Zum Hauptinhalt springen

Die Saat geht auf

Von Klaus Stimeder

Politik

Bomben gegen Ex-Präsidenten und Trump-Kritiker wie Robert de Niro: Politisch motivierte Gewalt erreicht vor den Midterms neue Dimension.


Los Angeles/Washington D.C./Mosinee. Im Herzen des Mittleren Westens ist die Welt noch in Ordnung – zumindest, wenn man glaubt, dass Donald Trump der beste Präsident aller Zeiten ist, die Medien der Feind der USA und Hillary Clinton eingesperrt gehört, für was auch immer.

Am Mittwochabend Ortszeit gab der sein Leben lang in New York City lebende und arbeitende Ex-Reality-TV-Star in Mosinee, Wisconsin, vor seinen treuesten Fans, den Repräsentanten des ländlichen Amerika, ein Medley seiner Wahlkampfhits zum Besten. Wie immer traf es die üblichen Verdächtigen, die für alles, was nach des 71-Jährigen Meinung angeblich falsch läuft im Land, die Verantwortung tragen. Über die Ereignisse, die nämliches tagsüber in Atem gehalten hatten, verlor er nahezu kein Wort. Sie ganz zu ignorieren konnte er sich aber dann doch nicht leisten. Einem mit halbherzig nur unzureichend beschriebenen Aufruf zur "Einheit" folgten die gewohnten Tiraden gegen alle, die sich angeblich gegen ihn und seine Anhänger verschworen haben.

Rohrbomben an prominente Trump-Kritiker

Die Tatsache, dass in den vergangenen 72 Stunden sein Vorgänger Barack Obama, seine Gegnerin im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf, der unter Obama dienende Justizminister (und potenzielle Präsidentschaftskandidat) Eric Holder, die Kongressabgeordneten Maxine Waters und Debbie Wasserman-Schultz, der ehemalige CIA-Direktor John Brennan sowie der prominente Philantrop und Großspender der Demokratischen Partei, George Soros, Rohrbomben in ihre Häuser beziehungsweise ihre Büros geliefert bekamen, waren dem Präsidenten, wie schon tagsüber, nur wenige Worte wert. Wie das New Yorker und das Wilmington Police Department Donnerstagmorgen Ortszeit mitteilten, haben auch der Schauspieler und Trump-Kritiker Robert de Niro sowie Ex-Vizepräsident Joe Biden Bomben zugeschickt bekommen. Am Vormittag, als das Ausmaß der Bombenserie klar wurde, las er lediglich eine kurze Botschaft von einem Teleprompter ab, in der er die Gewalt formal verurteilte. Jegliche Verantwortung für die Eskalation der angesichts der potenziellen Opfer zweifellos politisch motivierten Tat zu übernehmen, fiel Trump rund zwei Wochen vor den für seine politische Zukunft wichtigen Midterms nicht ein.

Das Weiße Haus hatte schnell eine Botschaft bereit, die die rechten Propagandamedien, angeführt von Trumps Haus- und Hofsender Fox News, ungeschaut übernahmen: Solange nicht feststehe, wer der oder die Täter seien, sei alles möglich – auch, dass es, wie die prominente rechtsextreme Publizistin Candace Owens in einem (mittlerweile gelöschten) Tweet behauptete, "Linke waren, die vor nichts mehr zurück schrecken".

Tatsächlich werden politisch motivierte Gewaltausbrüche seit dem Amtsantritt von Donald Trump mit überwältigender Mehrheit von dessen Anhängern verübt und nicht zufällig trifft es in der Regel Minderheiten und Andersdenkende. Der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo traute sich etwa darauf hinzuweisen, dass die Angriffe auf Juden in seinem Bundesstaat zwischen 2016 und 2017 um 90 Prozent gestiegen seien – was er nicht zuletzt auf die Rhetorik des Präsidenten zurückführe.

Republikaner halten sich mit Kritik zurück

Eine Kritik, die praktisch das gesamte alteingesessene politische Establishment des Landes teilt, der Basis wie den führenden Repräsentanten der Republikanischen Partei im Jahr 2018 aber herzlich egal ist. Entsprechend hielten sich trotz der Dramatik der Ereignisse selbst als moderat geltende Konservative wie der scheidende Senator Jeff Flake (Arizona) mit jeglicher Kritik an ihrem Parteiführer zurück. Stattdessen riefen sie dazu auf, dass "beide Seiten mit einer Abrüstung der Worte" beginnen müssten.

Eine, bescheiden formuliert, gewagte These angesichts eines Präsidenten, der seine Fans in regelmäßigen Abständen dazu aufruft, Kritiker zu verprügeln und Politiker lobt, die ebendies mit Medienvertretern tun. (Erst vergangene Woche fand er warme Worte für Greg Gianforte, einen Multimillionär aus Montana, der gegen einen Reporter des "Guardian" handgreiflich geworden war.)

Solange der oder die Täter, der oder die die Bomben gebaut und verschickt haben, nicht gefasst sind, sind klarerweise alle Spekulationen über seine oder ihre Motive müßig – aber die Tatsache, dass Trump als geistiger Pate des amerikanischen Rechtsextremismus mehr als sein Scherflein dazu beigetragen hat, dass sich mittlerweile jeder letzte Hinterwäldler in den USA dazu berufen fühlt, sein Land gegen angebliche, vom Präsidenten wörtlich als "Volksfeinde" titulierte Oppositionelle zu verteidigen, darf keinen mehr überraschen. Es ist lediglich die Saat des Hasses, die Trump und seine konservativen Wasserträger seit mittlerweile drei Jahren säen, die jetzt aufgeht.