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Bloß nicht Bolsonaro?

Von Martina Farmbauer

Politik

Der "Trump der Tropen" führt derzeit die Umfragen für die Wahlen am Sonntag an.


Rio de Janeiro. Der Ruf "Ele não!" ("Er nicht!") ist am Wochenende durch die Straßen und über die Plätze Rio de Janeiros gehallt, vor allem über einen Platz: die "Cinelandia" im Zentrum der Stadt, die eine brasilianische Version des Times Square in New York werden sollte. "Cinelandia" - das Kinoland - der Name erklärt sich daraus, dass hier einst, ab den 1920er Jahren, die besten Kinos der Stadt lagen. Heute ist nur noch das "Odeon" übrig, das - wenn auch mit Problemen kämpfend - den Charme vergangener Zeiten bewahrt.

Es war aber kein Film, was sich am Samstagnachmittag auf und um die "Cinelandia" herum abspielte. Sondern die Realität in diesem turbulenten, ja verrückten Präsidentschaftswahlkampf, der in Brasilien quasi schon mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen die linke Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) 2016 begonnen hatte.

Der ehemalige linke Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva, der in den Umfragen zuletzt vorne gelegen war, ist zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden und darf bei den Wahlen, deren erster Durchgang am kommenden Sonntag stattfindet, nicht antreten; der ultrakonservative - manche sagen auch faschistische - Jair Bolsonaro von der "Sozial Liberalen Partei" (PSL) hat nach einer Messerattacke drei Wochen im Krankenhaus gelegen und führt die Umfragen an.

Frauen protestieren

Um ihn, nein gegen ihn geht es auf der "Cinelandia". Vor allem aber um die Frauen. Schon auf dem Bahnsteig hat ein solches Gedränge geherrscht, dass man kaum aus der Metro heraus kam. Auf dem Platz, der schon Bühne für einige der wichtigsten politischen Demonstrationen Brasiliens gewesen war, standen so viele Menschen so eng beieinander, dass eines dieser prägnanten Luftbilder entstand, die in die Geschichte eingehen. Und so wie an der "Cinelandia" in Rio versammelten sich auch am "Largo da Batata" in São Paulo und, dem Nachrichtenportal "G1" zufolge, in insgesamt 114 Städten vor allem Frauen, aber auch Männer, um gegen Jair Bolsonaro zu demonstrieren.

Bolsonaro gilt das "Ele Não". Er nicht, er niemals. 25.000 Menschen sollen es nach konservativen Schätzungen der Luftbilder allein an der "Cinelandia", 100.000 am "Largo da Batata" gewesen sein. Auf eine gewisse Art und Weise hat Brasilien damit seine eigene #MeToo-Bewegung, wenn auch im positiven Sinne: dem von "Ich bin auch gegen ihn". Nach #MeToo in den USA und #NiUnaMenos in Argentinien, wo Frauen von Protesten gegen sexuellen Missbrauch bis hin zu Geschlechtermorden gesellschaftliche Debatten vorgegeben haben, sind sie im brasilianischen Wahlkampf sowohl im Hinblick auf die Mobilisierung als auch die Stimmabgabe zu einem entscheidenden Faktor geworden.

Mit seinen Äußerungen im Stile eines "Donald Trump der Tropen" hat Jair Bolsonaro ihre Abneigung ihm gegenüber selbst verursacht. Unter anderem beleidigte er in einer Diskussion über die Militärdiktatur 2014 eine Abgeordnete damit, dass sie zu hässlich sei, um vergewaltigt zu werden. In diesem Jahr verteidigte er, dass Frauen weniger verdienen als Männer, weil sie schwanger werden, was in Österreich das Denken der 1950er Jahre wäre; in Brasilien geht denn auch die Angst vor einem Rückschritt um Jahrzehnte um.

Jenseits des "machismo"

Bolsonaro, Vater dreier Söhne, von denen zwei ebenfalls Politiker sind, und einer Tochter, sagte, er hätte sich bei dieser nicht genug angestrengt. Der frühere Fallschirmjäger in der Armee hat auch noch andere schwer erträgliche Aussagen über Schwule, Schwarze und andere Bevölkerungsgruppen getroffen sowie seine Verehrung für die Militärdiktatur in Brasilien zum Ausdruck gebracht.

Das europäische Bild vom "machismo", dem männliche Überlegenheitsgefühl, mag für Brasilien und Lateinamerika in gewisser Art und Weise zutreffen. Aber es hat auch noch eine andere Seite, und zwar die, dass es in Brasilien und Lateinamerika oft die Frauen sind, die die Familie durchbringen, weil die Männer sich davongemacht haben, trinken oder aus einem anderen Grund abwesend sind. Eine Erhebung der spanischsprachigen Tageszeitung "El País" zur Fußball-Weltmeisterschaft in Russland in diesem Sommer ergab, dass von den elf Stammspielern der Seleção sechs ohne Vater aufgewachsen waren.

Und es sind auch bei der Bewegung gegen Bolsonaro die Frauen, die diese ausgelöst haben. Ludimilla Teixeira aus Bahía gründete die Gruppe "Mulheres Unidas contra Bolsonaro", um die weiblichen Stimmen gegen Bolsonaro zu versammeln und ihnen ein Forum zu geben. "Ich habe unter meinen Freundinnen und in meinen Netzwerken festgestellt, dass viele Frauen diese Haltungen kritisierten", sagte sie "El País". "Also haben wir entschieden, all diese Frauen zusammenzubringen und eine politische Tatsache zu schaffen." Sie und ihre Mitstreiterinnen wollten zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung gegen Bolsonaro ist.

Mobilisierungsseite gehackt

Nach der Gründung am 30. August kam die Gruppe auf Facebook innerhalb von 24 Stunden auf 600.000 Mitglieder, ausschließlich Frauen. Vor zwei Wochen hackten dann vermutlich Bolsonaro-Anhänger die Seite in einem Moment, in dem die massive Mobilisierung der weiblichen Wählerschaft gegen Bolsonaro dabei war, sich von den Sozialen Netzwerken auf die Straße zu verlagern. Die Demonstrationen für den 29. September waren bereits angekündigt und hatten 100.000 Zusagen. Für diesen Samstag ist Teil zwei der Proteste unter dem Motto "Ele Não" angekündigt.

Die massive Gegenbewegung erfolgt jedoch spät, und es hat den Anschein, als ob sie das Gegenteil von dem bewirkt, was sie bewirken soll. Am vergangenen Samstag haben sich an der Copacabana auch Anhänger von Bolsonaro, der an diesem Tag aus dem Krankenhaus entlassen worden und nach Hause nach Rio geflogen war, getroffen, so wie sie das auch schon nach der Messerattacke auf ihn getan hatten.

Ihre Zahl war viel kleiner als die der Gegner an der "Cinelandia". Aber das ist nicht repräsentativ. Bolsonaro hatte seine Anhänger schon länger über die sozialen Medien und WhatsApp-Gruppen organisiert. Seit dem vergangenen Mittwoch sind seine Umfragewerte (Ibope) sogar von 27 auf 31 Prozent gestiegen. Unter den Frauen dürften diese nur bei der Hälfte liegen.

Diskussionsveranstaltung "Brasilien am Scheidepunkt": 3. Oktober, 19 Uhr im LAI - 1090 Wien, Schlickgasse 1