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Putin fordert Kapitulation Idlibs

Von Michael Schmölzer

Politik

Die Schlacht um die letzte Hochburg der syrischen Rebellen scheint unabwendbar.


Teheran/Wien. Drei Männer haben in Teheran über das Schicksal von drei Millionen Menschen in der syrischen Rebellen-Enklave Idlib beraten: Russlands Präsident Wladimir Putin, sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan und Irans Hassan Rouhani debattierten am Freitag, wann und in welcher Form die Offensive der syrischen Armee über die Bühne gehen soll. Die Frage, ob der Angriff überhaupt stattfinden soll, wurde zwar von der Türkei ins Spiel gebracht. Nach den Gesprächen war aber klar: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Schlacht abgewendet wird, ist gleich null.

Ankara versteht sich zwar als Schutzmacht eines Teils der eingekesselten Rebellen. Und Erdogan war in Teheran bemüht, die Offensive zu verhindern oder zumindest zu verzögern, indem er für ein Waffenstillstandsabkommen plädierte. Putin wies das umgehend zurück, auch der Iran erklärte, dass der Kampf fortgesetzt werde, bis alle Rebellen vernichtet wären.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Das wurde schon dadurch klar, dass russische und syrische Kampfjets kurz vor Beginn der Gespräche Angriffe auf Idlib flogen. Bei den Rebellen handelt es sich in erster Linie um 10.000 Islamisten, die auch von den Vereinten Nationen als Terroristen eingestuft werden - es herrscht international Konsens, dass die bekämpft werden müssen.

Angriffe auf zivile Infrastruktur stehen bevor

Jasmin Rupp, Nahost-Expertin im österreichischen Verteidigungsministerium, geht davon aus, dass die Offensive in kleinen Schritten erfolgen wird. "Zunächst wird es darum gehen, an der Peripherie Idlibs strategische Straßen zu erobern und den Militärflughafen, den das Regime unbedingt zurückhaben möchte", so die Expertin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Dort befinden sich nur militante Gruppen, die naheliegenden Dörfer mit Zivilisten wurden bereits evakuiert."

Russland und dem Assad-Regime geht es in erster Linie darum, die Rebellen zur Kapitulation zu zwingen. Putin rief die Anti-Assad-Kämpfer am Freitag auf, die Waffen niederzulegen.

"Im Verlauf der Kämpfe werden zivile Infrastruktur und Städte in Idlib angegriffen werden, um den Menschen und Rebellen-Gruppen Angst und Schrecken einzujagen und eine raschere Kapitulation zu erzwingen", so Rupp. Damit sind die Leben der drei Millionen Zivilisten in Gefahr - und genau das befürchten die UNO und der Westen. Den Beteuerungen Russlands und des Iran, dass es kaum zivile Opfer geben werde, glaubt man hier nicht.

Die Rebellen sehen sich einer fatalen Lage gegenüber. Entweder, sie geben auf und fallen in die Hände Assads. Oder sie kämpfen bis zum bitteren Ende. Das heißt, bis zum Tod.

Für manche Gruppen gibt es einen Hoffnungsschimmer, erklärt Rupp: "Es könnte künftig einen Deal geben, wobei die Rebellen die Waffen abgeben und grundsätzlich bleiben dürfen, wo sie sind." Das wäre das Ziel der Türkei, sei aber nur auf jene Gruppen anwendbar, die nicht als dschihadistisch-terroristisch klassifiziert werden. Die radikalen Kämpfer der "Hayat Tahrir al-Sham" seien von allen Zugständnissen ausgenommen und würden in jedem Fall bis zur völligen Vernichtung bekämpft werden. "Die Türkei will den Russen und dem Iran schmackhaft machen: ‚Macht keine Offensive, wir kümmern uns um die Terroristen. Wir beseitigen sie, und zwar mit der Hilfe anderer, moderater Rebellengruppen‘", sagt Rupp.

Klar sei auch, dass das Assad-Regime, Russland und der Iran dem nicht zustimmen würden. Ziel des Regimes in Damaskus ist es, das ganze Territorium zurückzuerobern. Eine Rebellen-Hochburg, von wo aus russische Stützpunkte angegriffen werden können, wird hier nicht toleriert. Außerdem würde so ein Zugeständnis den Sieg Assads vereiteln.

Iran und Russland brauchen umfassenden Sieg

Der Iran braucht einen umfassenden Sieg in Idlib ebenso wie Russland. Das allein schon deshalb, um den enormen Aufwand zu rechtfertigen, den beide Länder in Syrien betreiben. Der militärische Einsatz kostet Moskau laut Schätzungen drei Millionen US-Dollar pro Tag. Dass sich die Gegensätze zwischen der Türkei und Russland und dem Iran gefährlich zuspitzen, ist nach dem Gipfel von Teheran auszuschließen. Immerhin einigte man sich auf eine, wenn auch dürre, gemeinsame Erklärung, wonach man gemeinsam Terroristen in Syrien vernichten wolle.

Die Türkei, so Rupp, sei außerdem unter bestimmten Bedingungen zum Einlenken bereit. Hier will man vor allem einen Flüchtlinsstrom ins Land verhindern. Wirklich prioritär ist für Ankara aber die Kurdenfrage. Es sei nicht unwahrscheinlich, so Rupp, dass auch die Kurden in den Kampf um Idlib einsteigen - und zwar auf der Seite der syrischen Armee. "Dabei geht es darum, wieder auf die nordsyrische Stadt Afrin vorstoßen, von wo die Kurden zuletzt von der Türkei vertrieben worden waren."

Der Kampf um Idlib wird für die Angreifer kein Spaziergang. Selbst wenn die Rebellen gegen die russischen Kampfjets keine Chance hätten: "Wo Rebellen gut sind, das ist die Guerilla-Taktik, der Häuserkampf", sagt Rupp. Die Kämpfe um Rakka und das irakische Mossul haben gezeigt, wie blutig ein monatelanger Straßenkampf gegen fanatisierte Verteidiger sein kann.