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Kurze Pause, langer Atem

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Die USA wählen den Kongress neu. Die Demokraten könnten das Abgeordnetenhaus zurückerobern.


Washington/Los Angeles. Außerhalb von Hollywood kennen den Mann mit dem langen Namen nicht viele, sein Produkt dafür jeder. Pack Beauregard "Beau" Willimon ist Dramaturg und Drehbuchschreiber, einer der bestverdienenden seiner Zunft. Den Durchbruch schaffte der Spross einer Militärfamilie (sein Vater stand bei der Navy im Rang eines Captains) aus Virginia vor fünf Jahren mit der Adaption einer Anfang der 1990er Jahre ausgestrahlten BBC-Serie. Deren Name: "House of Cards".

In der TV-Serie intrigiert sich ein graumäusiger Durchschnittspolitiker mit übelsten Methoden, die bis zum Mord reichen, bis zum Premierminister hoch. Gemäß dem in den USA populären Motto "Talent borrows, genius steals" brach Willimon die ur-britischen Charaktere auf US-Verhältnisse herunter, besetzte die Hauptrollen mit Kevin Spacey und Robin Wright - und fertig war der globale Serienhit.

Heute macht sich der nunmehr 40-Jährige, der sich als junger Erwachsener selbst als Wahlkämpfer engagierte (unter anderem für Chuck Schumer, den heutigen Fraktionsführer der Demokraten im US-Senat, und Hillary Clinton, als sie noch New Yorker Senatorin war), Gedanken über die politische Zukunft; und weil ihn das, was er sieht, erschreckt, schickt er dieser Tage via Twitter dramatische Appelle an seine Landsleute, konkret an die junge Generation: "Junge Leute unter 30: Wenn ihr zahlreich wählen geht, werden wir unser Land zurückbekommen. Wenn nicht, gebt ihr eure Zukunft auf."

Bei den Demokraten schrillen die Alarmglocken

Darüber, was Frank und Claire Underwood dazu zu sagen hätten, lässt sich angesichts der Zahlen nur spekulieren. Rund zweieinhalb Wochen vor den Wahlen zum Kongress, den sogenannten Midterms - die traditionell so heißen, weil sie zur Halbzeit einer Präsidentschaft stattfinden -, und im Rahmen derer im Abgeordnetenhaus alle 435 und im Senat 33 der 100 Sitze neu vergeben werden, schrillen bei den Demokraten alle Alarmglocken. (Auch auf Lokalebene werden die Weichen neu gestellt. In 36 Bundesstaaten und 3 Übersee-Territorien finden Gouverneurswahlen statt, dazu fallen Entscheidungen über zahlreiche regionale Initiativen.)

Während in den US-Medien angesichts der, gelinde formuliert, eigenwilligen Performance von Präsident Donald Trump den gesamten Sommer über von nichts anderem mehr die Rede war als von der bevorstehenden "blauen Welle", die der linksliberalen Partei mindestens eine Mehrheit in der unteren Kammer bringen würde, macht sich mittlerweile allerortens Unsicherheit breit. Das, obwohl es theoretisch nicht viel braucht, um dort die konservative Mehrheit zu stürzen.

Im Abgeordnetenhaus müssen die Demokraten mindestens 23 Sitze gewinnen, um die Mehrheit zu erreichen. Im Senat theoretisch nur einen, um einen Gleichstand herzustellen.

Junge und Latinos gehen kaum wählen

Die große Frage bleibt indes, inwieweit die von Trump befeuerte, bisweilen extreme Motivation der Parteibasis am 6. November wirklich schlagend wird - und genau in diese Kerbe schlagen Leute wie Willimon. Als Hauptproblem für die demokratischen Strategen kristallisieren sich kurz vor der Wahl die zwei, man kann es nicht anders sagen, üblichen Verdächtigen heraus: die Jungen und die Latinos.

Allen diesbezüglichen Umfragen gemäß stellt sich die Lage dramatisch dar. Auch bei diesen Wahlen, wie schon 2016 geschehen, werden knapp zwei Drittel der Amerikaner unter 30 auf ihr Wahlrecht verzichten. Detto jene, die Wurzeln in Lateinamerika haben. Nachdem Wahlen zum Abgeordnetenhaus am Ende des Tages eine lokale Angelegenheit sind - jeder Kandidat steht für einen Wahlbezirk, den er oder sie in Washington D.C. für die Dauer von mindestens zwei Jahren repräsentiert -, brauchen die Demokraten jede einzelne dieser Stimmen, um ihr Ziel zu erreichen.

Wie freiwillig oder unfreiwillig ihnen Trump selbst dabei hilft, lässt sich schlecht abschätzen. Wie gegen Ende des Präsidentschaftswahlkampfs, als der 71-jährige Ex-Reality-TV-Star zunehmend selbstsicherer wurde, scheint sich sein Ton jedenfalls mit jedem Tag zu verschärfen. Im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung in Montana lobte der Präsident am Donnerstagabend den Kongressabgeordneten Greg Gianforte, einen konservativen Multimillionär, der im vergangenen Jahr einen Journalisten des "Guardian" tätlich angegriffen hatte: "Ich mag jeden, der einen Reporter schlägt." Sein Publikum dankte es ihm mit lautem und andauerndem Applaus.

Stilfragen hin, offene Aufrufe zu Gewalt gegen Medienvertreter her: Rein politisch besehen bleibt die Frage, ob die jungen Amerikaner und die Latinos ungeachtet ihrer individuellen Motive nicht doch einen Punkt haben, wenn sie meinen, dass am Ende wirklich egal ist, wer regiert, weil die Republikaner auch im Fall einer Niederlage mittel- bis langfristig nicht viel zu befürchten haben. Mit der jüngsten Ernennung Brett Kavanaughs wurde nach Neil Gorsuch bereits der zweite Höchstrichter unter Trump ernannt. Damit haben die Republikaner sichergestellt, dass es ungeachtet aller Wahlergebnisse in den kommenden 20 bis 30 Jahren zu keinerlei fundamentalen gesetzlichen Veränderungen kommen wird.

Für Republikaner schädliche Themen wenig beachtet

Dementsprechend lässt sich Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, bis heute nicht aus der Ruhe bringen, und zum x-ten Mal scheinen er und seine Partei damit durchzukommen. (Im Oberhaus scheint die republikanische Mehrheit bei den Midterms relativ abgesichert, bisweilen sogar ausbaufähig.)

Während sich die Medien über die täglichen Twitter-Tiraden aus dem Weißen Haus ereifern, ist es ihm und seinem Äquivalent im Abgeordnetenhaus, dem scheidenden Paul Ryan, gelungen, die für ihre Kandidaten potenziell schädlichen Themen - Unterhöhlung von Obamacare, Steuergeschenke für die Reichen, eine mit chaotisch nur unzureichend beschriebene Außenpolitik, die von Ex-FBI-Chef Robert Mueller geleitete Untersuchung gegen Mitarbeiter des Präsidenten, bis hin zur virtuellen Wahlkampfhilfe durch Russland - medial weitgehend unter dem Teppich zu halten. Nicht umsonst lautet der Titel seiner vor zwei Jahren erschienenen Biografie nicht "House of Cards", sondern: "The Long Game".