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Vom Arbeitslosen zum Aufdecker

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Mit ihrer Recherche zum Fall des russischen Ex-Spions Skripal sorgte die Plattform Bellingcat für Aufsehen.


London. Mit Bellingcat hatten Oberst Anatolij Tschepiga und Doktor Alexander Mischkin wohl nicht gerechnet, als sie in diesem März mit falschen Pässen nach Salisbury reisten und später im russischen Fernsehen erklärten, sie hätten die englische Stadt aus rein touristischen Gründen besucht. Dass beide in Wirklichkeit dem russischen Militärgeheimdienst GRU angehörten und den Nowitschok-Anschlag auf die Skripals ausgeführt hatten, stand für westliche Dienste in diesem Spätsommer fest.

Dass aber ihre wahre Identität so schnell enthüllt wurde, war einer kleinen und gänzlich unkonventionellen Gruppe britischer Amateure zuzuschreiben - eben der Gruppe Bellingcat. Sorgsame Bildervergleiche, Dateiüberprüfungen, "Hinweise" anderer Art und Zusammenarbeit mit der russischen Webseite "The Insider" führten Bellingcat offenbar auf Tschepigas und Mischkins Spur.

"Nur von Rambo gelernt"

"Schon in der Vergangenheit hatten wir Erfolg bei der Identifizierung von GRU-Leuten", erklärte Bellingcat-Gründer Eliot Higgins heimischen Reportern zu dem Fund. "Ein paar Freiwillige" seines Teams hätten sich der Sache angenommen. Und je mehr sie dazu publizierten, "desto mehr Leute meldeten sich mit Informationen". Mit den "Salisbury-Hits" hat Bellingcat erneut weltweit von sich reden gemacht. Dabei gibt es die Gruppe, die heute ein Quartett fester Mitarbeiter und ein knappes Dutzend "Rechercheure" umfasst, noch gar nicht lang. Begonnen hatte alles damit, dass der heute 39-jährige Higgins im Jahr 2012 unter dem Blogger-Namen Brown Moses Beobachtungen zum syrischen Bürgerkrieg veröffentlichte und die im Kriegsgebiet verwendeten Waffen näher in Augenschein nahm. Mit Hilfe frei verfügbarer Quellen, wie etwa YouTube-Videos, spürte der Brite die Herkunft einzelner Waffen auf und wies unter anderem dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad den Einsatz von Streubomben und chemischen Waffen nach. Dabei, beteuerte Higgins, sei er selbst nie Waffen- oder Militärexperte gewesen: "Ich wusste nicht mehr als das, was ich von Arnold Schwarzenegger oder Rambo gelernt hatte."

Seine Nachforschungen stellte Higgins am Laptop von seinem Wohnzimmer in einem Vorort der mittelenglischen Stadt Leicester aus an. Zeit hatte der Online-Fanatiker, weil er nach dem Ausstieg aus diversen Verwaltungsjobs arbeitslos war. Zuvor hatte er ein Studium in Medientechnologie abgebrochen, weil ihm das dort Gebotene nicht neu genug erschien. Während seine türkische Frau Nuray einer geregelten Arbeit nachging, kümmerte er sich daheim um die kleine Tochter - und um Vorgänge in ganz anderen Teilen der Welt. Größeres Aufsehen erregte er - nach seinen Syrien-Funden - mit Ermittlungen zum Abschuss des malaysischen Passagier-Jets MH17 über der Ukraine im Sommer 2014. Mit Hilfe von Fotos und Kartenmaterial und unter Zugriff auf soziale Medien aller Art wies Higgins auf eine russische Bodenraketen-Brigade als auf die Urheber des Abschusses hin. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sein Ein-Mann-Unternehmen in Leicester zu einem kleinen Team erweitert und "Bellingcat" getauft: In Anspielung auf die alte Fabel, in der die Mäuse beschließen, der Katze eine Glocke umzuhängen.

Im Krieg der Geheimdienste?

Bellingcat hat seither immer wieder Licht auf nebulöse Umstände in Kriegsgebieten geworfen, gefälschte Fotos und "Fakten" als solche enttarnt und Zusammenhänge analysiert und beschrieben. Es hat Satellitenbilder und "Geolocation" benutzt, zum Beispiel um herauszufinden, wo Isis-Opfer enthauptet worden sind. Amnesty International, die Menschenrechts-Gruppe "Human Rights Watch" und andere Organisationen, aber auch viele angesehene Presseorgane, haben Higgins Amateur-Detektiven applaudiert für deren Aktionen.

Argwöhnische Zeitgenossen haben freilich auch gefragt, ob Bellingcat nicht vielleicht eine "Front" sei für westliche Geheimdienste - zumal sich ein Großteil der Aktivitäten der Gruppe auf Russland konzentriert. Dass Higgins seit 2015 eng mit dem in Washington angesiedelten "Atlantic Council" zusammenarbeitet, hat diesen Argwohn verstärkt. Higgins selbst räumt ein, dass sich zu "einem Geschäft" entwickelt hat, was für ihn anfangs schlicht "ein Hobby" war. Dass aber Moskau seine Arbeit attackiere, sagte er jüngst einmal der Londoner Zeitung "Guardian", das zeige nur eines: "Nämlich dass wir irgendetwas richtig gemacht haben."