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Die Misere der Wiener Freiheitlichen

Von Matthias Winterer

Politik

Dominik Nepp tritt als Spitzenkandidat der FPÖ bei der Wien-Wahl 2020 an. Ibiza liegt der Partei noch schwer im Magen.


Das Duell um Wien war einmal. SPÖ und FPÖ hatten es verlässlich im Fünfjahresabstand ausgerufen. Beide Parteien stilisierten die Gemeinderatswahlen in der Bundeshauptstadt zu einem erbitterten Zweikampf um den Sessel des Bürgermeisters. Das Bild kam ihnen nur recht. Die Sozialdemokraten konnten mit der drohenden Gefahr, das rote Wien an die Rechten zu verlieren, Wählerstimmen erhaschen. Die Freiheitlichen punkteten mit der Verheißung, als einzige Partei den vermeintlichen Postenschacher und Filz im Rathaus zu beenden.

Die Erzählung hat ausgedient. Die FPÖ ist im Rennen um Wien weggebrochen. Bei einer Klubklausur in der St.-Martins-Therme in Frauenkirchen im Burgenland sucht der Rathausklub der Wiener FPÖ nun nach Lösungen. Schließlich gilt es in Wien 2020 Wahlen zu schlagen. Der designierte Landesparteichef Dominik Nepp wird sie als Spitzenkandidat bestreiten, wie die Blauen am Mittwoch bekanntgaben. Er soll die Freiheitlichen aus der Krise und zurück zu alter Stärke führen.

Vom Schlachtross zum Pony

Denn über Jahrzehnte war die Wiener FPÖ die mächtigste Landesorganisation der Partei. Als sie ein junger Heinz-Christian Strache 2004 von Hilmar Kabas übernahm, begann ihre Erfolgsgeschichte. Schon bei der Gemeinderatswahl 2005 überraschten Strache und die Wiener FPÖ mit 14,8 Prozent der Wählerstimmen. Das Ergebnis bedeutete zwar ein Minus von 5,3 Prozent, lag aber deutlich über den Prognosen.

Die Freiheitlichen lagen nach Knittelfeld und dem Abgang von Jörg Haider am Boden. Die Partei war zerfallen. Strache machte sich an den Wiederaufbau. Die Richtung zeigte nach oben. 2010 erreichten die Freiheitlichen in Wien schon 25,7 Prozent. 2015 knackten sie sogar die 30-Prozent-Marke. Und 2020 sollte das blaue Wiener Schlachtross den Roten endlich den Rang ablaufen.

Doch es kam anders. Die Ibiza- und Spesenaffäre erschütterte im Sommer 2019 die gesamte FPÖ. "Die Wiener Landespartei wurde aber am härtesten getroffen", sagt der Politologe Thomas Hofer. Sie verlor neben Obmann Strache auch den geschäftsführenden Wiener Parteichef Johann Gudenus. Die ersten Auswirkungen des freiheitlichen Super-GAUs zeigte die Nationalratswahl Ende September. In Wien fuhr die FPÖ das mit Abstand schlechteste Ergebnis aller Bundesländer ein. Kein gutes Omen für die Landtagswahl in der Bundeshauptstadt im kommenden Jahr.

Denn selbst ohne Ibiza-Skandal, Spesenaffäre und mit Zugpferd Strache wäre der Erfolgslauf der Blauen in Wien wohl ins Stocken geraten. "Die Szenerie war 2015 eine andere", sagt Hofer. Das Kernthema der FPÖ - die Flüchtlinge - war dauerpräsent. Als Feindbild diente die große Koalition in der Bundesregierung. Und die ÖVP-Wien war unter Manfred Juraczka in den einstelligen Prozentbereich gerutscht. "Den Wert von 2015 würde die FPÖ auch mit einem unbefleckten Strache nicht mehr erreichen", sagt Hofer. "Durch Ibiza und die Folgeerscheinungen wäre es ein Wunder, wenn die FPÖ 2020 nicht massiv an Stimmen verliert."

Wie devot die Wiener Landespartei derzeit agiert, zeigt auch ihr Ansehen innerhalb der FPÖ. Sie hat nicht nur ihre Führungsriege und Wählerstimmen, sondern auch ihr Selbstbewusstsein verloren. "Die Wiener FPÖ war ein geschlossener Kreis, in den sich nicht einmal Jörg Haider einmischen konnte", sagt Hofer. Das ist vorbei. Als Manfred Haimbuchner vor wenigen Wochen vor die ORF-Kameras trat, wurde dies nur allzu augenscheinlich. Keck diktierte der Chef der FPÖ Oberösterreich den Wiener Kollegen, wie sie nun mit Strache umzugehen haben.

Ihren langjährigen Chef hofierten die Wiener Freiheitlichen lange. Selbst nach seinem Abgang stellten sie ihm bereitwillig ein Büro zur Verfügung. In den Räumlichkeiten der Partei ging Strache weiter ein und aus. Die Entscheidung, seine Gattin Philippa auf den aussichtsreichen dritten Platz der Landesliste für die Nationalratswahl zu setzen, erwies sich als Fehlgriff. Der Versuch, ihr den Einzug in den Nationalrat zu verunmöglichen, scheiterte. Frau Strache nahm das Mandat an und ist nun wilde Abgeordnete.

Letzte Hoffnung Türkis-Grün

Und das Sprachrohr ihres Gatten. Über sie ließ Heinz-Christian Strache die Öffentlichkeit wissen, dass er bei der Wien-Wahl mit keiner eigenen Liste antreten werde. Ein schwacher Trost für Dominik Nepp. Der neue Chef der Wiener Blauen ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Zu lange stand er in Straches Schatten. Zu stark ist die Wiener ÖVP geworden. Unter Sebastian Kurz und dem ÖVP-Wien-Chef Gernot Blümel wurde sie zum wichtigsten Konkurrenten der FPÖ. Die restriktive Ausländerpolitik der Volkspartei kommt in den Flächenbezirken gut an. FPÖ-Wähler wechselten im September in Scharren zur ÖVP.

"Die einzige kleine Hoffnung von Nepp ist Türkis-Grün", sagt Hofer. Würden die derzeitigen Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen auf Bundesebene positiv verlaufen, hätte die FPÖ für den Wahlkampf in Wien - neben der roten Stadtregierung - ein neues Feindbild. Enttäuschte Wähler könnten wieder zur FPÖ wandern. "Aus eigenen Kräften ist jedoch wenig zu holen", sagt Hofer. "Und selbst mit türkis-grüner Bundesregierung wird die Wien-Wahl für die FPÖ verlustreich."

Bis es so weit ist, tut die Wiener FPÖ das Einzige, was ihr bleibt - gegen die SPÖ und Migration zu schießen. Am Ende ihrer Klubklausur lud sie am Mittwoch zu einer Pressekonferenz. Themen waren das vermeintliche rote Budget-Desaster und "unkontrollierte Zuwanderung". Klingt fast wie früher. Doch das Duell um Wien ist mehr Fake denn je. Es wurde in Ibiza zwischen Vodka und Zigaretten abgeblasen.