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Warum die Midterms wichtig sind

Von Michael Ortner

Politik

Welche Bedeutung hat die Wahl, welche Chancen haben die Demokraten, wie realistisch ist ein Amtsenthebungsverfahren?


Wann finden die Wahlen statt?

Die "Midterm Elections" oder Zwischenwahlen finden am Dienstag, dem 6. November, in den USA statt. Die ersten Wahllokale öffnen um 6 Uhr (12 Uhr MEZ). Mit ersten Ergebnissen ist am frühen Mittwochmorgen zu rechnen. Bei den Kongresswahlen 2014 stand gegen 3:15 Uhr MEZ fest, wer die Mehrheit im Repräsentantenhaus hat. Gegen 5:30 Uhr war klar, wer den Senat gewonnen hat.

Wie ist die Ausgangslage im Repräsentantenhaus?

Alle zwei Jahre wird das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Zusammen bilden die beiden Kammern die amerikanische Legislative, den Kongress. Im "house of representatives" ist jeder Bundesstaat nach dem Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten. Die Zahl der Abgeordneten ist per Gesetz definiert und immer gleich: 435.

Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner derzeit eine Mehrheit von 236 zu 193 Sitzen. Sechs Sitze sind vakant. Die Demokraten bräuchten 23 Stimmen, um eine Mehrheit (218 Sitze) zu erreichen.

Daneben werden in 36 Staaten und drei Außengebieten (Guam, Amerikanische Jungferninseln, Nördliche Marianen) Gouverneure und Bundesparlamente neu gewählt. Außerdem finden auf Lokalebene (Countys) Wahlen statt.

Jeder der 50 Bundesstaaten schickt zwei Senatoren nach Washington. Im Gegensatz zu den Abgeordneten im Repräsentantenhaus dauert die Amtsperiode von Senatoren sechs Jahre.

Im Senat wird über 35 von 100 Sitzen abgestimmt. Derzeit halten die Republikaner 51 Sitze und damit eine hauchdünne Mehrheit von zwei Sitzen. Trotzdem werden Chancen für die Demokraten als eher gering eingestuft, die zweite Kammer zu erobern. Denn von den 35 Sitzen, die vergeben werden, gehören 26 der demokratischen Partei, neun der republikanischen.

Die Republikaner haben 42 Sitze sicher, da diese heuer nicht gewählt werden.

Das heißt, die Demokraten müssen viel mehr Sitze verteidigen als die "Grand Old Party". Um sich die Mehrheit zu sichern, müssen die Demokraten also alle ihre Sitze verteidigen und zwei der Republikaner erobern. Das ist zwar rechnerisch möglich, gilt aber wie gesagt als eher unwahrscheinlich.

Obendrein müssen die Demokraten Sitze in zehn Staaten verteidigen, die bei der Präsidentenwahl 2016 mehrheitlich für Trump gestimmt haben. Die Republikaner hingegen verteidigen nur einen Sitz in einem Staat (Nevada), in dem Hillary Clinton damals gewonnen hat.

Welche Bedeutung hat die Wahl für die Präsidentschaft Donald Trumps?

"Die Wahl ist eine der bedeutenderen Wahlen, wenn man in die jüngere Vergangenheit blickt", sagt Sascha Lohmann, Politikwissenschafter in der Amerika-Forschungsgruppe der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP) zur "Wiener Zeitung". Grundsätzlich sind die Zwischen- oder Halbzeitwahlen ein Gradmesser für die Zustimmung oder Ablehnung der Politik des amtierenden Präsidenten. Für Demokraten geht es darum, inwiefern sie sich von ihrer Wahlniederlage 2016 erholt haben und ob sie die Macht des Präsidenten beschränken können. Bei Midterms ändern sich oft die Mehrheitsverhältnisse im Kongress. Dies wirkt sich auf den Spielraum des US-Präsidenten aus.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Beliebtheit eines Präsidenten und dem Abschneiden seiner Partei bei den Midterms?

Es kursiert eine Regel, wonach die Partei des Präsidenten bei den Midterms verliert, wenn seine Zustimmungswerte unter 50 Prozent liegen. Laut US-Meinungsforschungsinstitut Gallup, dass die Zustimmung wöchentlich erhebt, liegt sie bei Donald Trump derzeit bei 40 Prozent (Stand: 28.10.). Sein Vorgänger Barack Obama lag nach gleichviel Tagen im Amt bei 45 Prozent. Etwas besser schneidet der US-Präsident auf der Datenwebsite "Fivethirtyeight" ab: Dort liegt seine Zustimmungsrate bei 42 Prozent.

Generell hat in der Vergangenheit die Partei, die den Präsidenten stellt, bei den Midterms oft Verluste hinnehmen müssen. So konnte die Partei, die den Präsidenten stellt, bei den 21 Zwischenwahlen seit 1934 nur dreimal im Repräsentantenhaus und fünfmal im Senat zulegen.

Zwei Beispiele: Zum Amtsantritt von Barack Obama (2008) oder Bill Clinton (1992) hielten die Demokraten eine Mehrheit, jeweils zwei Jahre später verloren sie diese an die Republikaner. Neben Clinton und Obama mussten auch die vier weiteren Vorgänger von Trump zeitweise gegen eine Mehrheit der anderen Partei im Kongress regieren.

Laut dem deutschen USA-Kenner Josef Braml stellen die neuen Machtverhältnisse in den Kammern die Weichen für eine mögliche Wiederwahl Trumps.

Hat die Wahl auch Folgen auf die Außenpolitik der USA?

"Für die Außenpolitik hat die Wahl insofern eine Bedeutung, als das bestimmte Kontroll- und Auskunftsrechte des Kongresses eine Rolle spielen", sagt Lohmann. Diese Rechte könnten etwa mehr Licht in die Russland-Affäre bringen. Die Demokraten hätten das Recht, bestimmte Repräsentanten und Offizielle der Trump-Administration vorzuladen. Diese müssen unter Eid in den Ausschüssen vorsprechen. "Man kann sich bestimmte Dokumente schicken lassen und die Geheimdienste fragen, was sie über Russland-Verbindungen in der Kampagne 2016 wissen", sagt Lohmann.

Was passiert, wenn die Demokraten in einer Kammer die Mehrheit holt?

Tritt dieses Szenario ein, wären die Demokraten in einer gestärkten Position, mit der sie Trump besser die Stirn bieten könnten. Sie könnten Gesetzesvorhaben blockieren oder Kompromisse erzwingen. Die Steuer- und Ausgabengesetzgebung muss immer vom Repräsentantenhaus ausgehen. "Die Demokraten könnten die Trump-Administration bei ihren Vorhaben, Staatseinkommen zu generieren, sehr stark beeinflussen", sagt Politikwissenschafter Lohmann. Sie könnten beispielweise weitere Steuerkürzungen verhindern.

Holen die Demokraten in beiden Kammern die Mehrheit, könnten sie gegen von Trump nominierte Richter des Supreme Court und Kabinettsmitglieder ein Veto einlegen.

Droht bei demokratischen Mehrheiten ein Stillstand des Politikbetriebs?

Jedes Gesetz vom Repräsentantenhaus muss auch vom Senat verabschiedet werden. Das bedeutet: "Wenn die Demokraten das Haus gewännen, wird Trumps legislative Agenda so wie sie jetzt ist, zum Stillstand kommen."

Wäre bei einem Sieg der Demokraten ein Amtsenthebungsverfahren ("impeachment") realistisch?

Über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens entscheidet das Repräsentantenhaus. Der Senat – also zwei Drittel der anwesenden Senatoren - muss wiederum aufgrund dieses Verfahrens entscheiden. "Sofern die Demokraten das Haus erobern, könnten sie nach einem entsprechenden Bericht des Sonderermittlers (Robert Mueller, Anmerk.), der dann eventuell bestimmte Vergehen dem Präsidenten zur Last legen könnte, ein solches Verfahren einleiten", sagt Lohmann. Allerdings sei es höchst unwahrscheinlich, dass es vom republikanisch dominierten Senat auch bestätigt wird.

Was haben die Demokraten vor?

Bei den Demokraten liegen in den Ausschüssen bereits vorgefertigte Untersuchungsanträge in den verschiedenen Politikbereichen in der Schublade. So wollen sie Trumps Deregulierung in der Umwelt-, Gesundheits- und Steuerpolitik Einhalt gebieten.

Welches Ergebnis prognostizieren die Umfragen?

Experten zufolge stehen die Chancen sehr gut, dass die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobern könnten. Die US-Statistik- und Datenjournalismus-Website "Fivethirtyeight" sieht die Chancen der Demokraten bei rund 85 Prozent (Stand 2.11.). Ein komplett anderes Bild zeigt sich im Senat, wo den Republikanern eine 85-prozentige Chance eingeräumt wird, die Mehrheit in der Kammer zu behalten.

"Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass die Demokraten im Haus Zugewinne haben, vielleicht sogar eine kleine Chance im Senat – obwohl das ziemlich schwierig wird", sagt Lohmann.

Wie sieht es mit der Wahlbeteiligung aus?

Üblicherweise liegt die Wahlbeteiligung bei Zwischenwahlen niedriger als bei Präsidentschaftswahlen: Nur vier von zehn Bürgern gehen wählen. Bei den jetzigen Wahlen deutet die Zahl der Frühwähler auf eine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung hin. In mehreren US-Staaten können die Bürger schon vor dem Wahltermin ihre Stimme abgeben ("early voting"). Einwohner von Wisconsin etwa können ihre Stimme schon 47 Tage vor der Wahl abgeben.

Die Frage, inwieweit die Parteien ihre jeweilige Wählerklientel mobilisieren können, wird entscheidend sein. Grundsätzlich haben die Demokraten etwas mehr Schwierigkeiten, ihre Wähler zu den Urnen zu bewegen, als die Republikaner, sagt Politikwissenschafter Lohmann.

Bisher hatten Zwischenwahlen meist Bedeutung auf lokaler bzw. Bundesstaatsebene. Dies hat sich jedoch geändert. "Die Zwischenwahlen werden immer weiter nationalisiert", sagt Lohmann.

Was spricht für einen Sieg der Republikaner?

Die Wirtschaft in den USA brummt. Im September ist die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit fast 48 Jahren gesunken – eine Entwicklung, die schon unter Trumps Vorgänger Barack Obama begonnen hat. Dennoch streicht Trump diese positiven Daten nicht hervor. "Trump bleibt seiner alten Strategie treu, eher zu spalten als zu versöhnen, seine eigene Wählerschaft zu mobilisieren und die anderen zu dämonisieren", sagt Lohmann.

Bei den Republikanern selbst ist die Wahl sehr entscheidend. Denn viele Kandidaten im Repräsentantenhaus und im Senat, die dem Präsidenten kritisch gegenüberstehen, treten nicht mehr an oder sind in den Vorwahlen nicht mehr zum Zug gekommen. "Das heißt, es findet hier eigentlich eine Abstimmung über den künftigen Kurs der Republikaner statt – ob sie sich weiter radikalisieren oder sich vom Präsidenten lösen", so Lohmann.

Wie wichtig sind eigentlich die Gouverneurswahlen in 36 Bundesstaaten?

Ziemlich wichtig. Denn mit den Gouverneuren werden auch die Parlamente in den Bundesstaaten gewählt. "Das ist sehr entscheidend, wenn es darum geht, den Wahlkreisschnitt 2021 vorzunehmen", sagt Lohmann.

Hier kommt das Phänomen des "Gerrymandering" ins Spiel. In den USA können Wahlkreise verschiedenartig zugeschnitten werden, sodass sie entweder zu der einen oder anderen Partei tendieren. Dies geht zurück auf mehrere Entscheidungen des Supreme Courts aus den 1960er-Jahren. Demnach sollen Wahlkreise zum Repräsentantenhaus immer repräsentativ zur Bevölkerungsanzahl zugeschnitten sein. Auf der Landkarte ergeben sich deswegen zum Teil sehr merkwürdige Gebilde (Siehe hier). 2020 findet die nächste Volkszählung in den USA statt, ein Jahr darauf werden die Wahlkreise neu eingeteilt.

"Man versucht, bestimmte sozioökonomische Gruppen, denen man gewisse ideologische Präferenzen unterlegt, in einen Wahlkreis packt", sagt Lohmann. Demokratische bzw. republikanische Kandidaten können dadurch dort leichter einen Sieg einfahren. "Von den 435 Sitzen im Repräsentantenhaus sind je nach Einschätzung nur 30 bis 70 umkämpft. Das heißt, nur dort findet überhaupt politischer Wettbewerb statt", erklärt Lohmann.

Die Republikaner sind derzeit noch stark in der Mehrheit. Sie stellen 33 Gouverneure, die Demokraten 16, einer ist unabhängig (Alaska).

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