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Der gewandelte Geist des Roten Wien

Von Karl Ettinger

Politik

Die Bäder sperren wie anno dazumal auf. Günstige Wohnungen sind noch immer eine Herausforderung.


Wien. Manche können es trotz gedämpfter Temperaturen nicht mehr erwarten. An diesem Donnerstag wird mancher Schwimmfanatiker zur Saisoneröffnung ins Kongreßbad an der Grenze zwischen Ottakring und Hernals pilgern, um dort im Liegestuhl Erholung und ein bisschen Sonne zu genießen. Was viele Badegäste nicht wissen: Das Kongreßbad ist eines von 31 Bädern, das in der Ära des Roten Wien in der Zwischenkriegszeit errichtet wurde.

Daran erinnert Maria Maltschnig, Direktorin des Renner-Instituts, der Parteiakademie der SPÖ. "Das sind alles Elemente, wo man sieht, dass der kulturelle Geist des Roten Wien diese Stadt noch prägt", analysiert sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Es schwebe zwar jetzt nicht mehr "über jeder Freizeitaktivität der SPÖ-Stempel". Aber "sehr auffällig ist, dass dieser Anspruch, in der Stadt Lebensqualität für alle zu schaffen, sehr präsent ist", erläutert sie.

100 Jahre sozialdemokratische Führung haben die Stadt geprägt. Gemeindebauten, Spitäler, Ambulatorien und der rote Schulreformer und seinerzeitige Stadtschulratspräsident Otto Glöckel geben ein Zeugnis vom Roten Wien ab. Oder eben auch die Bäder.

Ein Unterschied ist aber, dass nicht mehr die enge Verknüpfung mit der Sozialdemokratie gegeben ist. Wer sich im Kongreßbad mit seinem markanten roten Anstrich räkelt, fühlt sich deswegen nicht der SPÖ zugehörig. Er genießt einfach die Erholungsoase.

"Der Geist ist immer noch da", betont der ehemalige Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der im Wiener Rathaus als Kanzleilehrling begonnen hat. Er zählt Wohnbau, soziale Absicherung und Bildungszugang für alle als vorrangige Aushängeschilder des weiter existierenden Roten Wien auf.

Gemeindebauten warenschon aus der Mode

"Vergleichen Sie Wien einmal mit Berlin oder München", empfiehlt Hundstorfer zur Untermauerung seiner Meinung. Von Paris oder London wolle er gar nicht reden. "Oder suchen Sie einmal in Innsbruck eine Wohnung", ergänzt er. Auch wenn in Wien die Mieten gestiegen sind, "das ist weiterhin ein wichtiges Asset", erläutert der Ex-ÖGB-Präsident.

Auch was den Zugang zur Bildung betrifft, wird seiner Ansicht nach vielfach vergessen, was Jahrzehnte nach der Hochblüte des Roten Wien gelungen sei. So werde beispielsweise die Kinderbetreuung samt Verpflegung kostengünstig angeboten.

Für jeden sichtbar als Erbe des Roten Wien sind die vielen Gemeindebauten. Dabei galten gerade diese vor gar nicht so langer Zeit als nicht mehr zeitgemäß. 2004 wurde der vorerst letzte Gemeindebau übergeben. Diese waren jahrzehntelang die Basis für SPÖ-Wahlerfolge in Wien. Es dauerte dann aber nicht lange, bis diese Form des geförderten Wohnbaus wieder modern wurde.

Die Vorsitzende der Jungen Generation der SPÖ in Wien, Katharina Weninger, betont ebenso die Bedeutung des Gemeindebaus im internationalen Vergleich angesichts der gestiegenen Mieten und Kosten fürs Wohnen auf dem freien Markt. Sie "finde es gut, dass das Umdenken in der Stadt eingesetzt hat". Die rote Jungpolitikerin erinnert daran, dass dafür auch Anträge der Jungen Generation notwendig gewesen seien.

Für Hundstorfer gibt es im Wohnbereich eine Weiterentwicklung. Beispiel dafür sei der Wien-Bonus, mit dem nun jene, die schon länger in der Stadt leben, bei der Wohnungssuche bevorzugt werden. Damit hat die SPÖ auf die starke Zuwanderung in den vergangenen Jahren und politisch auf die Konkurrenz durch die FPÖ - gerade in ehemaligen sozialdemokratischen Hochburgen und in Arbeiterbezirken wie Simmering - reagiert. Dieser Wien-Bonus sei "ein Punkt, den man vor 40 Jahren nicht gebraucht hat", sagt der Ex-Sozialminister. "Zurücklehnen darf nicht angesagt sein", warnt er.

Die wandelnden Herausforderungen für die Sozialdemokratie und das Rote Wien führt auch die Wienerin Lore Hostasch an, die ab 1994 erste weibliche Präsidentin in der Arbeiterkammer und danach drei Jahre lang Sozialministerin war. Sie hat als HAK-Schülerin und Kind einer Alleinerzieherin - ihr Vater war im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen - erlebt, wie gesellschaftlich bedeutend ein freier Zugang zu Schulen und die Bereitstellung kostenloser Schulbücher war: "Das war so ein Schritt der Befreiung. Das war für mich ein gesellschaftspolitisches Erlebnis, dass Fairness für alle gegeben ist."

"Mit Neid und Populismus wird Solidarität unterlaufen"

Der Großvater väterlicherseits sei Kleingewerbetreibender mit einer Metallproduktion und einem kleinen Haus gewesen. "Für uns waren das reiche Leute, die eine Wohnung mit einem Badezimmer hatten." Gleichzeitig habe der Großvater gesagt: "Wennst Hausbesitzer bist, musst schwarz wählen." Erst in den 1970er Jahren unter Bundeskanzler Bruno Kreisky, der noch heute für viele die Lichtgestalt der SPÖ schlechthin ist, sei die klassische Zuordnung in Proletarier und Bürgerliche schließlich weggefallen.

"Ich habe noch Elend gesehen", schildert Hostasch. Diese Form der Verelendung gebe es heute nicht mehr. Mit der Zunahme des sogenannten Wohlstandes habe allerdings dieses "markant Sozialdemokratische" nicht mehr dieselbe Qualität wie früher.

Die Gewerkschafterin formuliert es so: "Es ist nicht mehr der 1.-Mai-Geist im Herzen und im Bauch." Man gehe vielmehr mit, weil es sich so gehöre. Mit dem Wegfall des Kommunismus haben sich die Voraussetzungen geändert. "Neid und Populismus sind eine Methode, um die Menschen auseinanderzudividieren und die Solidarität zu unterlaufen", meint Hostasch auch mit Blick auf die jetzige türkis-blaue Bundesregierung.

Andere wie die langgediente Hausmeisterin Sonja Aktas aus Penzing, treue Parteigängerin der SPÖ, sehen gerade darin jedenfalls eine Chance für die Sozialdemokratie. Die Solidarität habe nachgelassen. "Aber mir kommt vor, dass man ein bisschen mehr zusammengerückt ist nach 2015", bilanziert das rote Basismitglied mit Blick auf die Herausforderungen durch den Flüchtlingsandrang im Laufe des Jahres 2015.

Je mehr "Garstigkeiten" von der Bundesregierung beschlossen würden, wie die Verschärfungen bei der Mindestsicherung oder die Möglichkeit für den Zwölf-Stunden-Arbeitstag, desto stärker sei das Aufleben in der SPÖ ausgeprägt. In der rot-schwarzen Koalition habe sich die SPÖ "nicht mehr darum geschert, was sich die Leute denken", beklagt Aktas.

Als Hausbesorgerin ist sie ebenfalls in gewisser Weise eine Institution des Roten Wien. Eine Seele des Gemeindebaus, die einerseits für alle ansprechbar ist und gleichzeitig als Seismograf für Stimmungen der Bewohner fungiert. 4000 Hausmeister gab es bis zur schwarz-blauen Ära unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, in der Hausmeister abgeschafft wurden. 1200 gebe es noch, sagt Aktas. Und viele würden seither den Hausbesorgern nachtrauern.

"Wien ist anders" im Vergleich zur Bundesregierung

Mittlerweile würden die Menschen zwar noch gern Wohnungen in Gemeinde- und Genossenschaftsbauten nehmen. Das hindert viele aber nicht daran, danach die FPÖ zu wählen.

In die gleiche Kerbe schlägt Wiens JG-Chefin Weninger. Gerade die ÖVP-FPÖ Regierung sieht sie als Möglichkeit zu zeigen, dass "Wien anders" sei. Die Stadt Wien versuch, etwa im Schulbereich die Streichung von Sozialarbeitern zu kompensieren.

Die Eintrittspreise in die Wiener Bäder werden heuer übrigens nicht erhöht werden. Das kündigte Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) am Montag an. Auch dafür hat also das Roten Wien gesorgt.