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"Ein großer wohnpolitischer Fehler"

Von Martina Madner

Politik
Karin Zauner-Lohmeyr, Sprecherin der Bürgerinitiative "Housing for All", fordert Wohnen als Menschenrecht ein.
© Martina Madner

Warum durch mehr Eigentum statt gemeinnützigem Wohnbau Mietpreise steigen und Wohnen ein Menschenrecht ist.


Den Wunsch, dass der Menschenrechtsbefund 2019 besser als im Jahr davor ausfällt, kann die Österreichische Liga für Menschenrechte nicht erfüllen. Was sie aber kann, ist, Wohnen als Menschenrecht einzufordern. Karin Zauner-Lohmeyer, Sprecherin der Europäischen Bürgerinitiative "Housing for All", erklärt, warum das wichtig ist.



"Wiener Zeitung":Warum braucht es Wohnen als Extra-Menschenrecht?Karin Zauner-Lohmeyer: Weil Menschenrechte die Grundbedürfnisse der Menschen als unveräußerliche, allgemeingültige Rechte abdecken müssen. Menschen brauchen etwas zu essen, ein Zuhause, Sicherheit auch im sozialen Bereich - und da gehört Wohnen dazu.

Inwiefern ist dieses Menschenrecht in Österreich realisiert?

Soziale Rechte haben in Österreich keine große Bedeutung. Die Europäische Sozialcharta von 1996 wurde in wesentlichen Punkten, dem Artikel 30, wo es um das Recht auf Schutz vor Armut, und 31, wo es um das Recht auf Wohnen geht, nicht ratifiziert. Soziale Grundrechte wie andere Menschenrechte auch in der Verfassung zu verankern, hat bislang offenbar keine Regierung als wichtig genug erachtet.

ÖVP und FPÖ haben mit den Neos das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht verändert, um die Bildung von Eigentum zu erleichtern. Was hat das für Auswirkungen?

Damit geht viel günstiger Wohnraum verloren. Wenn gemeinnützige Wohnbauten nach fünf Jahren gekauft werden können, regieren die Gesetze des Marktes. Die Mietpreise steigen, weil weniger günstige Wohnungen zur Verfügung stehen. Das ist ein großer wohnpolitischer Fehler: Wenn man nicht einen großen Teil des Wohnraums über Regulierungen dem privaten Markt entzieht, werden Wohnungen zur puren Spekulationsmasse.

Eine OeNB-Analyse sprach schon Ende 2018 von der möglichen Überbewertung von Immobilien von mehr als zehn Prozent österreichweit, in Wien sogar von mehr als 20 Prozent. Was hat das zur Folge?

Spekulation mit Wohnraum hat immense Auswirkungen auf die Stabilität der Finanzmärkte. Während der Finanzkrise hat man gesehen, was passiert, wenn Kredite nicht mehr bedient werden können, sich Blasen bilden und diese platzen. Die OeNB schlägt also Alarm, wenn sich neue Blasen zu bilden drohen. Überbewertungen treiben aber auch Grundstückspreise in die Höhe. Diese werden dann so immens teuer, dass sozialer Wohnbau gar nicht mehr möglich ist. Wien hat da sehr mutig eingegriffen, seit März 2019 müssen zwei Drittel aller Neubauten geförderter Wohnraum sein. Das braucht zwar etwas Zeit, ist aber eine großartige Maßnahme, um Immobilienspekulationen und Preissteigerungen durch mehr günstiges Angebot einzubremsen. Auch neue Gemeindebauten sind sehr wichtig und die Mieterhilfe, die die Menschen dabei unterstützt, sich gegen Wucherpreise zu wehren. Das ist ein Service, das kennen viele Städte gar nicht.

Ist Wien, was Wohnen anbelangt also die Insel der Seeligen?

Nein, ganz sicher nicht. Wien muss noch mehr darauf achten, dass Wohnraum auch für Menschen mit Sozialhilfe und ganz kleinen Einkommen leistbar bleibt. Die Mieten steigen auch hier viel schneller als die Gehälter. Auch in Wien gibt es Obdachlose, aber die Stadt ist sehr bemüht, etwas dagegen zu tun. In London stehen dagegen bereits ganze Viertel leer, die Wohnungen sind nur mehr Betongold, mehr Wertanlage als dass sie zum Wohnen dienen.

An welchen gesetzlichen Hebeln würden Sie in Österreich drehen?

Das Wohnbaugemeinnützigkeitsgesetz müsste man sofort wieder ändern, gemeinnütziger Wohnraum soll gemeinnützig bleiben. Außerdem kann man, statt öffentlichen Boden zu verkaufen, nur Baurechte vergeben. Grund und Boden bleibt damit der Stadt erhalten und man kann leichter günstigen Wohnraum schaffen.

Wohnen ist etwas sehr Regionales, was kann man da überhaupt auf europäischer Ebene bewirken?

Wohnen ist immer Sache der Mitgliedsstaaten beziehungsweise Städten und Gemeinden in diesen. Das ist auch wichtig und gut so. Die EU kann aber Rahmenbedingungen für Investitionen in den sozialen Wohnbau setzen. Da gibt es viel Luft nach oben: Derzeit können Städte das billige Geld von den Finanzmärkten nur bedingt in den Wohnbau investieren, weil sie durch Fiskalregeln, also die Defizit- und Verschuldungsregelungen, beschränkt werden. Und dass obwohl sich die Investitionen in den Wohnbau seit der Finanzkrise halbiert haben. Außerdem könnten Finanzmittel leichter abrufbar sein, bei der Europäischen Investitionsbank könnte es zum Beispiel einen Fonds für sozialen Wohnbau geben, damit die Grundversorgung, das Menschenrecht auf Wohnen umgesetzt werden kann. Wir sammeln deshalb bis März eine Millionen Unterschriften, um auf europäischer Ebene Druck zu machen.

Druck machen da aber auch die Immobilieninvestoren. Der Europäische Gerichtshof gab ihnen etwa im sogenannten Dutch-Case recht, dass soziale Wohnbauförderung eine unzulässige Wettbewerbsverzerrung sei. Welche Folgen hatte das?

Die Niederlande mussten ihr Gesetz ändern, sodass nur noch die Allerärmsten Zugang zum sozialen Wohnbau haben. Mehr als 400.000 Menschen aus der Mittelschicht waren plötzlich vom geförderten Wohnbau ausgeschlossen und hatten Probleme, eine leistbare Wohnung zu finden.

Das Verfahren ging ja weiter, wer bekam da letztlich recht?

Der Wohnbauverband hat gegen diese neue Einkommensgrenze geklagt. Aktueller Stand ist, dass der Europäische Gerichtshof die Kommission aufgefordert hat, klarer zu definieren, was die Passage im europäischen Beihilfenrecht bedeutet, dass "der soziale Wohnbau für besonders Einkommensschwache" reserviert ist. Wir fordern aber mehr, und zwar, dass die Zielgruppe überhaupt gestrichen wird. Städte und Gemeinden sollen selbst entscheiden können, wie sie ihre Bevölkerung wohnversorgen. Da soll sich die EU raushalten.