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"Die Kommunikationskanäle versiegen"

Von Stephanie Liechtenstein

Politik

Für den Polit-Analysten Andrej Kortunow steigt die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen Russland und dem Westen.


"Wiener Zeitung":Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen waren schon einmal besser. Im Juni haben Sie in einem Artikel für "National Interest" sogar gewarnt, dass seit dem Ende des Kalten Krieges die Gefahr für eine direkte militärische Konfrontation zwischen den USA und Russland niemals größer war als jetzt. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?Andrej Kortunow: Ich bin besorgt darüber, dass derzeit die Kommunikationskanäle zwischen Russland und den USA auf unterschiedlichen Ebenen blockiert oder eingefroren sind. Wir sehen kaum Kommunikation auf militärischer, geheimdienstlicher oder diplomatischer Ebene. Beide Länder reduzieren außerdem ihre Botschaften. Das Problem dabei ist: Je weniger Kommunikationswege, umso größer ist das Risiko, vor allem auf militärischer Ebene, aufgrund von Fehlinterpretationen Fehler zu begehen. Dadurch erhöht sich die Gefahr für eine direkte militärische Konfrontation massiv. Auch der Bereich der Rüstungskontrolle und der Abrüstung erodiert sehr schnell. Ich sehe den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme, der die Vernichtung von bestimmten Raketentypen vorsieht, als außer Kraft gesetzt. Wir bräuchten auch eine Verlängerung des Vertrages zur Verringerung strategischer Waffen. Ohne diese Verträge ist die Gefahr für militärische Konfrontation erhöht. Ich möchte mich nicht apokalyptisch anhören, selbstverständlich ist das hier nicht das Ende der Welt. Aber die Risiken werden ständig höher.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle der Europäischen Union?

Die EU ist für Russland sehr wichtig. Einerseits als bedeutender Handelspartner, sowie als sehr wichtige Investitionsquelle. Was die Sicherheitspolitik betrifft, so denke ich, dass die EU und Russland hauptsächlich im Bereich "Soft Security" gut kooperierten können. So könnte Kooperation in den Bereichen Cyber-Sicherheit, Migration oder Terrorismusbekämpfung eine sehr gute Basis für einen funktionierenden Dialog zwischen der EU und Russland darstellen.

Österreich hat sich mehrmals als Brückenbauer zwischen Russland und dem Westen angeboten. Könnte Österreich als neutrales Land hier helfen, die Situation zu entschärfen?

In Russland - hier meine ich sowohl die Regierung als auch die russische Bevölkerung - sieht man Österreich generell als freundschaftlich eingestellt an. Das liegt daran, dass Österreich kein Nato-Mitglied ist und, dass das Land im Vergleich zu anderen EU-Ländern eine weniger kritische Haltung im Bezug auf Russland einnimmt. Wir wissen allerdings auch genau, dass Österreich als EU-Mitglied gewisse rote Linien niemals überschreiten wird. Ich erwarte mir beispielsweise nicht, dass Österreich sich für die Abschaffung der EU-Sanktionen gegen Russland einsetzen wird, selbst wenn Teile der aktuellen österreichischen Regierung dafür eintreten. Generell habe ich den Eindruck, dass es zwei Gruppen von EU-Ländern gibt. Die eine Gruppe ist der Meinung, dass das Hauptziel der EU in der Bestrafung Putins liegt. Der Preis dafür spielt für diese Gruppe kaum eine Rolle. Dann gibt es eine zweite Gruppe, die einfach eine Lösung mit Russland finden möchte, selbst wenn sie dadurch einen Kompromiss eingehen müssen, der vielleicht nicht perfekt ist. Ich zähle Österreich zu dieser zweiten Gruppe an Ländern. Ich halte das für sehr wichtig, denn dadurch ergibt sich nicht nur mehr Flexibilität, sondern es kommen auch bessere Ideen und kreativere Lösungsansätze zustande. Österreich kann dabei derzeit sicher eine spezielle Rolle einnehmen, vor allem in seiner Funktion als EU-Vorsitzland.

Könnte dieser Gedanke auch beim überraschenden Besuch von Präsident Wladimir Putin auf der Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl eine Rolle gespielt haben?

Ich könnte mir vorstellen, dass das eher eine impulsive Entscheidung war. Oder dass Präsident Putin versucht hat, seine menschliche Seite öffentlich zu demonstrieren.

Ich möchte hier auch noch den Konflikt in der Ostukraine ansprechen. Denn die derzeitigen Spannungen zwischen Russland und dem Westen widerspiegeln sich gerade dort am offensichtlichsten.

Ich vergleiche diesen Konflikt gerne mit einer russischen Matrjoschka-Puppe, denn er findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Einerseits gibt es die innerstaatliche Dimension. Die Ukraine ist ein heterogenes Land und daher ist es besonders schwierig, eine einheitliche Meinung zustande zu bringen. Dann gibt es natürlich die ukrainisch-russische Dimension. Russland ist definitiv in diesen Konflikt involviert und hat auch die Druckmittel zur Verfügung, Einfluss auf den Konflikt auszuüben. Die sogenannten Republiken Donezk und Lugansk sind vielleicht nicht gerade Marionetten, sie können aber ohne die Unterstützung Moskaus nicht überleben. Zuletzt gibt es noch die Ebene der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, die Sie bereits selbst angesprochen haben. Abgesehen von diesen unterschiedlichen Ebenen, sollte man sich derzeit auf die Dinge fokussieren, die machbar sind. Ich sehe hier vor allem die Notwendigkeit, an einer Peacekeeping-Mission zu arbeiten. Selbst wenn derzeit die Positionen Moskaus und Kiews noch auseinandergehen, so glaube ich, dass diese Differenzen nicht unüberwindbar sind. Ich sehe eher ein Problem im Timing, denn in der Ukraine finden 2019 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Dadurch wird es naturgemäß weniger Möglichkeiten für Kompromisse oder Zugeständnisse von ukrainischer Seite geben. Nach den Wahlen wird das sicher leichter. Lassen sie mich hier diesen Gedanken noch positiv beenden. Auch in Österreich war noch bis in die 1960er Jahre der Südtirol-Konflikt anhängig. Doch schlussendlich haben sich Österreich und Italien geeinigt. Das zeigt, dass wenn es ausreichend politischen Willen sowie Einsatz von allen Seiten gibt, man alle Probleme lösen kann.

Zur Person

Andrej Kortunow

ist Direktor des Russian International Affairs Council (RIAC). Der 62-jährige Historiker hat an Universitäten in Russland und den USA unterrichtet und forscht vor allem zu internationalen Beziehungen.