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Ganz normal explosiv

Von Klaus Stimeder

Politik

Nach Verhaftung eines Tatverdächtigen versuchen die Republikaner das Thema zu instrumentalisieren.


Los Angeles/New York/Washington D.C. – Keine Reaktion ist auch eine Reaktion. Zu Ende jener Woche, in der eine gegen Ex-Präsidenten, prominente Mitglieder der Demokratischen Partei und deklarierte Gegner von US-Präsident Donald Trump gerichtete Bombenserie das Land erschüttert, bemüht sich das Weiße Haus nach Kräften, Normalität auszustrahlen.

Im Fall der Trump-Administration bedeutet das: keinerlei Zeichen des Mitgefühls für die Betroffenen und ihre Familien, keine Angebote des besonderen Schutzes, ja nicht einmal ein Ausdruck der Sorge kommen dem Ex-Reality-TV-Star und den Mitgliedern seiner Partei über die Lippen. Stattdessen Business as usual: Fortgesetzte und im Ton immer schärfer werdende Angriffe auf die Medien ("So böse und hasserfüllt, dass es jeder Beschreibung spottet"), Immigranten ("Geht zurück nach Hause!"), gepaart mit dem üblichen Eigenlob für angeblich erbrachte historische Leistungen ("Niemand hat mehr dafür getan als ich, die Drogen-Epidemie zu bekämpfen."). Das alles, nachdem sich am Donnerstag und Freitag in der Post zweier weiterer prominenter Trump-Kritiker Rohrbomben fanden.

Wie in den Tagen zuvor Barack Obama, Hillary Clinton, George Soros, Maxine Waters, Debbie Wasserman-Schultz, Eric Holder und John Brennan hatten auch Ex-Vizepräsident Joe Biden, der Schauspielstar Robert de Niro, Senator Cory Booker (New Jersey) sowie James Clapper, Ex-Direktor für Nationale Sicherheit, Pakete mit Sprengstoff erhalten. Die Bundespolizei FBI schließt dezidiert nicht aus, dass sich noch weitere Bomben im Umlauf befinden.

Die gute Nachricht: Am Freitagmorgen Ortszeit verhafteten Agenten in Plantation, Florida, einen Tatverdächtigen. Der Mann heißt Cesar Sayoc jr., 56 Jahre alt, registrierter Republikaner, mehrfach vorbestraft und wohnte bis zu seiner Verhaftung in Südflorida.

Im FBI-Hauptquartier in Quantico, Virginia, waren hunderte Mitarbeiter exklusiv für die Analyse der Mordmaschinen abgestellt. Die erste Spuren hatte zu einem Postamt in der Kleinstadt Opa-locka geführt, wo eine nicht näher genannte Zahl der Pakete aufgegeben worden sein soll.

Ungeachtet der Unkenntnis der Motive des Täters beziehungsweise der Täter haben sich Trump und seine Apologeten im rechten bis rechtsradikalen Medienuniversum auf eine Linie festgelegt, die von Ignoranz (Fox News) über die Verschwörungstheorie, dass hinter den versuchten Anschlägen "Linke" stecken (der Radiomoderator Rush Limbaugh und die Autorin Ann Coulter, um nur die wichtigsten zu nennen) bis hin zu Aufrufen zu offener Gewalt in den sozialen Medien reicht (Ex-Breitbart-Blogger Milo Yiannopolous, der gegenüber seiner rund halben Million Fans auf Instagram sein ausdrückliches Bedauern darüber ausdrückte, dass keiner der Empfänger der Bomben zu Schaden kam. Instagram, das zu Mark Zuckerbergs Facebook-Imperium gehört, der wiederum beste Beziehungen zum Weißen Haus pflegt, sah darin übrigens trotz massenhafter Proteste keinerlei Verletzung seiner User-Richtlinien.)

Hinter der Zurückhaltung Trumps und jener der republikanischen Führung steckt freilich eine so kalkulierte wie zynische Strategie: Sie hoffen darauf, dass die Reaktionen auf die Anschläge mithelfen, die Parteibasis für die Kongresswahlen am 6. November zu aktivieren, bei denen die Konservativen allen Umfragen zufolge Gefahr laufen, ihre Mehrheit im Unterhaus zu verlieren; und nachdem sich nämliche in den vergangenen zwei Jahrzehnten nahezu bis zur Unkenntlichkeit radikalisiert hat, kann es sich heute praktisch kein einziger rechter Politiker, der seinen Job in Washington behalten will, mehr leisten, für den politischen Gegner auch nur einen Hauch Mitgefühl zu äußern. In Trumps Amerika nennen sie diesen Zustand: normal.