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"Kein Problem wurde gelöst"

Von Stephanie Liechtenstein aus Alpbach

Politik

Der US-Ökonom Jeffrey Sachs über Trumps erratische Außenpolitik und "wirtschaftliche Ignoranz".


"Wiener Zeitung": Das Leitmotiv des europäischen Forums Alpbach ist heuer "Diversität und Resilienz". Wie resilient ist das amerikanische politische System? Sehen Sie das System der "Checks and Balances" durch das Handeln von US-Präsident Donald Trump bedroht?

Jeffrey Sachs: Die konstitutionelle Demokratie der USA funktioniert schon seit vielen Jahren nicht mehr richtig. Ein Hauptzeichen dafür ist, dass das System nicht in der Lage ist, Probleme im Land und auch außerhalb effektiv zu lösen. Und Probleme gibt es genug, angefangen von der sozialen Ungleichheit und dem großflächigen Missbrauch von Opiaten, bis hin zum Klimawandel und den weltweiten Kriegen. Es fällt mir schwer, auch nur ein einziges Problem klar zu benennen, das von Amerika innerhalb der letzten Generation erfolgreich gelöst wurde. Das amerikanische System gibt dem Präsidenten außerdem einen sehr großen Spielraum im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Im Laufe der letzten 50 Jahre konnten US-Präsidenten großteils der Kontrolle durch den Kongress in diesem Bereich entgehen.

Im Bereich der Innenpolitik ist das etwas anders, da sieht das US-System einige Beschränkungen vor. Ein Beispiel dafür sind die vielen Entscheidungen der US-Gerichte, die in mehreren Fällen Anordnungen des Präsidenten wieder aufgehoben haben. Trump verschlimmert diese Situation nun noch weiter, ich halte ihn leider für einen mental völlig instabilen Menschen. Er scheint unter einer Persönlichkeitsstörung zu leiden. Dazu gehören Verhalten wie chronisches Lügen sowie narzisstische und sadistische Züge. Ich treffe diese Aussagen basierend auf sehr ausführlichen Gesprächen, die ich mit Psychologen und Psychiatern geführt habe.

Ich würde also sagen, dass unser politisches System sehr fragil ist. Und das System der Checks and Balances, gerade was die Kontrolle durch den Kongress betrifft, scheint völlig zusammengebrochen zu sein. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir derzeit eine republikanische Mehrheit sowohl im Kongress als auch im Senat haben. In anderen Bereichen funktionierten die Checks and Balances noch. Die Justiz ist unabhängig und die Richter sind auf Lebenszeit bestellt.

Sie haben bereits die US-Außenpolitik angesprochen. In Europa beobachtet man vor allem die amerikanischen Beziehungen zu Russland aber auch zum Iran mit Sorge. Haben Sie Erklärungen für die US-Positionen in diesen beiden Fällen?

Mir kommt vor, dass niemand die Situation mit Russland so richtig durchblickt. Wir haben derzeit natürlich noch keine gesicherten Informationen, aber es scheint so, also ob Trump in irgendeiner Art und Weise durch Russland kompromittiert ist. Deshalb läuft ja auch eine groß angelegte Untersuchung durch Sonderermittler Robert Mueller. Was wir jedoch heute bereits wissen ist, dass Trump schon seit geraumer Zeit in russisches Geschäfte und russische Kontakte verwickelt ist. Und es ist auch auffallend, dass Trump ausgerechnet Präsident Wladimir Putin nie beschimpft und beleidigt hat, wie er es mit so vielen anderen - auch internationalen - Politikern getan hat.

Zum Iran möchte ich Folgendes sagen. Wie ich bereits zuvor erklärt habe, hat der US-Präsident weitgehende Befugnisse im Bereich der Außenpolitik. Und deshalb war es Trump auch möglich, mit einem Federstrich Sanktionen gegen den Iran zu erlassen, obwohl diese Entscheidung globale Auswirkungen hat. Trump hat zudem entschieden, dass Amerika unilateral aus dem Abkommen mit dem Iran aussteigt, und gleichzeitig sämtliche Firmen mit extraterritorialen US-Sanktionen belegt, die weiterhin mit dem Iran Geschäfte machen. Ich halte das für ungeheuerlich. Es ist zudem ein Beweis dafür, wie gefährlich dieser Mann ist. Es ist auch ein Beispiel dafür, dass die USA Europa derzeit als völlig unwichtig ansehen.

Trump hat Europa ja auch mit einem Handelskrieg gedroht. Aber auch gegen China und andere Länder werden Zölle eingeführt. Gibt es aus rein wirtschaftlicher Sicht dafür irgendeine logische Erklärung?

Hier sehen wir uns wieder mit einem Beispiel konfrontiert, das zeigt, wie groß die Befugnisse des US-Präsidenten in einigen Bereichen sind. Trump kann einfach so entscheiden, Zölle oder Quoten zu verhängen. Die Motivation dahinter ist nichts anderes als tiefgehende wirtschaftliche Ignoranz, basierend auf einer veralteten Version des Merkantilismus. Trump glaubt, dass ein Handelsdefizit ein Beweis dafür ist, dass Amerika betrogen wird. Das stimmt aber nicht. Trump sieht Europa und auch China als Konkurrenten an.

Vor allem Peking geriet ins Visier das Weißen Hauses. Welche Gründe sehen Sie dafür?

Das Verhalten der USA gegenüber China ist nichts anderes als eine Reaktion auf den anhaltenden Erfolg des Landes. Es gibt zudem ein weitverbreitetes Denken im amerikanischen Establishment, dass sich die USA in einer Art Krieg mit China um die globale Vormachtstellung befinden. Das betrifft vor allem den technologischen Aufstieg Chinas. Dieses Denken ist sehr gefährlich, da es jene Hardliner in China bestätigt, die schon immer der Meinung waren, dass die USA Peking feindlich gesinnt sind. Hier werden also uralte Ängste ins Spiel gebracht. Ich hoffe sehr, dass Europa mit diesen Ideen in Zukunft nicht flirten wird. Wir müssen uns vor Augen halten, dass China keine Regeln bricht und daher dieses Verhalten auch nicht verdient.

Trump rechtfertigt seine Politik mit dem Handelsbilanzdefizit.

Ich möchte hier einen Irrglauben aufklären. Es stimmt natürlich, dass der freie Handel zu einem gewissen Grad zu einem Verlust von Arbeitsplätzen in der US-Industrie geführt hat. Viele dieser Arbeiter, vorwiegend aus dem Mittleren Westen der USA, gehören zur politischen Basis von Trump. Der freie Handel ist jedoch ein Grundpfeiler für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der USA. Was die USA also vielmehr brauchen, ist eine Politik, die auf sozialen Ausgleich und Umverteilung abzielt und dadurch auch jene Menschen erreicht, die nicht immer von der Wirtschaft profitieren.

Es ist jedoch so, dass die republikanische Partei und Trump nicht an die soziale Marktwirtschaft glauben, wie wir sie in Europa sehen. Dieses Gedankengut existiert einfach nicht in Amerika und schon gar nicht in Trumps Kopf. Daher ist es Trump viel lieber, alle negativen Auswirkungen auf externe Faktoren zu schieben, wie eben den angeblich unfairen Handel mit Europa, China oder auch Kanada.

Erstaunlich finde ich außerdem, dass Trump den Superreichen in Amerika auch noch Steuererleichterungen geschaffen hat. Das heißt also, dass in Amerika die Superreichen überhaupt nicht aufgefordert werden, einen Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilität und Fairness beizutragen. Die amerikanische Elite wird niemals mit in die Verantwortung genommen. Ich halte genau das für eine der größten Schwächen des amerikanischen Systems.

Wie sollte Europa auf diese Gesamtsituation reagieren? Ich meine hier nicht nur die Europäische Kommission, sondern auch due Mitgliedstaaten, speziell Österreich, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat. Kanzler Kurz hat in Alpbach in seiner Rede etwa von der Notwendigkeit gesprochen, mutige Zukunftsentscheidungen zu treffen.

Es ist heute wichtiger denn je, dass Europa vereint ist und mit einer Stimme spricht. Europa muss verstehen, dass die USA derzeit keine Führungsrolle in der Welt einnehmen. Europa muss diese Rolle zunehmend selbst einnehmen. Der Besuch von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei Trump in Washington war zwar relativ erfolgreich für Europa, jedoch sollten europäische Politiker aufhören zu glauben, dass die derzeitigen Herausforderungen durch gegenseitige Besuche gemeistert werden können. Ich denke auch, dass gerade in der heutigen Zeit sämtliche Anti-EU-Haltungen in Europa ein Spiel mit dem Feuer sind. Europäische Politiker müssen sich vor Augen führen, dass die USA kein automatischer Partner für sie sind. Sie müssen selbst eine Leadership übernehmen und das internationale System und den Multilateralismus verteidigen. Gerade die österreichische EU-Ratspräsidentschaft kann dabei helfen, die Stimme Europas in der Welt zu stärken.

Zur Person:

Jeffrey Sachs ist ein US-Ökonom und Direktor des Earth Institute an der Columbia University in New York. Er ist regelmäßiger Gast beim europäischen Forum Alpbach und gilt als Vordenker für eine globale ökosoziale Marktwirtschaft.