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"Man müsste Putin in Den Haag anklagen"

Von WZ-Korrespondentin Inna Hartwich

Politik

Der russische Aufdecker Dobrochotow von der "Insider"-Plattform über dilettantische Geheimdienstler.


Moskau. Roman Dobrochotow war noch Student, als er mit Aktionen die Politik des Kremls anprangerte. Mittlerweile ist der 35-jährige Moskauer Chef des Online-Portals "The Insider". Zusammen mit den britischen Investigativjournalisten von "Bellingcat" trug er dazu bei, russische Geheimdienstler im Fall Skripal zu entlarven. Ist nach den Enthüllungen sein Leben in Gefahr?

"Wiener Zeitung": Sie decken auf Ihrem Portal die Arbeit russischer Geheimdienstler auf, analysieren mutmaßlich staatlich orchestrierte Verbrechen, die Russland leugnet. Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?Roman Dobrochotow: Der Fall Skripal ist unsere dritte gemeinsame Recherche mit "Bellingcat". Wir haben bereits über den Einsatz russischer Geheimdienstler beim Putschversuch in Montenegro publiziert und auch zeigen können, dass für den Abschuss der MH-17-Maschine über der Ukraine der GRU verantwortlich ist. Auch beim Skripal-Fall war es eine fruchtbare Symbiose. Wir teilen uns die Arbeit auf. Zunächst gehen alle Dokumente und Daten an "Bellingcat", sie sitzen ja in Westeuropa und sind bei solchen Informationen weniger in Gefahr als wir. Wenn es später darum geht, mit russischen Quellen zu sprechen, russische Telefonnummern auszuprobieren, an bestimmte Orte im Land zu fahren, kommen wir ins Spiel. Denn wir wissen, wie es hier läuft, bekommen dadurch hie und da mehr Infos heraus, als es ein ausländischer Journalist könnte. Bei uns arbeiten 13 Leute, es ist eine Low-Budget-Sache. Ein Kollege und ich sind für die Recherchen mit "Bellingcat" zuständig.

Bei all diesen Recherchen scheint durch, wie dilettantisch russische Geheimdienstler arbeiten. Ist das auch Ihr Eindruck?

Der GRU ist ein Militärgeheimdienst, seine Spezialität sind Attacken und Zugriffe. Er ist im Gegensatz zum "zivilen" Auslandsgeheimdienst SWR nicht gewohnt, vorsichtig im Geheimen zu operieren. Er ist viel grobschlächtiger und risikobereiter. Wenn man GRU-Agenten nun in eigentlich falschem Auftrag einsetzt, so tauchen sofort Spuren auf, die sie nicht imstande waren zu verwischen. So sind die lächerlichen Fehler mit den Passnummern, den Telefonnummern und Autokennzeichen zu erklären. Die Daten waren problemlos zugänglich. Mit ein wenig Recherche, zumal in unserem korrupten Land, kamen wir schnell an solche Listen. Eigentlich müsste der GRU aufgelöst werden, um ganz neue Strukturen zu schaffen. Er hat sich selbst entlarvt.

Der russische Staat wirft Ihnen vor, ein von westlichen Geheimdiensten bezahlter Macher von Fake News zu sein. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?

Unsere Recherchen sind jetzt in aller Munde, das schützt uns natürlich. Bislang spüren wir keinen Druck. Aber wir sind auf die Blockierung unserer Seite vorbereitet. Die juristische Adresse von "The Insider" befindet sich in Lettland, das erschwert den staatlichen Zugriff aus Russland. Unsere Finanzierung stemmen wir mit Geldern aus Europa und mit Crowdfunding. Wenn es für mich zu gefährlich werden sollte, kann ich jederzeit ausreisen. Aber dadurch höre ich ja nicht mit meiner Arbeit auf. Was hätte der Kreml davon? Also lässt man uns arbeiten, mit einigen Verbalattacken von Seiten des Staates.

Wenn der Kreml tatsächlich vor kaum mehr etwas zurückschreckt, wie soll der Westen mit Putin umgehen?

Er soll die Dinge beim Namen nennen. Putin ist ein Mensch, der meint, er könne alles tun. Also tut er alles und fragt dann: Und, was tut ihr nun? Er hat das Vertrauen in Russland zerstört, ist längst kein zuverlässiger Partner mehr, mit dem man zu tragbaren Lösungen findet. Man müsste ihn in Den Haag anklagen. Und mit Russland erst kooperieren, wenn es wirklich auf Menschenrechte, Freiheit und Demokratie setzt.