Zum Hauptinhalt springen

"Putin und Trump: Kleptokrat und Möchtegern-Kleptokrat"

Von Thomas Seifert

Politik

US-Historiker Tim Snyder über den Import korrupter Praktiken aus Russland in die USA und die Kneissl-Hochzeit.


"Wiener Zeitung": Es war eine turbulente Woche für Donald Trump: Sein früherer Kampagnenchef Paul Manafort wurde wegen Steuerhinterziehung und Bankbetrugs schuldig gesprochen, Trumps früherer Anwalt Michael Cohen hat sich in den Anklagepunkten Steuerhinterziehung, Betrug und Bruch der Kampagnenfinanzierungsgesetze schuldig bekannt. Fünf Leute aus dem engsten Umfeld Trumps müssen sich vor Gericht verantworten. Erstmals wurde der Präsident diese Woche auch selbst beschuldigt, Gesetze gebrochen zu haben. Die Einschläge kommen näher.

Tim Snyder: Diese Beispiele zeigen, wie bestimmte korrupte und illegale Praktiken aus der Ukraine und Russland in die USA importiert wurden. Aber in dieser Causa steckt auch eine fundamentale Frage über das Verhältnis zwischen Rechtsstaat und Kapital. Leute wie Donald Trump oder dessen ehemaliger Kampagnenmanager mit guten Russland-Kontakten, Paul Manafort, haben stets in einer rechtlichen Grauzone operiert. Bei Donald Trumps Geschäften gab es undurchsichtige Transaktionen, anonyme Immobiliendeals, Briefkastenfirmen. Nun versuchen die rechtsstaatlichen Institutionen, verlorenen Boden wiedergutzumachen.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Wladimir Putin und Donald Trump?

Beide glauben nicht an Institutionen, sondern an die Beziehungen von Persönlichkeiten und sie glauben an Deals. Mit Wladimir Putin und Donald Trump treffen zwei Männer zusammen - der eine ist Kleptokrat, der andere Möchtegern-Kleptokrat -, die sich nicht für die Geschicke des eigenen Landes und der eigenen Leute interessieren, sondern Teil einer dunklen Globalisierung der neuen Oligarchie sind. Hier gibt es auch einen Zusammenhang zwischen amerikanischer und europäischer Politik. Russland versucht, die Politik sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Europäischen Union zu beeinflussen. Damit meine ich nicht den Einfluss russischer Kultur oder eines Russland-Syndroms, sondern Russland zeigt vor, was passiert, wenn sich eine lupenreine Oligarchie entwickeln und heranreifen kann. Ich habe vorhin von Grauzonen gesprochen: Russland ist eine einzige Grauzone. Was die russische Führung nun macht, ist, andere Staaten zu ermutigen, doch so zu werden wie Russland. Auch für die Bürger Österreichs sollte das besorgniserregend sein: Denn all das, was Österreicher an ihrem Land zu Recht schätzen - den Rechtsstaat, den hohen Grad an sozialer Gerechtigkeit und den niedrigen Grad an sozialer Ungleichheit -, existiert in der Russischen Föderation nicht. Die russische Nomenklatura versucht aber, die Absenz dieser Dinge zu exportieren.

Österreich pflegt gute Beziehungen zu Russlands Präsident Putin. Vor kurzem war der russische Präsident als Gast bei der Hochzeit von Außenministerin Karin Kneissl. Haben Sie das verfolgt?

Natürlich.

Ihr Kommentar?

Österreich ist ein Mitglied der Europäischen Union. Die russische Außenpolitik zielt klar darauf ab, die Europäische Union zu zerstören. Wenn man das nicht erkennt, dann übersieht man die allersimpelsten Fakten.

Welche wären das?

Russland hat ein Brexit unterstützt. Es gab nicht nur Unterstützung durch bestimmte Akteure in den sozialen Medien, sondern es gab auch finanzielle Unterstützung. Moskau hat dem Front National im französischen Präsidentschaftswahlkampf geholfen - und zwar mit Geld. Das ist übrigens gut dokumentiert. Russland unterstützt die rechtsextreme Alternative für Deutschland und auch die Rechtsextremisten in Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn mit Internetaktivitäten, die antieuropäische Überzeugungen propagieren. Russische Parteien organisieren Konferenzen mit rechtsextremen politischen Führungsfiguren, die Russische Föderation lädt rechtsextreme und sogar faschistische Aktivisten ein, die dann in Russland oder in besetzten Gebieten der Ukraine Wahlen oder Referenden beobachten. Russland unterstützt in vielen Ländern Politiker, die die Europäische Union schwächen sollen. Ziel der russischen Außenpolitik ist es, jenen zu helfen, die dafür sorgen wollen, dass die mächtige Europäische Union in kleinere, weniger mächtigere Teile zersplittert. Für Moskau ist es dann viel einfacher, mit solchen kleineren Ländern umzugehen und die Muskeln spielen zu lassen. Es kommt noch eines dazu: Die russische Außenpolitik kreist um den Gedanken, dass Russland völlig normal ist. Das bedeutet nach der Leseart dieser Leute: Korruption ist normal. Die Demokratie ist ein Witz. Und das ist auch der Grund, warum die Europäische Union für Moskau ein erschreckend mächtiger Block ist. Die EU zeigt nämlich, dass Russland nicht normal ist. Die EU ist die größte Volkswirtschaft in der Geschichte des Planeten, die Union hat eine hochentwickelte, fortschrittliche Industrie, eine funktionierende Demokratie. All das hat Russland nicht. Russland geht es daher um strategischen Relativismus, wie ich das in meinem Buch "The Road to Unfreedom: Russia, Europe, America" nenne. Die Leute im Kreml wissen ganz genau, dass Russland nicht mächtiger werden kann, weil Russlands Wirtschaft im Vergleich zur Wirtschaft Europas oder der USA ein Zwerg ist. Und wenn man selbst nicht stärker werden kann, dann versucht man eben, die anderen hinunterzuziehen, um so zumindest an relativer Stärke zu gewinnen.

Zurück zum Verhältnis Russland-Österreich.

Ich wollte noch ein paar Worte zur Bauernhochzeit einer Außenministerin im Dirndl mit Kosaken und Putin als Hochzeitsgäste verlieren. Das völlige Fehlen einer Unterscheidung zwischen dem Persönlichen und dem Politischen in diesem Fall ist wirklich atemberaubend. Das sind doch zwei völlig getrennte Lebenssphären! Warum man jemanden auf eine private Hochzeit einlädt, der die Europäische Union zerstören will und der daraus auch kein Geheimnis macht, ist für mich schlicht unverständlich.

1989 hat man im Westen geglaubt, dass man den Osten mit den eigenen Idealen und Ideen anstecken kann. Nun sieht es so aus, als würde dieses West-Virus als Ost-Mutant zurückkehren. Nun versucht der Osten den Westen mit seinen Ideen und Praktiken zu infizieren.

Da ist etwas dran, allerdings würde ich die Virus-Metapher nicht verwenden. Der große Fehler von 1989 war der Glaube, dass die Geschichte nun an ein Ende gekommen ist. Sobald man ein Ende der Geschichte proklamiert, geht es auch mit der Vorstellungskraft zu Ende, in Alternativen zu denken. Dann ist ein Weg vorgezeichnet und wenn es dann nicht so läuft wie prognostiziert, dann war da eben ein Stolperstein, ein kleiner Holperer auf dem unabänderlichen Weg in Richtung Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaat. Nicht zuletzt wegen dieser Ideen haben wir es heute mit einer Generation zu tun, die sich über die Risiken von Politik nicht im Klaren ist. Die Idee vom Ende der Geschichte hat uns blind gemacht gegenüber Alternativen, auch wenn diese sich bereits zumindest schemenhaft vor unseren Augen abgezeichnet haben. Das Ende der Geschichte, das war für uns die Idee, dass die Politik ihr Primat an die Wirtschaft abgetreten hat. Wir glaubten, dass freie Märkte schließlich zur Demokratie führen würden. Karl Marx und Friedrich Hegel würde das zum Schmunzeln bringen. Es ist nämlich eine marxistische Idee, dass die Wirtschaft die Politik bestimmt und nicht umgekehrt. 1989 stirbt nun also der Marxismus, in Osteuropa gibt es über Nacht keine Marxisten mehr, aber zur gleichen Zeit tauchen immer mehr Leute im Westen auf, die der Meinung sind, dass die Wirtschaft die Politik bestimmt. Das Dumme ist freilich, dass die Idee, dass Kapitalismus unausweichlich zur Demokratie führt, schlicht unwahr ist. Und zweitens führt dieser Gedanke zu völliger Verantwortungslosigkeit. Man glaubte nämlich, dass man, solange man das richtige ökonomische System hat, die Politik schon auf sich selbst Acht geben wird. Und das bedeutet auch, dass Sie und ich als Bürger nicht für die Politik in unseren Ländern mitverantwortlich sind.

Wie sehen Sie Russland?

Russland hat einen bestimmten Sättigungspunkt in seiner Entwicklung erreicht. Russland zeigt, wie ein Land als eine Mischung aus einer sozial extrem ungleichen Gesellschaft, gefälschten Wahlen und einem konstanten Medien-Zirkus existieren kann. Und das hält man am Laufen. Es ist auch eine interessante Entwicklung in der russischen Außenpolitik, dass man die Außenpolitik subjektiv und nicht objektiv betrachten kann. Amerika hat geglaubt, dass es in der Systemkonkurrenz gewinnen wird, weil wir die mächtigere Volkswirtschaft sind. Diesen Fehler hat auch US-Präsident Barack Obama gemacht, als er sagte, Russland sei nur eine Regionalmacht. Schließlich produziert Russland ja nichts von Bedeutung. Obama hatte ja nicht unrecht. Russland produziert tatsächlich nichts von Bedeutung. Öl, Gas, Atommeiler, Waffen. Das ist es auch schon. Aber: Was ist, wenn wir in eine Welt eintreten, in der die Dinge subjektiv, nicht objektiv gesehen werden? Was ist, wenn man einen Krieg gewinnt, nicht weil man mehr Panzer oder Flugzeuge hat, sondern weil man die Emotionen oder den Willen der Menschen manipulieren kann? Weil man in der Lage ist, die sogenannte Psychosphäre zu beherrschen? Was ist, wenn die Leute im Kreml genau das verstanden haben? Also muss man Russland ernst nehmen.

Wurde in Russland die Demokratie nicht durch den entfesselten Kapitalismus regelrecht diskreditiert?

Absolut. Denn woran die Menschen in Russland sich erinnern können ist, dass mit dem Ende der Sowjetunion Korruption und eine schlimme soziale Ungleichheit eingekehrt ist. Wir im Westen waren diejenigen, die gesagt haben, solange ihr die Wirtschaft in Schuss bekommt, wird alles andere von selbst in Ordnung kommen. Zudem hat man darauf vergessen, darauf hinzuweisen, dass man die Wirtschaft nicht mit einem anything goes-Zugang hinbekommt, sondern dass man dafür den Rechtsstaat braucht. Um die Marktwirtschaft hinzubekommen, braucht man den Rechtsstaat und auch für die Demokratie braucht man den Rechtsstaat. Die Idee, dass die Marktwirtschaft zu Demokratie führt, ist absurd.

Wenn Ihnen Unterstützer von Donald Trump oder Wladimir Putin zuhören, dann würden Ihnen die wohl Putin-Paranoia oder eine Russland-Obsession vorwerfen.

Ich komme aus den Vereinigten Staaten. Dort wird normalerweise wenig über andere Länder nachgedacht. Ich wünschte, in den USA würde man sich mehr mit internationalen Entwicklungen beschäftigen. Wenn man das dann tut, dann hat das nichts mit einer Obsession zu tun.

Worum geht es den Macht- und Geldeliten zwischen Moskau, St. Petersburg und Wladiwostok?

Wir haben es in Russland mit einem System zu tun, das es einigen wenigen Leuten erlaubt hat, unvorstellbar viel Geld zusammenzuraffen. Das völlige Fehlen von Rechtsstaatlichkeit sorgt nun dafür, dass dieses System in Permanenz bleibt. Nun wird eine Ideologie erschaffen, die diese Tatsache ummänteln soll. Die Kreml-Propaganda erzählt den Leuten folgende Geschichten: "Wir sind Gauner, sagt ihr? Kann sein. Wir sind korrupt? Okay, stimmt. Aber: Ist nicht die ganze Welt korrupt? Ihr habt recht, man kann unseren Medien nicht vertrauen! Aber man kann Medien doch nirgendwo auf der Welt vertrauen!" Und dann sagen die Macht-Maschinisten: "Demokratie ist Fake. Wir haben hier in Russland Wahlen, die in Österreich haben auch Wahlen und auch in den USA kreuzt irgendwer irgendwas auf irgendwelchen Stimmzetteln an. Aber diese Wahlen sind im Grunde Fake. Unsere Wahlen sind Fake, aber deren Wahlen sind es auch. Ihr habt also nichts, wonach ihr euch sehnen könnt. Die Welt ist eben so, wie sie ist." Und drittens sagen sie: "Niemand versteht, dass Russland speziell ist. Ständig wird Russland beschuldigt, dieses oder jenes zu tun, obwohl Russland doch gar nichts Böses macht! Wenn es etwas Gutes gibt auf der Welt, dann findet man das am ehesten noch bei Mütterchen Russland. Im Westen gibt es doch nur moralischen Verfall und Korruption." Der einzige Zweck dieser Geschichten, die zu einer Ideologie zusammengezimmert wurden, ist es, das System der völligen Einkommensungleichheit und den Reichtum der Oligarchen und des Machtzirkels im Kreml zu zementieren.

Der Nobelpreisträger Josef Stiglitz sagte in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" erst kürzlich, dass der Westen, um im Kampf der Ideen siegreich zu sein, sich wieder auf die eigenen Stärken besinnen muss. Und damit meint er eine gerechte Gesellschaft. Kann der Westen im Kampf der Ideen wieder in die Offensive kommen?

Ja. Stiglitz hat absolut recht. Was es aber noch zusätzlich braucht, ist eine Zukunftsvision. Man muss Ideen propagieren, wie man durch verantwortungsbewusstes Handeln die Welt verbessern kann. Sobald man nämlich argumentativ in der Defensive ist, hat man auch schon verloren. Und dass ist auch das Traurige: Die meisten der guten Menschen sind derzeit in der Defensive. Niemand spricht darüber, wie die Dinge sein sollten. Der Wohlfahrtsstaat ist eine tolle Sache, eine saubere Umwelt ist großartig, und es ist definitiv so, dass der Rest der Welt mit Neid auf Europa blickt, weil man in vielen Teilen der Welt genau das gerne hätte, was man auf diesem Kontinent hat. Aber damit man diese Errungenschaften auch weiter behalten kann, muss man sie als Zukunftsvision artikulieren. Man muss klarmachen, wie Europa in fünf, zehn oder 15 Jahren aussehen wird. Menschen nehmen das, was sie haben, als selbstverständlich und gegeben hin. Man muss also erzählen, welche Rolle diese Errungenschaften auch in Zukunft spielen werden. Und genau da ist auch der Schwachpunkt von Putins Russland: Putin und seine Leute - die haben keine Ideen. Null. Da kommt nichts. Ihre Vision von der Zukunft ist der Machterhalt. Mehr nicht. Wenn sie über Ideen sprechen, dann sprechen sie über die Vergangenheit. Und indem sie die Vergangenheit beschwören, hören die Menschen auf, über die Zukunft nachzudenken. In meinem Buch bezeichne ich das als die Politik der Ewigkeit. Man muss also mit den Leuten darüber reden, dass wenn Typen wie Trump oder Putin gewinnen, die Menschen ärmer und weniger frei sein werden. Aber: Es gibt vor den Zwischenwahlen in den USA wieder Gründe, optimistisch zu sein. Jetzt ist sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt, um aufzugeben.

Zur Person:

Timothy Snyder ist US-Historiker und Professor an der Yale University. Snyder ist zudem Permanent Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM). Seine Forschungsschwerpunkte sind Osteuropäische Geschichte und Holocaustforschung. In seinem im April erschienen Buch: "The Road to Unfreedom: Russia, Europe, America" beschäftigt sich Snyder mit der russischen Einflussnahme auf die Präsidentenwahlen in den USA und der Illusion vom Ende der Geschichte. Der Westen habe die Wahl: zwischen Oligarchie und einer gerechten Gesellschaft, zwischen Individualrechten und Totalitarismus und zwischen Wahrheit und Lüge.