojekt, das Al-Sisi aus dem Boden stampft. Eine neue Fahrrinne, um den Schiffsverkehr am Suezkanal zu beschleunigen, eröffnete er 2015 nach nur einem Jahr Bauzeit. Die Arbeiten am "größten archäologischen Museum der Welt" nahe den Pyramiden sollen noch heuer abgeschlossen sein. Und auch bei der neuen Hauptstadt wird nicht mit Mega-Landmarks gespart: Die Hauptmoschee mit 70 Meter hohen Minaretten bietet Platz für 8000 Gläubige. Sie ist damit die größte Moschee Ägyptens, wie auch die koptische Kathedrale einer der größten christlichen Sakralbauten des Nahen Ostens sein soll. Neben einer Industriezone und dem neuen Flughafen wird es einen Vergnügungspark geben, viermal so groß wie Disneyland in Kalifornien. Für das Stadtzentrum ist eine Parkanlage mit See vorgesehen, doppelt so groß wie New Yorks Central Park. Und über allem erhebt sich ein 345 Meter hoher Wolkenkratzer, der, einmal fertiggestellt, das höchste Gebäude am afrikanischen Kontinent sein wird. Ein Straßennetzwerk von 650 Kilometern Länge und eine elektrische Bahn, die die neue Hauptstadt mit dem alten Kairo verbindet, sorgen für fließenden Verkehr. Die Angaben zu den Kosten für das Bauprojekt schwanken zwischen 45 und 80 Milliarden US-Dollar. Sie müssen für jede Bauphase des Projekts neu kalkuliert werden, erklärte ein Pressesprecher des Bauministeriums der Zeitung "The Guardian". Zu den Investoren zählen neben ägyptischen Unternehmen Golfstaaten und China. Diese finanzieren den Bau von Gebäuden und Infrastruktur, um diese anschließend zu verkaufen oder zu vermieten. Beteiligt ist auch das ägyptische Militär, das große Teile der (Bau-)Wirtschaft kontrolliert und im Besitz der 700 Quadratkilometer Land ist, auf dem die neue Hauptstadt wächst.

Luftschlösser bauen

Die Bevölkerung Kairos wächst und es braucht neue Wohnungen, daran führt kein Weg vorbei. In der Großregion Kairo lebten im Jahr 2016 offiziell 23 Millionen Menschen. Bis zum Jahr 2050 soll die Bevölkerung auf 40 Millionen anwachsen. Die neue Hauptstadt ist nicht das erste Bauprojekt dieser Art. Einzelne Projekte gab es bereits in den 70ern. Unter Präsident Hosni Mubarak wuchsen ab Mitte der 90er Jahre weitere Satellitenstädte im Umkreis Kairos aus dem Wüstenboden. Allerdings sind diese in großen Teilen bis heute Geisterstädte. Erstens, weil die Wohnungen für sehr viele Ägypter zu teuer sind, und zweitens, weil ein erheblicher Teil der Wohnanlagen als Investitionsobjekte erworben wurden. Doch die Besiedlung erfolgte langsam, auch weil die Planung der Städte völlig an den Bedürfnissen der zukünftigen Bewohner vorbei geschah. Es gibt zu wenig Platz für Geschäfte und Dienstleister und bis auf Minibusse keine öffentlichen Verkehrsmittel, die Kairo mit den Satellitenstädten verbinden. Viele der neuen Bewohner pendeln zu ihren alten Jobs nach Kairo, was die täglichen Staus in der Hauptstadt noch verstärkt. Zahlreiche Experten lehnen daher den Bau einer neuen Hauptstadt ab. Sinnvoller wäre es, bestehende Städte durch Infrastruktur-Projekte aufzuwerten und die Satellitenstädte rund um Kairo an das öffentliche Verkehrsnetz (U-Bahn) anzubinden. Doch Al-Sisi hat in geheimen Verhandlungen mit Beratern und Geldgebern anders entschieden, öffentliche Ausschreibungen für die einzelnen Bauprojekte gibt es keine.

Umsiedlung der Regierung

Durch die geplante Umsiedelung der Regierung und des Verwaltungsapparates in die neue Hauptstadt könnte verhindert werden, dass diese, anders als die bisher erbauten Wüstenstädte, eine Geisterstadt bleibt. Aber: Wird sich der einfache Beamte eine Wohnung in der Neustadt leisten können? Sieht man sich die von Investoren bereits zum Verkauf angebotenen Apartments an, findet man Angebote wie dieses: Zwei-Zimmer-Apartment mit Balkon und privatem Garten zum Preis von 56.000 Euro. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen eines Regierungsbeamten betrug im Jahr 2016 wöchentlich 55 Euro, in der Privatwirtschaft waren es gerade mal 32 Euro. Auch ohne Zäune und Mauern (dafür mit allgegenwärtigen Überwachungskameras) zeichnet sich ab, für wen die neue Hauptstadt erbaut wird. Es ist ein Elitenprojekt, bei dem über die Kauf- und Mietpreise der Wohnungen entschieden wird, wer dazugehört und wer nicht. Ein Großteil der Bevölkerung wird weiter im alten Kairo leben müssen, 50 Kilometer getrennt von Regierung und Verwaltung, mit einer Infrastruktur, die in weiten Teilen veraltet oder nicht vorhanden ist.

Etwa die Hälfte von Kairos Haushalten sind nicht an das städtische Abwassersystem angeschlossen, 13 Prozent haben kein fließendes Wasser. Etwa sieben Prozent der Bewohner leben in baufälligen Gebäuden. Informelle Siedlungen am Rande der Stadt breiten sich rasant aus, was per se nicht schlecht sein muss, aber von einem Mindestmaß an stadtbaulichen Überlegungen begleitet sein sollte, was nur selten der Fall ist. Das öffentliche Verkehrssystem ist schlecht ausgebaut, statt dessen qualmen täglich an die zwei Millionen Autos durch die Metropole.

Sollbruchstelle für Konflikte

Mit dem Projekt Hauptstadt Neu setzt Al-Sisi ein Zeichen: Das alte Kairo, ungeordnet und verwachsen, gezeichnet von einer chaotischen Stadtplanung, wird aufgegeben. Wer kann, rette sich in die neue Hauptstadt. Der alltägliche Überlebenskampf breiter Teile der Bevölkerung, die Übergriffe der Sicherheitsbeamten, die Unfähigkeit der Stadtverwaltung - all das rückt für die Bewohner der Brave New Capital aus dem Blickfeld. Für Al-Sisi mag es ein weiteres Mega-Projekt sein, mit dem er in die Geschichtsbücher eingehen wird. Für die ägyptische Gesellschaft bedeutet es eine fortschreitende sozio-räumliche Fragmentierung, die den gesellschaftlichen Frieden weiter belastet und Sollbruchstelle für zukünftige Konflikte ist.