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"Wien bleibt rot"

Von Alexander U. Mathé

Politik
Ludwig Zenk und seine Viktor-Adler-Medaille, mit der er im Jahr 2012 ausgezeichnet wurde.
© aum

Am 4. Mai feiert die SPÖ "100 Jahre Rotes Wien". Ein 80-jähriges Parteimitglied blickt zurück.


Wien. Mit seinen 80 Jahren gehört Ludwig Zenk zu den altgedienten SPÖ-Mitgliedern in Wien. Wenige Tage vor dem Jubiläum "100 Jahre Rotes Wien" sprach er mit der "Wiener Zeitung" über den Wandel der Partei über die Jahrzehnte.

"Wiener Zeitung": Wie sind Sie zur linken Reichshälfte gekommen?

Ludwig Zenk: Mein Vater war beim Republikanischen Schutzbund. Der hat mit Koloman Wallisch 1934 in Bruck an der Mur gekämpft. Meinen Vater haben sie damals nicht erwischt; der Wallisch wurde ermordet. Später haben sie meinem Vater aber genug fürchterliche Dinge angetan.

Da war der Weg für Sie praktisch vorgezeichnet. Wie hat es bei Ihnen begonnen?

Ich habe in der Hauptschule sehr gut gezeichnet. Da hat mir mein Lehrer eine Lehrstelle bei einem Maler- und Anstreichermeister besorgt. Das war damals nicht leicht. In meinem Alter hat das fast keiner gehabt. 1954 habe ich im Alter von 16 Jahren die Lehrabschlussprüfung mit Auszeichnung bestanden. Ich bin dann zur größten Malerfirma in Wien mit 300 Beschäftigten gewechselt. Dort haben sie mich zum Betriebsratsobmann gewählt. Von da an war ich für den Rest meines Lebens in der Gewerkschaft.

Wann sind Sie der SPÖ beigetreten?

1971.

Erst 71?

Also, ich habe in meinem Leben noch nie etwas anderes gewählt als die SPÖ. Ich habe immer eine soziale Ader gehabt und bin gegen Ungerechtigkeiten. Ich bin aber erst über die Gewerkschaft auf den FSG (Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, Anm.) gekommen und habe dann meine Zugehörigkeit zur Partei offiziell gemacht.

Wer war der erste Wiener Bürgermeister, den sie bewusst erlebt haben?

Theodor Körner. Wobei ich sagen muss, dass er mir hauptsächlich als Bundespräsident in Erinnerung ist.

Und von allen Wiener Bürgermeistern, wer war für Sie der Wiener Bürgermeister?

Michael Häupl. Dabei war ich zu Beginn gar nicht für ihn. Mir wäre der Hans Hatzl damals lieber gewesen; der war für mich der Prototyp eines Sozialdemokraten. Der war bodenständig - einer von uns. Der Häupl war mehr der Intellektuelle und hat auch am Anfang seine Probleme gehabt. Aber er hat sich schnell eingelebt.

Haben Sie sich auch in der SPÖ engagiert?

Bald nach dem Beitritt wurde ich Chef der Sektion 8 in der Josefstadt. In Wieden war ich im Bezirksvorstand. Im dortigen Bezirksausschuss bin ich bis heute.

Die SPÖ steckt gerade in der Krise. Was, denken Sie, sind die Ursachen dafür?

Die Technik hat uns überrollt. Wir haben zu spät erkannt, wie wichtig das Internet ist. Man kann noch so viel wissen und noch so schnell sein: Nutzt man das Internet nicht, ist jeder andere schneller. Der Altersschnitt in meiner Sektion lag sicher bei 60 bis 65 Jahren. Wir haben sogar eine 100-Jährige gehabt, die geistig voll da war, aber eben nicht auf dem letzten Stand der Dinge.

Nur an der Technik wird es aber wohl nicht liegen?

Es hat natürlich auch ideologische Gründe. Die alte Arbeiterschaft gibt es heute nicht mehr. Frühere Arbeiter sind jetzt moderne Selbständige. Da haben wir es verabsäumt, in die Zukunft zu sehen. Wenn es dem Esel zu gut geht, geht er aufs Eis tanzen.

Muss man heute intellektuell sein, um die SPÖ zu wählen?

Im Kern hat sich nichts geändert: Die, die jetzt selbständig sind, sind ja weiter Arbeiter, nur eben, dass sie eine Firma haben. Aber große Errungenschaften haben heute einen ganz anderen Stellenwert.

Zum Beispiel?

Zwei Drittel der Wiener wohnen in geförderten Wohnungen. Das gibt es auf der ganzen Welt nicht. Als mein Sohn eine geförderte Wohnung bekommen hat, war er noch heilfroh. Der hat sich die gar nicht erst vorher angeschaut. Er hat gewusst: Die hat zwei Zimmer, 50 Quadratmeter - und es hat gepasst. Er war zufrieden. Diese Zufriedenheit hat sich geändert. Meinen Enkeln brauche ich so etwas gar nicht erst vorzuschlagen.

Wenn man die Parteiarbeit früher und heute vergleicht: Wie hat sich die gewandelt?

1971 haben wir bei jeder Sektionssitzung 30 bis 40 Mitarbeiter gehabt. Wer geht denn heute noch unter der Woche in ein Sektionslokal? Damals hat es für Arbeiter noch keine Abfertigung gegeben. Das haben wir erst zizerlweise durchgesetzt. Wir haben bis zu sechs Prozent Lohnerhöhung erreicht. So etwas hat man gut verkaufen können. Die Unterschiede zwischen uns und der ÖVP aufzuzeigen, war kein Kunststück.

Aber in Wien ist seit Jahrzehnten primär die FPÖ der Konkurrent der SPÖ. Die Blauen haben sich dabei einige rote Wähler geholt. Wie kam es dazu?

Da haben wir die Polemik und den Populismus von rechts unterschätzt. Die FPÖ hat die Wähler mit einem Bier im Wirtshaus geködert. Das war unter unserer Würde. Viel ist seinerzeit auch von Jörg Haider in Kärnten nach Wien übergeschwappt. Heizungsgeldzuschuss hier, ein Hunderter für arme Strukturen dort: Das hat alles seine Auswirkungen gehabt. Und sie haben natürlich auf das Thema Immigration gesetzt. Ich mag so etwas nicht: wenn Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Aber auch damit hat die FPÖ Wähler zu sich gelotst. Wir haben unterdessen versucht, es allen recht zu machen und wenn du das versuchst, muss es schief gehen.

Es könnte sein, dass die SPÖ nach den nächsten Wahlen nicht mehr in der Wiener Stadtregierung vertreten ist. Wie sehen Sie das?

Dass die SPÖ den Bürgermeister verliert? - Das glaube ich nicht. Ich kenne die Wiener gut: Sie matschkern und raunzen, sie polemisieren bis zuletzt. Aber wenn es darauf ankommt, folgen sie dem Leithammel.

Aber zumindest die Koalition mit einer rechten Partei wird sich wohl nicht vermeiden lassen?

Bei der ÖVP sehe ich da kein Problem. Das letzte Mal, als das der Fall war, hat das mit Erhard Busek ganz gut geklappt. Und was die FPÖ angeht: Gerade am letzten Parteitag hat Michael Ludwig wieder bestätigt, dass es keine Koalition mit der FPÖ geben wird. Das ist gut so. Und der Bürgermeister und Wien bleiben rot.