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Im Abstimmungsdschungel

Von Michael Schmölzer

Politik

Am Dienstag wird der Kongress bestimmt - aber nicht nur. Viele US-Bürger haben längst den Überblick verloren.


1.Wer oder was wird eigentlich am kommenden Dienstag gewählt?

Das Wichtigste zuerst: US-Präsident Donald Trump steht nicht zur Wahl, obwohl der Eindruck entstehen könnte. Immerhin zieht er durch die USA, hält Brandreden gegen Migranten, dominiert die Schlagzeilen und die internationalen TV-Berichte.

Bei den anstehenden Zwischenwahlen, den Midterms, wird allerdings ein neuer Kongress gewählt: das Repräsentantenhaus zur Gänze und ein Drittel des Senats. Der US-Präsident ist in vielen Fragen auf die Zustimmung einer Mehrheit des Kongresses angewiesen, gegen beide Kammern zugleich kann er kaum etwas ausrichten. Deshalb das große Engagement Trumps.

2. Ist das alles?

Nein. Zudem werden die Gouverneure in 36 Staaten sowie in den drei Außengebieten Guam, Jungferninseln und Nördliche Marianen gewählt. Parallel zur Kongresswahl finden in 37 der 50 Bundesstaaten insgesamt 157 Abstimmungen statt. Dabei geht es um die Legalisierung von Cannabis in Michigan und North Dakota. Idaho, Nebraska und Utah wollen Medicaid, ein Krankenversicherungssystem für bedürftige Menschen, auch für Personen öffnen, deren Einkünfte deutlich über der Armutsgrenze liegen. In Kalifornien gelangt eine Vorlage zur Abstimmung, die den Preis von Dialyse, also Blutwäsche für Nierenkranke, regulieren soll. In mehreren Staaten gelangen Vorlagen zur Ausweitung der Opferrechte in Strafprozessen zur Abstimmung.

Kein Wunder, wenn man hier die Übersicht verliert. Zunächst muss man sich als Wähler extra registrieren lassen. In Kalifornien erhält man einen 200-seitigen "Voter Information Guide", in dem angeführt wird, worüber abgestimmt wird und worum es dabei eigentlich geht. Verzweifelte Wahlberechtigte berichten allerdings, dass auch diese Broschüre nicht leicht zu verdauen ist.

3.Wie ist die Ausgangslage im US-Kongress?

Derzeit haben die Republikaner im Repräsentantenhaus eine klare Mehrheit von 236 zu 193 Sitzen, wobei sechs Sitze vakant sind. Im Senat haben die Republikaner 51 Sitze - eine hauchdünne Mehrheit von zwei Sitzen. Nur ein Drittel der Plätze wird im Senat neu vergeben, wobei 24 Sitze der Demokraten, aber nur neun der Republikaner neu vergeben werden.

4.Was sagen die Meinungsumfragen?

Laut Statistik-Website FiveThirtyEight beträgt die Wahrscheinlichkeit rund 86 Prozent, dass die Demokraten das Repräsentantenhaus erobern. Beim Senat liegt die Chance bei knapp 15 Prozent. Das deshalb, weil die meisten Senatssitze gerade dort vergeben werden, wo die Demokraten ohnehin schon den Senator stellen. Die Gegner Trumps haben also viel mehr zu verlieren als zu gewinnen. Sollten die Hoffnungen wie schon bei den Präsidentschaftswahlen 2016 herb enttäuscht werden, wird bei den Demokraten wohl kein Stein auf dem anderen bleiben.

5.Was sind die dominanten Themen im Wahlkampf?

Unmittelbar sind die Wähler am Streitthema Gesundheitsversorgung interessiert. Eine Sache, die jeden betrifft. Die Republikaner wollten die von Ex-Präsident Barack Obama durchgeboxte Gesundheitsreform "Obamacare" als "kriminell" aufheben, was aber nicht gelungen ist. "Obamacare" will eine Krankenvorsorge für jeden. Die Republikaner haben seit der Amtseinführung von Donald Trump den Versicherern die Möglichkeit eröffnet, Patienten mit medizinischer Vorgeschichte abzulehnen oder höhere Beiträge zu fordern. Das hat sich nicht als populäre Maßnahme erwiesen. Viele Wähler sind empört, "Obamacare" wird auch bei Republikanern immer beliebter. Der Missmut gegen Trump und Co rührt auch daher, dass die Republikaner seit zwei Jahren keine Alternative präsentieren konnten. Das wird sich auch nicht ändern.

6.Warum sind Flüchtlinge jetzt plötzlich ein derart heißes Thema?

Trump hat jeden Grund, nervös zu sein. Traditionell wird die Präsidenten-Partei bei den Midterms abgestraft - die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte bestätigen das. Dazu kommt, dass zufriedene Bürger in den USA tendenziell zu Hause bleiben. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Wirtschaft brummt, und das Wetter an den Börsen ist sonnig. Ob das ein Verdienst Trumps ist, wird von Ökonomen in Zweifel gezogen. Trumps Sinn für die politische Großwetterlage sieht aber, dass diese Erfolge nicht reichen. Deshalb hat er seine Propaganda-Maschinerie angeworfen, inszeniert eine "Invasion" illegaler Migranten, redet kriegsähnliche Zustände herbei und macht 15.000 Soldaten mobil, die die "wilden Horden" an der Grenze zu Mexiko aufhalten sollen. Dabei dürfen US-Soldaten Einreisende per Gesetz nicht einmal durchsuchen oder nach dem Ausweis fragen, geschweige denn aufhalten.

Das Theater fällt bei seinen Anhängern durchaus auf fruchtbaren Boden, signalisiert es doch, dass Trump handlungsfähig ist und entschlossen auf Seite der US-Amerikaner steht. Trumps Haussender Fox berichtet, dass die Migranten aus Mittelamerika ansteckende Krankheiten hätten, die Pocken etwa und Lepra. Belege dafür gibt es keine, aber Trump schürt die Angst, um sich dann umso effektiver als Beschützer in Szene setzen zu können. Ein Polit-Spuk in allerletzter Sekunde, um noch Wähler zu mobilisieren.

7.Welche Faktoren werden die Wahlen entscheiden?

Von zentraler Bedeutung ist die Wahlbeteiligung. Üblicherweise geben nur vier von zehn US-Bürgern bei den Zwischenwahlen ihre Stimme ab. Das könnte diesmal anders sein. In manchen Teilen der USA kann bereits seit Wochen abgestimmt werden, wobei eine ungewöhnlich hohe Zahl von Wählern bereits zu den Urnen gegangen ist. Die "battleground districts" sind die Vororte rund um die großen Städte und Staaten wie Pennsylvania. Wollen die Demokraten die 24 zusätzlichen Sitze holen, die sie für eine Mehrheit im Repräsentantenhaus brauchen, müssen sie dort siegen. Letztlich ist wohl entscheidend, ob Trumps Kampagne zieht oder ob die Wut vieler US-Amerikaner auf ihren Präsidenten den Ausschlag gibt. Dazu kommt aber der regionale Aspekt jeder einzelnen Wahl. Viele lieben Trump, mögen aber den republikanischen Kandidaten in ihrem Wahlkreis nicht - oder umgekehrt.

8.Wer hat mehr Wahlkampf-
Spenden eingenommen: die Demokraten oder die Republikaner?

Beim Kampf um den Senat nahmen die Demokraten die enorme Summe von 540 Millionen Dollar Spenden ein, die Republikaner knapp 396 Millionen Dollar (Stand 30. Oktober). Die Demokraten liegen also in Führung, allerdings dürfte das zum Teil daran liegen, dass sie mit mehr Kandidaten antreten.

9.Könnten die Demokraten nach einem Sieg - oder Teilsieg - Trump absetzen?

Die Demokraten könnten mit einem Sieg in einer der Kammern Anhörungen zu den umstrittenen Vorgängen der vergangenen Monate in der US-Politik ansetzen und Vorhaben Trumps verzögern, verwässern oder manchmal ganz verhindern. Nur bei einem Sieg in beiden Kammern wäre ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump denkbar. Soll der Präsident gestürzt werden, wäre in einem letzten Schritt im Senat eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Es müssten also auch viele Republikaner mitmachen.